Cassiopeia
Der Tag zog nur so an mir vorbei. In der Mittagspause aß ich wie immer zusammen mit Kadeem, Ranielle und noch ein paar weiteren von unseren Freunden, wobei sich Kadeem und Ranielle immer wieder bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, wenn sie dachten, dass ich gerade nicht hinschaute. Es war offensichtlich, dass sie sich Sorgen um mich machten und früher oder später würden sie mich nicht mehr mit meinen Ausreden davonkommen lassen, das wusste ich. Dann würde ich ihnen die Wahrheit über Diego und mich erzählen müssen. Doch bis dahin hatte ich mit einer neuen Sorge zu kämpfen – Emilio.
Ranielle war fast ausgerastet, als ich ihr erzählt hatte, wieso ich ins Büro der Direktorin gerufen worden war. Einerseits weil sie es unmöglich fand, dass ich jetzt so um mein Stipendium zittern musste, weil die Stadt die Förderausgaben für Schulen runtergeschraubt hatte, andererseits weil sie begeistert darüber war, dass ich Emilio jetzt doch Nachhilfe geben würde. „Der steht auf dich, ich bin mir sicher", hatte sie mir immer wieder versichert und ihr Grinsen kaum verbergen können. Wahrscheinlich hoffte sie, dass ich Diego endlich abschießen würde, wenn ich jemand Neuen kennenlernte. Aber das würde ich nicht tun. Ich würde Emilio schön auf Distanz halten. Das war für uns beide besser.
Ich malte mir schon die ganze Zeit vor meinem inneren Auge aus, was Diego zu dieser Neuigkeit sagen würde. Nur weil die beiden jetzt in einer Footballmannschaft spielten, hieß das noch lange nicht, dass er Emilio in meiner Nähe dulden würde. Doch dieses Mal hatte er keine andere Wahl als das zu akzeptieren, denn ich würde ganz sicher nicht nachgeben.
Aber bisher hatte ich noch nicht die Möglichkeit gehabt, mit Diego zu sprechen, denn er war mir heute in der Schule kein einziges Mal über den Weg gelaufen und hatte auch nicht auf meine Nachrichten geantwortet. Das war zwar typisch für ihn, aber irgendwie ärgerte mich sein Verhalten heute mehr als sonst. Heute Morgen hatte ich noch das Gefühl gehabt, dass alles gut zwischen uns war, aber mittlerweile war ich mir da nicht mehr so sicher.
Die Schülerratssitzung zu der ich anschließend musste, lenkte mich zumindest für zwei Stunden von diesen Gedanken ab, denn wir diskutierten heiß darüber, was für Maßnahmen wir treffen könnten, um Diskriminierung an unserer Schule stärker vorzubeugen. Da dieses Thema mir auch persönlich besonders nahe ging, legte ich mein ganzes Herzblut in die Präsentation meiner Vorschläge, die auch auf großen Anklang stießen. So wurde es mir auch zur Aufgabe gemacht, der Schulleiterin demnächst ein Konzept über Aufklärungskurse über Rassismus für die unterschiedlichen Klassenstufen zu unterbreiten.
Doch als ich mich nach der Sitzung auf den Weg nach Hause machte, dachte ich wieder an Diego und versuchte erneut, ihn anzurufen, aber es war besetzt. Frustriert steckte ich mein Handy weg. Wenn Diego nicht mit mir reden wollte, war es mir egal, wie er davon erfahren würde, dass ich Emilio Hernandez jetzt Nachhilfe geben würde. Stattdessen lenkte ich mich mit dem Gedanken ab, was ich heute Abend zu essen kochen könnte.
Ich hasste die gemeinsamen Abendessen mit meiner Familie. Zwischen meiner Mutter, die oft nur dafür aus ihrem Bett stieg und kaum was aß und Owen, der dafür schlang wie ein Schwein und einen sexistischen Witz nach dem anderen machte, fühlte ich mich einfach nur unwohl. Der einzige Grund, wegen dem ich das Tag für Tag aushielt, war Adhara. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich mein eigenes Geld verdiente und das Sorgerecht für meine kleine Schwester beantragen könnte.
Natürlich könnte ich auch jetzt schon das Jugendamt einschalten, denn die Umstände in unserem Haus waren definitiv kindeswohlgefährend, aber ich würde es nicht aushalten, wenn man mir Adhara auch noch nahm. Und sie würde auch nicht ohne mich sein wollen, das wusste ich.
Völlig in Gedanken versunken, hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich mittlerweile schon in die Straße einbog, in der Owens Haus lag. Ich konnte nicht unser Haus sagen, denn das war es nicht. Es war nicht unser Haus und schon gar nicht unser zu Hause.
DU LIEST GERADE
Dark Nights in Detroit
Teen Fiction》Und in den Glasscherben der zerschmetterten Bierflasche spiegelten sich all unsere zerbrochenen Träume und Hoffnungen wider, während die dunkle Nacht schonungslos über uns hereinbrach. Kein einziger Stern war zu sehen, als hätte selbst der Himmel a...