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-Jaemin's Sicht-

Mit zitternden Händen und wild pocherndem Herzen verstaute ich den kleinen einzelnen Schlüssel in meiner Hosentasche, bevor ich mich mit aufgesetzter Kaputze am Rand unseres Gartens entlang schlich. Ich zwängte mich durch das kleine versteckte Loch im Zaun und kämpfte mich durch die Sträucher bis ans andere Ende zur nächsten Straße. Möglichst unauffällig, aber mit schnellen Schritten, entfernte ich mich immer mehr von unserem Grundstück, bis ich an einer belebteren Straße ankam. Dort zog ich zusätzlich meinen Mundschutz auf, um nicht erkannt zu werden und setzte meinen Weg fort.
Glücklich grinste ich unter meiner Maske über meinen Erfolg und zog mir die Kaputze tiefer ins Gesicht.
Wieder einmal hatte ich es geschafft.

Geschickt schlängelte ich mich durch die Menschen und betrat eine mir nicht unbekannte Bar. Beinahe jede Nacht kam ich hierher, um meine gewonnene Freiheit auszunützen. Auch wenn ich nur herumsaß und andere Leute beobachtete. Doch heute war etwas anders. Ich ließ mich auf meinen Stammplatz in der letzten Ecke an der Bar fallen und erkannte ein fremdes Gesicht hinter der Theke. Es war nicht wie üblich die bereits pensionierte Dame, welche mir ehrlich gesagt etwas Angst machte, sondern ein junger Mann, der vielleicht nur ein bisschen älter war als ich. Hätte ich ihn zufällig auf der Straße getroffen, wäre ich niemals darauf gekommen, dass er in so einer alten schäbigen Bar arbeitete. Mit seinen gefärbten Haaren und diesem, mir den Atem raubenden, Aussehen passte er keineswegs hier her. Verträumt beobachtete ich ihn und seine flinken Bewegungen, bevor er mich mit einem Schnipsen vor meinem Gesicht aus den Gedanken holte.

"Was darfs sein?"
Immer noch konnte ich ihn nur anstarren und brachte keine vernünftige Antwort zustande, woraufhin er seinen Kopf schieflegte und mich genau begutachtete.
"Bist du überhaupt alt genug, um hier zu sein?"
Hektisch nickte ich und zog meine Kaputze wieder etwas tiefer, damit er mich ja nicht erkennen könnte, falls er wüsste wer ich war. Skeptisch beobachtete er mich dabei und schien zu überlegen, weshalb ich es schon mit der Angst bekam.

"Alkohol kriegst du von mir sicher keinen, ich will keinen Anschiss bekommen, wenn ich Minderjährigen etwas ausschenke."
Wieder nickte ich schnell.
"I-ich trinke sowieso nichts...", versuchte ich die Lage zu entschärfen und verwundert hob er eine Augenbraue, was ihn, meiner Meinung nach, noch attraktiver machte. Kurz sah er mich noch unschlüssig an, bevor er sich abwandte und zu einem anderen Kunden ging, um ihn zu bedienen.

Den restlichen Abend beobachtete ich das rege Treiben in der Bar, verfolgte einzelne Gespräche, machte mich gedanklich über ein paar Betrunken lustig, aber spürte ständig den Blick des neuen Barkeepers auf mir. Mit ihm zu sprechen, traute ich mich jedoch nicht. Vielleicht würde er mich ja doch erkennen und verraten. Wenn meine Eltern von all dem hier Wind bekommen würden, hätte ich bestimmt nie mehr eine Chance alleine wohin gehen zu können. Apropo Eltern, wie spät war es?

Hektisch kramte ich nach dem kleinen Tastenhandy, welches ich mir zugelegt hatte. Mein eigentliches Handy wurde regelmäßig von ihnen kontrolliert und außerdem konnten sie meinen Standort überprüfen, somit musste ich mir ein neues Handy für meine Ausflüge besorgen. Damit sie davon nichts mitbekommen, konnte ich mir nur ein günstiges Handy kaufen, mein Bankkonto wurde natürlich auch überwacht.
Also musste ich mich mit dem kleinen Teil zufrieden geben, aber es war okay. Eigentlich benötigte ich es sowieso nur selten.

"Was wollte ich gerade machen?", murmelte ich vor mir hin und sah verwirrt auf das elektronische Gerät von mir.
"Brauchst du was?"
Vor Schreck, da ich überlegte was ich machen wollte, zuckte ich zusammen und sah mit großen Augen zu dem jungen Barkeeper.
"Ob du was brauchst?", fragte er etwas belustigt erneut und schnell schüttelte ich den Kopf, während mir wegen seinem Lächeln etwas warm wurde. Gott sei dank konnte er meine rötlichen Wangen aufgrund meines Mundschutzes nicht sehen.
"Was macht so jemand wie du an so einem Ort wie hier?", fragte er weiter, nachdem ich nicht weiter geantwortet hatte.
"Was heißt so jemand wie ich?", stellte ich ihm leicht beleidigt eine Gegenfrage. Amüsiert lächelnd wegen meinem Verhalten rollte er seine Augen.
"War nicht böse gemeint, nur du sitzt einfach rum und bist neben mir so ziemlich der einzige, der nicht ansatzweise betrunken ist. Außerdem siehst du ziemlich jung aus und ich glaube nicht, dass man sich in dem Alter in so einer heruntergekommenen Bar aufhält."
Empört schnaubte ich auf.
"Erstens siehst du gar nicht viel von mir, dass du behaupten könntest ich wäre zu jung, zweitens schaust du auch nicht gerade viel älter aus und drittens kann es dir egal sein wo ich mich aufhalte."

Leise begann er zu kichern und dieser Anblick beruhigte mein aufgeregtes Gemüt und automatisch musste auch ich etwas zu lachen beginnen. Okay, ich verstand warum er dachte, ich sei viel jünger. Etwas kindisch benahm ich mich schon.
"Wie alt bist du denn nun?", neugierig lehnte er sich ein bisschen vor, um mich besser verstehen zu können. Daraufhin wurde mein Gesicht wieder etwas wärmer, weshalb ich sicherheitshalber meine Kaputze wieder richtete.
"Ich bin 17, werde aber bald 18.", antwortete ich zögernd und er nickte grinsend.
"Das geht noch."
Verwirrt sah ich ihn an, doch er wank nur mit seiner Hand ab, bevor er wieder zu anderen Gästen ging. Kopfschüttelnd sah ich auf mein Handy und kontrollierte nun endlich die Uhrzeit. Erschrocken stand ich auf und schob den Stuhl zurück an die Bar, so wie ich ihn vorgefunden hatte. Mit eiligen Schritten machte ich mich auf den Weg zur Tür, als mich plötzlich jemand am Arm festhielt und mich mit einem Ruck umdrehte.
"Verrätst du mir noch deinen Namen, bevor du abhaust?"
Überrascht blickte ich in das Gesicht des Barkeepers, weshalb ich etwas aufsehen musste, da er größer war als ich. Gefällt mir.
"Nana", teilte ich ihm mit und riss mich gleich darauf von ihm los, um aus der Bar zu stürmen. Meinen echten Namen zu nennen, war zu riskant. Eilig kontrollierte ich, ob mein Mundschutz auch noch richtig saß und setzte meinen Weg fort, damit ich bald zu Hause ankommen würde. Meine Eltern durften nicht merken, dass ich weg war.

escape || nominWo Geschichten leben. Entdecke jetzt