Emilio
Mit Schwung stieg ich von meinem Motorrad und nahm meinen Helm ab, um ihn an den Lenker zu hängen und mich musternd umzublicken. Seit etwas über zwei Jahren hatte ich keinen Fuß mehr auf das Gelände der Schule gesetzt, aber ich konnte nicht sehen, dass sich etwas verändert hätte. Die Wände des grauen Gebäudes waren immer noch mit Graffiti beschmiert, der viel zu kleine Parkplatz war komplett überfüllt und in den Ecken des gepflasterten Schulhofs lag Müll, da niemand sich die Mühe machte, ihn in den dafür vorgesehenen Behältern zu entsorgen. Genauso hatte es auch ausgesehen, als ich meinen unwissentlich letzten Schultag hier gehabt hatte.
Nachdem ich die Lage gecheckt hatte, schulterte ich meinen Rucksack und lief quer über den Schulhof zum Haupteingang. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sich die Blicke jedes gottverdammten Schülers in meinen Rücken brannten. Sie betrachteten mich aus sicherer Entfernung, als wäre ich ein wildes Tier, das aus dem Zoo ausgebrochen war und ich war mir sicher, dass manche extra stehenblieben oder einen Bogen schlugen, nur um mir nicht zu nahe zu kommen. Es war ganz eindeutig, dass sie Angst vor mir hatten.
Ich lief gerade an einer Gruppe an Jungs zu, die versuchten, mit ihren Zigaretten vor ein paar Mädchen auf cool zu tun. Als ich mich ihnen näherte, richteten sich auch ihre Augen alle auf mich und ich konnte sehen, wie sich ihre Gesichter abschätzig verzogen.
Ich merkte, wie es in mir zu brodeln begann. Die Scheinheiligkeit der Menschen um mich herum kotzte mich so dermaßen an. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass mindestens jede dritte Person hier ebenfalls Dreck am Stecken hatte von Drogendealen über Diebstahl bis zu Betrug – die Reihe war lang. Und mich jetzt wie einen Aussätzigen zu behandeln, nur weil ich wegen gefährlicher Körperverletzung in den Knast gewandert war und die Medien einen riesigen Aufriss davon gemacht hatten, war einfach nur heuchlerisch.
Mit einem lauten „Buhh" machte ich einen Satz auf die Gruppe an Jugendlichen zu, die daraufhin alle erschreckt zusammenzuckten. Einer ließ sogar sein Handy fallen.
Jetzt war ich es, der sie mit einem abschätzigen Blick betrachtete. „Passt lieber auf, dass ihr euch beim nächsten Mal nicht vor Schreck einpisst", schnaubte ich verächtlich. Dann setzte ich meinen Weg über den Schulhof fort, als wäre nie etwas passiert. Wenn alle mich schon wie einen Schwerkriminellen behandelten, dann sollten sie sich auch nicht darüber wundern, wenn ich mich wie einer verhielt.
Bereits völlig genervt, drückte ich die Eingangstür auf, obwohl ich am liebsten einfach wieder umgedreht wäre und geschwänzt hätte. Doch der Abschluss der High School gehörte zu meinen Bewährungsauflagen und ich hatte mir auch selber vorgenommen, mich zusammenzureißen und möglichst gute Noten zu kriegen. Also hieß es Zähne zusammenbeißen. Ich war schon immer ein Einzelkämpfer gewesen, da würde ich ein Jahr voller verängstigter und abwertender Blicke schon durchstehen.
Außerdem hatte ich ja noch Sid an meiner Seite, der sich bisher jedoch noch nicht blicken lassen hatte, was mal wieder typisch für ihn war. Wenn er dieses Jahr die Schule genauso schleifen lassen würde wie die letzten, würde ich ihm noch ordentlich Feuer unterm Hintern machen, darauf konnte er sich gefasst machen.
Ich lief ins Sekretariat, um mich anzumelden und mir meinen neuen Stundenplan abzuholen. Zufrieden stellte ich fest, dass ich alle meine Wunsch-Kurse gekriegt hatte – wenigstens eine gute Sache zu diesem beschissenen Schulstart. Als erstes stand Englisch auf dem Zettel in meiner Hand und ich trottete gemächlich den langen Flur entlang, sodass ich genau mit dem Klingeln das Klassenzimmer betrat.
Es war, als würde ein Raunen durch die Reihen gehen, als meine Mitschüler mich erblickten und alle Gespräche verstummten augenblicklich. Müsste ich nicht die ganze Zeit daran denken, dass es das ganze nächste Jahr so weitergehen würde, wäre ich jetzt wahrscheinlich in schallendes Gelächter ausgebrochen. Wahrscheinlich hatte sie alle gehofft, keine Kurse mit mir zu haben, aber da musste ich sie jetzt enttäuschen. Ich war hier und würde jedem, der mir krumm kam, ohne Hemmungen zeigen, was es hieß, sich mit Emilio Luis Hernandez anzulegen.
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Dark Nights in Detroit
Teen Fiction》Und in den Glasscherben der zerschmetterten Bierflasche spiegelten sich all unsere zerbrochenen Träume und Hoffnungen wider, während die dunkle Nacht schonungslos über uns hereinbrach. Kein einziger Stern war zu sehen, als hätte selbst der Himmel a...