Emilio
Die Nachricht, dass Cassiopeia mir doch Nachhilfe in Mathe geben würde, hatte mich aus heiterem Himmel getroffen. Als ich am Dienstagmorgen in das Büro der Schuldirektorin gebeten worden war, hatte ich gedacht, die Schule hätte herausgefunden, dass Sid und ich die Turnhalle mit ein paar neuen Graffitis verschönert hatten und mich mental schon auf eine Suspendierung vorbereitet. Stattdessen hatte mir Misses Morris jedoch eröffnet, dass sie jemanden gefunden hatte, der mir helfen würde, in Mathe den Anschluss zu finden.
Ich hätte bei dem Gedanken daran, jetzt jede Woche mit einem der größten Nerds aus unserem Jahrgang in der Schulbibliothek irgendwelche Formeln zu büffeln, kotzen können. Doch als Cassiopeias Name fiel, war ich für einen Moment erstarrt. Dann hatte ich mich aber beeilt, dieses Angebot anzunehmen. Wenn Mathelernen hieß, dass ich Cassiopeia nahe sein konnte, dann würde das wahrscheinlich meine neue Lieblingsbeschäftigung werden.
Außerdem bot mir das die perfekte Gelegenheit, sie im Auge zu behalten, denn nachdem ich Diegos Telefonat in der Umkleidekabine belauscht hatte, machte ich mir echt Sorgen um sie. Ich hatte jeden der letzten Tage in den Fluren und in der Mensa nach ihr Ausschau gehalten und jedes Mal erleichtert aufgeatmet, wenn ich sie zwischen all den anderen Schülern ausmachen konnte.
Heute war Donnerstag und Cassiopeia und ich waren nach dem Unterricht für die erste Nachhilfestunde in der Bibliothek verabredet. Ich hätte auch kein Problem damit gehabt, zu ihr nach Hause zu kommen, aber ich hatte das Gefühl, dass sie das Ganze auf möglichst professioneller Basis halten wollte. Sie hatte mir sogar über meine Schul-Mailadresse geschrieben, anstatt meine Handynummer ausfindig zu machen.
Trotzdem konnte ich nicht leugnen, dass ich aufregt war bei dem Gedanken, sie wiederzusehen. Wir hatten in den letzten Wochen kaum miteinander geredet und manchmal fragte ich mich, warum ich trotzdem immer wieder an sie denken musste, aber heute würde sich das ändern.
So war ich auch schon deutlich zu früh am Treffpunkt vor der Bibliothek und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Es war eigentlich echt affig, wie aufgeregt ich war, aber als Cassiopeia in diesem Moment um die Ecke trat, hatte ich das Gefühl, dass sich mein Puls mindestens verdoppelte. Aber das würde ich sie niemals wissen lassen.
Stattdessen schob ich lässig meine Hände in die Hosentaschen und grinste sie an. „Hey, lange nicht mehr gesehen", begrüßte ich das Mädchen, dass nun vor mir zum Stehen gekommen war.
Ich konnte nicht anders, als meinen Blick kurz über sie schweifen zu lassen. Cassiopeia trug ein weißes Sommerkleid mit einem grazilen Blumenmuster darauf und darüber eine zerrissene Jeansjacke. Ihre wilden Locken fielen ihr offen über die Schulter und ihre wachen Augen blicken mir aufmerksam entgegen. Sie sah einfach wunderschön aus.
„Hey", erwiderte Cassiopeia und ich hatte das Gefühl, dass sie mich ebenfalls abscannte. Eine kurze Pause entstand, bis sie fragte: „Sollen wir uns in den Kampf gegen Statistik begeben?"
Ich nickte. „Da kannst du dir sicher sein, dass das ein Kampf wird. Meine mathematischen Fähigkeiten beschränken sich auf Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und an guten Tagen auch mal Dividieren. Bei Bruchrechnung bin ich aber schon raus", eröffnete ich ihr und hoffte, damit ein bisschen die Stimmung zu lockern.
In den letzten Wochen war so viel zwischen Cassiopeia und mir passiert und gleichzeitig nichts. Wir beide schienen nicht so recht zu wissen, wie mir mit dieser Situation jetzt umgehen sollten und ich hoffte, dass die nächsten eineinhalb Stunden nicht von peinlicher Stille geprägt sein würden.
„Das klingt doch nach einem soliden Grundlagenwissen, damit können wir arbeiten", antwortete Cassiopeia lachend. Doch dann wurde sie wieder ernst und ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus.
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Dark Nights in Detroit
Teen Fiction》Und in den Glasscherben der zerschmetterten Bierflasche spiegelten sich all unsere zerbrochenen Träume und Hoffnungen wider, während die dunkle Nacht schonungslos über uns hereinbrach. Kein einziger Stern war zu sehen, als hätte selbst der Himmel a...