Emilio
Ich rechnete nicht damit, dass sie kommen würde. Trotzdem glitt mein Blick erneut von der Uhr auf meinem Handy zur Treppe. Es war bereits zehn Minuten nach der Uhrzeit, zu der wir uns sonst trafen und ich wusste selbst nicht, warum ich noch hier stand und wartete. Sie würde nicht kommen. Durch mein Verhalten beim letzten Mal hatte ich alles kaputt gemacht.Ich stieß ein frustriertes Seufzen aus und wollte gerade meinen Rucksack schultern, um zu gehen, als ich das Stapfen von Schritten auf der Treppe hörte. Ein hoffnungsvolles Glimmen breitete sich in meiner Magengegend aus und mein Kopf flog geradezu in die Richtung des Treppenaufgangs. Und tatsächlich – da war sie. Sie kam doch, trotz allem. Ich wusste, dass sie mir mit Sicherheit noch nicht vergeben hatte, aber trotzdem entfachte ihr Erscheinen neue Hoffnung in mir.
Doch ich zwang dieses Gefühl mit einem kräftigen Schlucken runter. Ich durfte mir nicht schon wieder von meinen Emotionen völlig den Kopf vernebeln lassen. Es war ein Job für sie, mir Nachhilfe zu geben, mehr nicht – dafür hatte ich gesorgt. Trotzdem hatte ich gewartet. Und trotzdem schlug mein verräterisches Herz ein kleines bisschen zu schnell, als sie geradewegs auf mich zukam.
Ihr dunklen Locken wippten im Takt ihrer Schritte und obwohl sie nur schlichte Jeans und ein weißes oversized T-Shirt trug, sah sie umwerfend aus. Mein Blick fiel auf ihr Gesicht, doch es gab nicht das kleinste Anzeichen, das verriet, wie sich Cassiopeia in diesem Moment fühlte. Sie trug ein perfektes Pokerface zu Schau. Ich war für die meisten meiner Mitmenschen ein offenes Buch, doch Cassiopeia konnte ihre Gefühle gut zurückhalten. Viel zu gut. Aber sonst würde ihre Beziehung mit Diego wahrscheinlich gar nicht funktionieren, überkam es mich bitter.Sie war jetzt nur noch wenige Meter von mir entfernt und ich versenkte meine Hände in meine Hosentaschen. War ich ernsthaft nervös?
„Ich hätte nicht gedacht, dass du kommen würdest“, begrüßte ich sie. Bestimmt nicht die beste Begrüßung, aber mein Kopf war wie leergefegt.
„Das hätte ich bis vor einer Minute auch gedacht, aber ich kann es nicht riskieren, die Chance auf mein Stipendium zu verlieren“, erwiderte Cassiopeia schulterzuckend. Sie erwiderte meinen Blick nicht, als könnte sie es nicht ertragen, mich anzusehen.
Ihr jetzt so gegenüberzustehen, war noch schlimmer als die letzten Tage, an denen sie mich einfach ignoriert hatte. Ich hatte sie wirklich verletzt und das machte mich kein Stück besser als Diego.
Ich wollte mich entschuldigen, ihr sagen, wie unfassbar leid es mir tat, doch ich wusste nicht, ob sie mir zuhören würde. Stattdessen fragte ich: „Was für ein Stipendium?“
„Ich möchte am Massachusetts Institut für Technologie Astronomie studieren und dafür brauche ich ein Stipendium, weil ich mir die Studiengebühren sonst niemals leisten könnte. Mein Engagement in der Schülervertretung reicht aber allein nicht aus, um mich dafür zu qualifizieren, deshalb gebe ich dir jetzt zusätzlich Nachhilfe“, erklärte sie mir und auch wenn in ihrer Stimme ein scharfer Unterton lag, sah ich das Funkeln, das sich währenddessen in ihren Augen aufleuchtete. Ich hatte nie vergessen, wie sehr Cassiopeia für die Sterne und das Universum schwärmte, nachdem wir das erste Mal darüber gesprochen hatten. Das Glitzern in ihren Augen und die Begeisterung in ihrer Stimme hatten mich damals schon fasziniert und ich wollte ganz sicher nicht Person sein, die ihrem Traum im Weg stand.
„Du wirst dieses Stipendium auf jeden Fall kriegen. Wenn es jemand verdient, dann du“, sagte ich und meinte meine Worte auch genau so. „Ich werde dir dabei keine weiteren Steine in den Weg legen. Aber bevor wir mit dem Unterricht anfangen, möchte ich mich noch bei dir für mein Verhalten in der letzten Nachhilfestunde und danach entschuldigen. Ich hätte dir niemals so gemeine Dinge an den Kopf werfen oder dich vor dem ganzen Kurs bloßstellen dürfen. Ich war verletzt und habe mich deshalb wie das letzte Arschloch aufgeführt. Das ist keine Rechtfertigung – ich weiß, dass ich meine Emotionen besser unter Kontrolle bringen muss. Ich will nur, dass du weißt, dass ich vieles davon nicht so gemeint habe. Ich halte dich für eine sehr starke und intelligente Frau und respektiere deine Entscheidung, bei Diego zu bleiben, auch wenn ich sie nicht verstehe.“
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Dark Nights in Detroit
Teen Fiction》Und in den Glasscherben der zerschmetterten Bierflasche spiegelten sich all unsere zerbrochenen Träume und Hoffnungen wider, während die dunkle Nacht schonungslos über uns hereinbrach. Kein einziger Stern war zu sehen, als hätte selbst der Himmel a...