KAPITEL 16

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Cassiopeia

Fröstelnd schlang ich die dünne Jacke enger um meinen Körper. Auch wenn tagsüber noch hochsommerliche Temperaturen herrschten, wurde es nachts mittlerweile durch den früheren Sonnenuntergang ziemlich kalt. Trotzdem hatte saß ich bereits seit über einer Stunde auf dem Dach unseres Einfamilienhauses und blickte über die kleinen Häuser unseres Viertels, hinter denen in der Ferne die Wolkenkratzer des Zentrums erschienen, die auch mitten in der Nacht noch gleißend helles Licht verbreiteten, womit sie auch das Einzige waren, was gerade leuchtet. Vor die Sterne und den Mond hatte sich eine dicke Wolkenschicht geschoben, fast so, als würde der Himmel meine Stimmung widerspiegeln.

Seit dem Streit mit Diego vor einigen Tagen wirbelte in meinem Kopf ein dunkler Wirbelsturm an Gedanken herum. Sowohl Diegos Worte, als auch die Worte meiner Mutter hallten in diesem Chaos immer wieder und ließen mich, sobald ich dachte, ich hätte eine Entscheidung getroffen, wieder ins Wanken bringen. Ich wusste, dass ich nach dieser Auseinandersetzung mit Diego Schluss machen sollte. Er hatte mich schon viel zu oft verletzt und mittlerweile sah ich auch immer weniger einen Grund, für unsere Beziehung zu kämpfen. Diego konnte mir einfach nicht die Art von Liebe geben, die ich brauchte. Ich war mir sicher, dass er mich liebte, auf seine eigene verquere Art, aber ich musste jetzt an mich denken. Aber wie konnte ich das, wenn auch das Schicksal meiner Familie auf dem Spiel stand?

Meine Mutter würde niemals die Kraft finden, Owen zu verlassen und Diego war unser einziger Schutz vor seinen Gewaltausbrüchen. Wie konnte ich also so egoistisch sein und meine kleine Schwester und meine Mutter dieser Gefahr aussetzen? Ich sah noch genau vor meinem inneren Auge, wie Owen das letzte Mal auf meine Mutter losgegangen war – das konnte ich doch nicht zulassen?

Verzweifelt raufte ich mir die Haare und wünschte mir, dass mein Vater hier neben mir säße. Er wüsste bestimmt einen guten Rat, was ich jetzt tun sollte, das hatte er immer getan. Beziehungsweise wäre ich gar nicht in dieser ausweglosen Situation, wenn er uns nicht viel zu früh verlassen hätte. Ich hoffte nur, er sah von da oben aus dem Himmel nicht, wie es schlecht seiner Frau hier auf der Erde ging und wie sie ihre Kinder immer wieder in ihr Schlamassel mit reinzog.

So schwer es mir auch fiel, diese Entscheidung würde ich alleine treffen müssen. Trotzdem hoffte ich, dass mein Vater, wo immer er auch war, irgendwie seine schützende Hand über mich halten würde. Noch viel länger, würde ich meinen Entschluss nämlich nicht hinauszögern können.

Die letzten Tage war ich Diego völlig aus dem Weg gegangen, was jedoch auf Gegenseitigkeit beruhen zu schien, denn auch er suchte nicht nach meiner Nähe. Doch heute Abend hatte er mir geschrieben, dass wir reden müssten und ob wir uns nach der Schule treffen könnten. Ich hatte ihm bisher noch nicht geantwortet, aus Feigheit, weil ich nicht wusste, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Würde ich ihm absagen, würde ich aber alles nur noch schlimmer machen, deshalb war mir klar, dass ich zu diesem Treffen gehen musste. Angst war gar kein Ausdruck bei dem, was ich empfand bei dem Gedanken, mit Diego Schluss zu machen, aber ich wusste, ich musste es hinter mich bringen. Je früher, desto besser.

Mit klammen Fingern zog ich mein Handy aus der Hosentasche und ging auf den Chat mit Diego. Ja, das sollten wir. Wollen wir ins Pappio gehen?, schrieb ich zurück. Mir war es wohler dabei, mich mit Diego in der Öffentlichkeit zu treffen, denn da würde er ganz bestimmt nicht so ausrasten, dafür war ihm sein Ruf zu wichtig.

Kurz darauf blinkte mein Handy blau auf und mir wurde eine neue Nachricht von ihm angezeigt:

Klingt gut. Wir treffen uns bei meinem Golf. Gute Nacht, Baby.

Als ich den Text las, wäre ich beinahe in ironisches Lachen ausgebrochen. Baby? Das konnte Diego doch nicht ernst meinen, nach fünf Tagen kompletter Funkstille. Aber anscheinend war er nicht mehr böse auf mich, wo ich Schlampe mich doch immer Emilio an den Hals warf und erwartete wahrscheinlich, dass ich aus ewiger Dankbarkeit über seine Güte auch nicht mehr wütend war. Aber da hatte er sich geschnitten, dieses Mal würde ich nicht so schnell klein beigeben.

Dark Nights in DetroitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt