KAPITEL 17

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Emilio

Blut, überall war Blut. In wallenden Fluten umgab es mich und drohte, mich fortzureißen. Und dann sah ich ihn. Sein lebloser, kleiner Körper lag auf den kalten Fliesen, nackt. Sie hatten ihn beim Duschen erwischt und hinterrücks mit einer großen Glasscherbe erstochen und seinen Körper mit weiteren Schnitten malträtiert.

Ich wollte zu ihm rennen, ihm helfen, doch meine Beine waren wie angewurzelt. Ich schrie und schrie, doch es kam kein Laut. Das einzige, was man hörte war das Rauschen des Blutes, das mir mittlerweile bis zum Hals stand und nun auch in meinen Mund strömte.

Ich würde untergehen wie er und ich hatte es verdient, denn ich hatte ihn nicht beschützt. Ich hatte es ihm versprochen und er musste mein Versagen mit seinem Leben bezahlen. Ausgerechnet an diesem Tag hatte ich mich Falco, einem der Devils, über einen Sitzplatz in der Kantine angelegt und den restlichen Tag in der Arrestzelle verbringen müssen. Wegen einer völligen überflüssigen Prügelei über einen noch viel überflüssigeren Grund hatte Eddy sterben müssen. Ich hätte ihn retten müssen, doch ich war nicht da gewesen.

Endlich gelang es mir, meine Augen aufzureißen, doch die schrecklichen Bilder verschwanden nicht, sondern spielten sich vor meinem inneren Auge weiter ab. Mein Herz schlug viel zu schnell gegen meinen Brustkorb, an dem mein schweißnasses T-Shirt klebte. Und dann stieg die vertraute Übelkeit in mir auf und ich beugte mich zu dem kleinen Eimer, der immer seitlich neben meinem Bett stand. Doch dieses Mal kam nichts, ich fühlte mich einfach nur leer und taub.

Da ich wusste, dass ich jetzt eh nicht mehr schlafen können würde, stand ich auf, griff nach der fast leeren Zigarettenpackung, die auf meinem Nachtisch lag und öffnete die Tür zum Balkon. Die kühle Nachtluft umgab mich und holte mich langsam aber sicher zurück in die Realität. Nur dass die Realität fast genauso schlimm war wie die Albträume, die mich fast jede Nacht verfolgten.

Gestern hatte mich die schockierende Nachricht erreicht, dass es zu einer Schießerei auf unserem Gebiet kurz hinter der Grenze zu den Devils gekommen war. Sean und Reece hatten ein paar Devils erwischt, wie sie eine Ladung Heroin ins Halo, einen der ranzigsten Clubs in ganz Detroit, geliefert hatten. Einer der Eindringlinge hatte daraufhin die Nerven verloren und seine Knarre abgefeuert. Die Kugel hatte Sean im Oberschenkel getroffen, zum Glück nicht lebensbedrohlich, aber die Situation hätte auch ganz anders ausgehen können. Dann waren die Wichser getürmt und ließen alle Jokers in heller Aufruhr zurück.

Wenn wir nicht bald härter zurückschlagen würden, würden wir die Kontrolle über unser eigenes Gebiet verlieren, das war uns allen bewusst. Und wenn es soweit kommen würde, dann würden die Straßen Cantons in Flammen stehen. Das, was Marcio unbedingt vermeiden wollte.

Deshalb machte er Sid, Blake und mir jetzt auch die Hölle heiß, dass wir endlich Fortschritte mit Diego machen sollten, doch das war alles andere als einfach. Dieser Typ war ein echter Eisblock und ein Kotzbrocken noch dazu und mir fiel es mit jedem Tag schwerer, meinen Hass gegen ihn einfach herunterzuschlucken. Wir brauchten endlich einen entscheidenden Durchbruch.

Doch das war immer noch nicht alles. Es gab immer noch etwas anderes, genauer gesagt eine andere Person, die mir das Leben schwer machte. Ich hatte schon seit über einer Woche nicht mehr mit Cassiopeia gesprochen und trotzdem spukte sie immer noch in meinem Kopf herum. Einfach nur erbärmlich.

Wir hatten nur ein paar Male miteinander gesprochen und trotzdem fühlte ich mich ihr so verbunden, wie kaum einem anderen Menschen. Als wäre ihre gebrochene Seele das perfekte Gegenstück zu meiner. Denn dessen war ich mir sicher, ich hatte das traurige Glitzern in ihren Augen bereits bei unserer ersten Begegnung gemerkt, auch wenn sie es hinter einer perfekten Fassade versteckte. Und ich wünschte mir nichts mehr, als hinter diese zu schauen.

Dark Nights in DetroitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt