Kapitel 23

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Den Tod von Frau Ibis zu verkraften verlangte mir viel ab. Bzw. Ihn anzuerkennen. Verkraften konnte ich ihn nicht. Das ging nicht. Nicht wenn ich daran schuld war. Die Schuldgefühle fraßen mich auf und ich zog mich noch weiter in mich selbst zurück. Wenn das überhaupt möglich war.

Ich saß auf der Bank im Innenhof der Einrichtung und kramte die Scherbe aus meiner Jackentasche, beobachtete, wie die Wintersonne sich darin brach und ihr Licht mich blendete.

Ich schob meinen Ärmel nach oben, meinen Mantel trug ich nicht.

Mit einem tiefen Schnitt rann Blut aus meinem linken Handgelenk seitdem ich das mit dem Tod erfahren hatte waren die Schnittwunden mehr geworden. Ich brauchte es um mich abzulenken. Hatte beinahe schon den Drang dazu. Konnte man nach den Schnitten süchtig werden?

Der Morgen war nun auch bereits drei Tage her…fünf Tage ohne Behandlung. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte, nein, es wunderte mich nur.

Aber ich durfte, wie sie es mir versprochen hatte, so lange ich wolle draußen verbringen, solange ich mir keine Fehler erlaubte. Und das tat ich nicht, zu groß war die Angst noch mehr eingeengt zu werden.

Der Zaun, der das Gelände eingrenzte war mein Feind. Mein Gegner.

Das rote dickflüssige Blut tropfte auf den weißen Untergrund und ließ Tränen in meine Augen steigen. Sofort kehrten die Bilder zurück vor mein inneres Auge. Spielten sich detailgetreu ab und ließen mich nicht mehr los.

Ich verließ geistig die Bank und wurde zurück in die Vergangenheit ins Geschehen katapultiert.
Musste alles zum Wiederholsten Male durchleben und damit zurechtkommen, dass es mich bis zu meinem letzten Atemzug verfolgen würde. Für immer.

Ein heftiger Schmerz durchfuhr mich und ich war schlagartig wieder völlig da. Sah in zwei blaue Augen. Ich atmete tief durch um ihn nicht zu erwürgen.

„Hast du mich gerade geschlagen?!“, fuhr ich ihn an und fasste mir an die schmerzende Wange.

„Hast du das hier wirklich nötig?“, fragte er geschockt und zeigte auf meinen blutenden Arm. Seitdem er mir den Tod verkündet hatte, war ich ihm nicht mehr über den Weg gelaufen.

Ich kniff die Augen zusammen, sprang auf und wollte gehen, aber er hielt meinen Arm fest, zog mich zurück. Ja, er war viel größer als ich. Sicher mehr als einen Kopf.

Er schob den Ärmel meines Pullis nach oben, sodass er das ganze Ausmaß meines Tuns sehen konnte. Überall verkrustete Wunden und auch die ersten Narben hatten angefangen sich zu bilden.

Ich versuchte mich los zu reißen, jedoch ohne Erfolg. Er war zu stark und hielt meinen Arm so fest, dass ich kaum eine Chance hatte, von ihm weg zu kommen ohne mir den Arm zu brechen.

„Wieso?“, fragte er ernst und sah auf mich hinab. Ich wich seinem Blick aus. Ich wusste es doch selbst nicht genau. Es tat einfach gut.

Mit seiner freien Hand hob er mein Kinn an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste, als er seine Frage wiederholte.

„Ich bin krank, okay? Zufrieden? Umsonst bin ich auch nicht hier!“, schrie ich ihn an und wollte mich wieder los machen. Ich fühlte mich so klein neben ihm, so ausgeliefert.

„Ja, du bist krank!“, meinte er, stieß mich mit einem Mal von sich, sodass ich hart auf dem Boden landete, trat über mich, nahm die Scherbe und verschwand.

Ich kannte seinen Namen noch immer nicht. Aber er war ein fürchterliches Arschloch.

Ich saß auf dem Boden, weinte. Wieso? Weil.

Weil alles zu viel wurde, weil ich nicht mehr konnte und weil er mich als krank bezeichnet hatte.

Meine Hände gruben sich in den Schnee und diese Situation erinnerte mich schrecklich genau an den Tag der Beerdigung, als ich vor dem Grab saß und weinte.

Folge deinem Herzen bis in den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt