KAPITEL 3

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Emilio

Ich schreckte schweißgebadet aus meinem Traum hoch und riss panisch die Augen auf. Meine Brust hob und senkte sich unter meiner schnellen Atmung heftig und trotzdem hatte ich das Gefühl, keine Luft zu kriegen. Ich wollte mich aus meinem Bett hochdrücken, um aufzustehen, doch meine Arme gaben unter meinem Gewicht nach. Ein unkontrollierbares Zittern hatte Ergriff von meinem Körper genommen und ich war nicht in Lage mich zu regen.

Stattdessen lag ich einfach nur da und die Bilder überrollten mich wie eine eiskalte, schäumende Welle einen Ertrinkenden, die ihn mit ihrer grausamen Kraft in die Tiefe zu reißen drohte. Doch ihre Schaumkronen waren nicht weiß, sondern rot – rot wie Blut. Rot wie das Blut eines Unschuldigen. Rot wie das Blut eines Unschuldigen, dem ich geschworen hatte, ihn zu beschützen.

Mühsam strampelnd versuchte ich mich über dem roten Wasser halten, doch wurde immer wieder von der schweren Last der Schuld auf meinen Schultern nach unten gerissen. Das Blut strömte in meine Lunge, während die tosenden Wellen über mir einschlugen und mich immer weiter nach unten drängten. Doch dann begann das Todesmeer plötzlich mit rasender Geschwindigkeit zusammenzuschrumpfen und in Form eines kleinen, roten Rinnsals in den Abfluss der Gemeinschaftsdusche zu fließen.

Mein Blick schweifte nach rechts, obwohl ich genau wusste, was ich dort erblicken würde. Und so sehr ich es auch wollte, ich konnte es nicht verhindern, dass meine Augen von dem kleinen, regungslosen Körper, der dort auf den kalten, nassen Fliesen lag, angezogen wurde. Unaufhaltsam strömte sein Blut aus den zahlreichen Schnitten an seinem Körper und aus seiner aufgeschlitzten Kehle und floss mit dem Wasser zusammen in den Abfluss.

Es fühlte sich genau so schrecklich an, wie als ich ihn damals entdeckt hatte. Wieder kam alles in mir hoch und ich drehte meinen Kopf gerade noch rechtzeitig, sodass ich in den Eimer neben meinem Bett kotzte. Minutenlang, denn jedes Mal wenn ich dachte, ich hätte bereits meinen kompletten Mageninhalt erbrochen, kam eine erneute Welle an Übelkeit in mir hoch.

Doch irgendwann war ich leer und starrte wieder ausdruckslos an die Decke.

Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, wo der schmächtige Junge mit den krausen Haaren vollkommen verängstigt von den Wärtern zu meiner Zelle geführt worden war. Die Panik in seinen Augen, als sie ihn in die Zelle gestoßen hatte, hatte sich förmlich in mein Gedächtnis eingebrannt. Wie er sich gegen die Wand gedrängt hatte. Wie er zusammengebrochen war und angefangen hatte, zu weinen.

Er war gerade mal fünfzehn Jahre alt gewesen. Die Polizei hatte ihn dabei erwischt, wie er zwei Packungen Nudeln aus einem Supermarkt mitgehen lassen hatte, für seine Familie, die sonst nichts zu essen gehabt hätte. Hätte er die richtige Hautfarbe gehabt, dann wäre der Prozess gegen ihn garantiert fallen gelassen worden. Aber Eddy war schwarz und zu drei Jahren Jugendarrest verurteilt worden.

Ein Junge, ein halbes Kind, der in seinem Leben noch nie etwas Falsches getan hatte, sondern nur aus bitterer Not heraus gehandelt hatte, zusammengesperrt mit Mördern, Drogendealern, Vergewaltigern. Er würde hier nicht lebend herauskommen, das wusste ich von der ersten Sekunde an und deshalb hatte ich ihm und mir geschworen, ihn zu beschützen. Aber ich hatte versagt. Ich hatte versagt und die Last dieser Schuld brachte mich jeden Tag ein kleines bisschen um...

Sobald ich aus dem Knast entlassen worden war, hatte ich Eddys Familie aufgesucht, um ihnen mein Beileid zu bekunden. Ich war mit meinem Motorrad an den äußersten Rand der Stadt gefahren, wo nur die Ärmsten der Ärmsten wohnten. Dort hatte ich an der Tür eines halb verfallenen Hauses geklingelt. Die Familie von Eddy hatte sich erst gar nicht getraut, mich hereinzulassen, bis ich erklärt hatte, wer ich war. Dann war seine Mutter heulend in meinen Armen zusammengebrochen.

Dark Nights in DetroitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt