Kapitel 3

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Was bedeutet Zeit?

Beim Versuch sie zu definieren verfloss diese, wie die Tränen auf der zarten Haut des braunhaarigen Mädchens. Einzelne Tränen kullerten zu Boden und verschwanden in der Dunkelheit.

Ihre Mutter schaute sie geschockt an: „Viola? Ich bitte dich...".

Doch ohne der Dame einen weiteren Blick zu würdigen, schnappte sie sich ihre Jacke und knallte die Tür zu. Beim hinauslaufen sah Viola das Auto ihrer Tante bereits wegfahren. So schlenderte das Mädchen ziellos durch die Straßen, bis es am Fluss ankam. Wie lange es her war, dass sie diesen Ort aufsuchte, weil sie nicht weiterwusste. Das Wasser war eiskalt und doch ließ sie ihre Füße darin umher baumeln. Ungewollt begann ihre Unterlippe zu zittern, während ihre Atmung flacher wurde. Das Gefühl, ein gigantischer Stein würde ihren Brustkorb zerquetschen, nahm mit jeder Sekunde zu.

Nichts schien sich zu bessern, egal wie lange sie nach einem Grund suchte, eine Erklärung dafür zu finden. Ihr Zustand gab der Definierung 'Gebrochen' eine neue Bedeutung. „Ich verstehe das einfach nicht.", murmelte das Mädchen vor sich hin, während es mit der Hand seine Tränen trocknete. Doch wieso musste sich das Mädchen den Kopf darüber zerbrechen, wenn es seine Mutter fragen konnte? Letztlich richtete sich Viola auf und warf einen letzten Blick auf die Stelle, auf der sie gerade noch saß. Mit langsamen Schritten nährte sie sich der Straße und lief los. Die Straßen wurden genauso gering Beleuchtet, wie sie gepflegt wurden. Nach einigen Minuten kam das Mädchen zuhause an und atmete tief durch.

Viola steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte es vorsichtig nach links, bis sich die Tür öffnete. Die Braunhaarige trat hinein und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Sie wunderte sich, dass ihre Mutter ihr nicht bereits entgegengelaufen war. „Mama?", rief das Mädchen durch den Flur. Doch ihre Stimme war die Einzige die sie hörte. Mit langsamen Schritten nährte sie sich der Küche, doch genauso wie im Wohnzimmer war die Dame nicht aufzufinden. Ihr Herz raste mit jeder Sekunde schneller, in der sie keine Antwort bekam. Letztlich ging sie in das Schlafzimmer ihrer Eltern. Deprimiert ließ sie sich auf das Bett ihrer Mutter nieder und starrte die Wand an. Der Gedanke, dass sie ihre Tochter da draußen in der tiefschwarzen Nacht suchte, während diese doch auf ihrem Bett saß, fraß sie auf.

*

Als sie ihre Augen öffnete, kniff sie diese gleich wieder zusammen. Die Sonne strahlte geradewegs in das Zimmer ihrer Mutter. „Ich bin wohl eingeschlafen.", murmelte das Mädchen vor sich hin. Doch sobald sich die Braunhaarige an das gestrige Geschehen erinnerte, richtete sie sich abrupt auf: „Mama?".

Viola hatte nicht einmal Zeit um einen klaren Gedanken zu fassen, denn es klopfte an der Haustür. Jedoch ignorierte das Mädchen wie penetrant das Klopfen wurde. Stattdessen begab sie sich in jeden Raum, um nach ihrer Mutter zu sehen. Erfolglos lief Viola in die Küche und stützte ihre Arme auf der Arbeitsplatte ab: „Verdammt!". Mit einem Ruck zog sie ihren Arm über die Platte und warf somit die darauf stehenden Gläser zu Boden. Als das Glas auf dem Fußboden zerbrach, wurde auch das Klopfen lauter. Viola fuhr sich mit beiden Händen durch ihre Harre und schloss die Augen. Für einen Moment blendete das Mädchen alles aus, bis die Stimme einer älteren Dame zu hören war: „Viola, machst du bitte die Tür auf?".

So entfernte sich die Braunhaarige von den Splittern und schlenderte zur Tür. Als sie diese öffnete, stand vor ihr eine ältere Dame, mit erröteten Wangen und hellen, schulterlangen Haaren. „Wer sind Sie?", fragte Viola. Einige Sekunden starrte die Dame das Mädchen an: „Gott, du bist deiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten. Ich bin Tina.". Violas Augen weiteten sich, als die Dame begann über ihre Mutter zu reden. „Woher kennen Sie sie?", fragte die Braunhaarige anschließend.

„Ich arbeite seit einiger Zeit mit deiner Mutter zusammen. Wir haben uns über die Jahre ziemlich gut angefreundet. Und aus diesem Grund bin ich hier, sie hat mich geschickt.". Der kalte Wind wehte dem Mädchen entgegen, sodass es zu zittern begann. Sie kniff ihre Brauen zusammen: „Das verstehe ich nicht, wieso schickt meine Mutter ihre Arbeitskollegin vorbei?". „Können wir das Gespräch vielleicht Drinnen weiterführen, es ist ziemlich kalt hier draußen.", fragte die ältere Dame und schaute in das Haus hinein. Viola ging einen Schritt zurück und zog die Tür ein Stück weiter auf. Behutsam trat die Dame ein und nahm im Wohnzimmer Platz. Die Braunhaarige ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder.

„Gestern Abend kam deine Mutter bekümmert und in Sorge um dich bei mir vorbei. Ich habe ihr einen Tee angeboten und versucht sie zu beruhigen, doch sie meinte, sie hätte einen großen Fehler begangen. Die Starre in ihren Augen hatte mich um ehrlich zu sein ziemlich besorgt. Letztlich erzählte deine Mutter mir, was geschehen ist und dass sie nicht mehr zurückkönne.". Die Augen des 18-Jährigen Mädchens weiteten und füllten sich mit Tränen, die sie mit höchster Kraft zurückhielt. „Was meint sie damit, dass sie nicht mehr zurückkann?", fragte Viola. Leise räusperte sich die ältere Dame: „Sie schämt sich. Deine Mutter sagte, dass sie dir nicht einmal mehr in die Augen schauen könnte. Ich schaute sie entsetzt an, doch als ich die gepackte Reisetasche neben ihr betrachtet hatte wusste ich, dass sie es ernst meinte. Glaube mir bitte, wenn ich dir sage, dass ich alles in meiner Macht Stehende versucht habe, sie daran zu hindern. Doch ihr Entschluss stand Fest.". Als sie merkte, dass die Welt des Mädchens gerade in sich zusammenbrach, schwieg sie für einen Moment, bevor sie fortfuhr. „Ich bin mir sicher, dass sie wiederkommt. Vielleicht braucht sie einfach nur ein wenig Zeit um mit all dem zurecht zu kommen. Solange nehme ich dich mit zu mir. So hast auch du die Chance, all das zu verarbeiten.". Jedoch saß das Mädchen einfach nur starr da und sagte nichts. Was sollte sie auch sagen?

„Viola, du musst jetzt nichts sagen. Nimm dir die Zeit die du brauchst, ich werde hier warten.". Plötzlich richtete die Braunhaarige ihren Blick auf die ältere Dame: „Sie ist weggerannt?". Viola selbst konnte nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte. „Sie hat mich im Stich gelassen? Wie kann sie einfach gehen, nachdem ich so etwas herausgefunden habe? Wie konnte sie mir überhaupt so etwas verheimlichen?", fuhr sie fort.

„Deine Mutter wollte dich nur davor beschützen, mit dieser Ungewissheit zu leben.", die Dame griff nach der Hand des Mädchens.

„Mit der Ungewissheit, dass mein Vater noch leben könnte? Mit der Ungewissheit, dass ich ihn vielleicht nicht für immer verloren habe? Sie hatte nicht das Recht mir das vorzuenthalten.", Viola zog an ihrer Hand, doch Tina ließ diese nicht los.

„Hör zu. Ich verspreche dir, dass alles wieder gut wird. Ich werde dir dadurch helfen.", die Dame schaute dem Mädchen direkt in seine grünen Augen. Nach einigen Sekunden spürte diese, wie die Braunhaarige aufhörte an ihrer Hand zu ziehen: „Ich weiß nicht was ich sagen soll.". „Du brauchst nichts zu sagen, ich nehme dich erst einmal mit zu mir und dann sehen wir weiter.", sagte Tina und stand langsam auf. Doch Viola schaute noch immer so, als würde sie all dem nicht folgen können. „Ich packe mir einige Sachen ein.", sagte die Braunhaarige und stieg die Treppen hinauf. Tina nickte und starrte auf die Scherben in der Küche.

Als das Mädchen die Tür ihres Zimmers schloss, sank sie noch in derselben Sekunde zu Boden. Sie presste ihre Hand gegen ihren Mund, um bloß keinen Laut von sich zu geben. Kullernde Tränen nahmen dem Mädchen die Sicht, also schloss sie diese. Langsam realisierte das Mädchen, dass sie fort war. Ihre Atmung wurde unregelmäßiger und bei dem Gedanken, dass ihre letzten Worte 'Ich hasse dich' waren, schmerzte ihr Herz.

Du und ich für immer, huh? Du hast mir versprochen mich niemals im Stich zu lassen. Du hast versprochen jeden Tag an meiner Seite zu sein. Ich kann es nicht glauben. Du warst alles was mir geblieben war und doch zögertest du nicht, zu gehen. Sag mir, wie konntest du durch diese Tür gehen. Wohlwissend, dass ich dich genau jetzt am meisten brauche?


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