Kapitel 26 - Teil 1

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Cassiopeia

„Wieso starrt dich Emilio die ganze Zeit so an, Cassiopeia?"

Ich schreckte von meinen Karteikarten hoch, die ich neben mir auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Ich musste gleich ein Referat in Physik halten und wollte meinen Vortrag davor noch ein letztes Mal durchgehen, während sich Diego mit Maddox und Tyrone unterhielt. Doch jetzt war sein funkelnder Blick auf mich gerichtet und schien mich förmlich zu durchbohren.

„Was?", fragte ich zurück und spürte, wie sich mein Puls beschleunigte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Emilio hier in der Mensa war und schon gar nicht, dass er mich anschaute. Heute in Englisch hatte er mich vollkommen ignoriert und so getan, als wäre ich Luft, deshalb traf mich Diegos Aussage jetzt umso unvorbereiteter.

„Ich habe gefragt, warum dich Emilio Hernandez seit über zwei Minuten anstarrt, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er dich umbringen oder vögeln will", wiederholte sich Diego ruhig, doch ich hörte den warnenden Unterton aus seiner Stimme deutlich heraus. Seine braunen Augen lagen weiterhin wachsam auf mir, als würden sie meine Reaktion ganz genau analysieren wollen. „Ist irgendwas zwischen euch passiert?"

Man konnte von Diego vieles behaupten, doch nicht, dass er dumm war. Er bemerkte meist viel mehr, als er sich anmerken ließ und ich verfluchte Emilio in diesem Moment dafür, dass er mich in diese Situation gebracht hatte. Ich wollte Diego nicht anlügen, aber ich konnte ihm schlecht die Wahrheit sagen, dass Emilio und ich uns gestritten hatten und schon gar nicht worüber. Ich war so dankbar dafür gewesen, wie gut Diego es aufgenommen hatte, dass ich Emilio Nachhilfe gab und dass dieses Thema in den letzten Tagen kein einziges Mal aufgekommen war, doch jetzt musste Emilio alles kaputt machen. Dabei verstand ich noch nicht mal, warum er mich jetzt so anstarrte, wenn er mich doch vorher keines Blickes gewürdigt hatte.

„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat er ja auch nur zufällig in unsere Richtung geguckt", entgegnete ich. Dass ich keine Ahnung hatte, was in Emilio vor sich ging, war ja noch nicht mal völlig gelogen. Trotzdem bezweifelte ich, dass sich Diego mit dieser Antwort zufriedengeben würde und die Nervosität in meinem Inneren wuchs weiter an.

„Bestimmt hat er das", kam es von Diego auch sofort zurück. Seine Stimme triefte dabei nur so vor Sarkasmus.

Die Stimmung begann zu kippen, das spürte nicht nur ich. Maddox hatte den Kopf über sein Handy gesenkt und Tyrone tat plötzlich so, als wäre sein leerer Teller das Interessantes auf der Welt.

Mir blieben nur zwei Optionen, entweder würde ich jetzt in die Defensive gehen, wie ich es immer tat und alles Mögliche tun, um Diego zu beruhigen oder ich würde einen Gegenangriff starten, auch wenn das komplett nach hinten losgehen und Diego erst recht zum Explodieren bringen konnte. Aber auch wenn ich mir fest vorgenommen hatte, nicht mehr daran zu denken, bohrten sich gerade die Worte, die mir Emilio an den Kopf geworfen wie ein Dorn in meine Gedanken. Mir war selbst bewusst, wie sehr ich mich manchmal von meinem Freund herumkommandieren ließ, aber in der letzten Zeit war ich viel selbstbewusster geworden und hatte mich endlich getraut, Diego zu sagen, was mich an seinem Verhalten störte. Doch jetzt drohte er wieder in sein altes Muster zurückzufallen und ich wollte nicht auch in meines zurückfallen.

„Wie gesagt, Diego, ich weiß es nicht. Wir haben schon so oft über dieses Thema gesprochen und ich bin es leid, dass ich mich jedes Mal rechtfertigen muss. Ich bin mit dir zusammen und nur dir. Aber wenn du mir so wenig vertraust, dann frage ich mich, warum du mit mir zusammen bist", erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Hoffentlich konnte er so nicht sehen, dass meine Finger leicht zitterten.

Dabei waren meine Worte noch nicht mal eine Notlüge. Nachdem Streit mit Emilio hatte ich mir vorgenommen, endgültig mit ihm abzuschließen und nicht weiter zweigleisig zu fahren. Das hatte weder Diego noch Emilio verdient. Nur weil ich nicht wusste, was ich wollte, sollten nicht noch mehr Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Bis zu meinem Abschluss würde ich mich voll auf Diego konzentrieren und dann würde sich zeigen, was die Zukunft brachte. Diego und mich verbanden mehr als nur Gefühle und das würde ich nicht einfach für das Kribbeln, das ich in Emilios Nähe verspürte, wegwerfen. Ich würde Emilio zwar weiterhin Nachhilfe geben, schließlich hing mein Stipendium davon ab, doch dieses Mal würde ich die professionelle Distanz wahren und ihn niemals wieder so nah an mich heranlassen.

Dark Nights in DetroitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt