Kapitel 19

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Frau Ibis beobachtete mich skeptisch, ich hatte mich in der Zwischenzeit wieder gefangen und bemühte mich ernst zu erscheinen.

„Schön, dass du her gekommen bist…“, meinte sie, ehe sie mitten im Satz abbrach und einen Schritt auf mich zu tat, nach meinem Arm griff, der durch das Top, das ich trug nicht bedeckt war. Wie dumm konnte man eigentlich sein? Ich ritzte mich, ging zu meiner Psychologin und achtete nicht darauf, dass die Spuren verdeckt waren?! Innerlich fluchend hob ich meinen Blick und traf den ihren.

„Wann hast du das gemacht?“, ihre Stimme war streng. Ich überlegte, was ich antworten könnte. Die Wahrheit sagen und hoffen, dass man die Scherbe nicht finden würde? Lügen und sagen, dass es schon lange her sei?

„Ich habe eine Gegenfrage: Wieso sind Sie Psychologin?“, Frage und Gegenfrage. Das war doch eine gute Wahl, oder?

Kurz sah ich einen erschrockenen, dann traurigen Ausdruck über ihr Gesicht huschen, man hatte kurz durch ihre steinerne Fassade blicken können.

„Das tut nichts zur Sache, Marisa! Das hier“, sie deutete auf die beiden Schnitte „jedoch schon!“

Ich schüttelte den Kopf und hielt ihrem Blick problemlos stand. Ich würde es ihr nicht sagen! Nicht in diesem Leben.

Die Sitzung dauerte eine ganze Weile, sie stellte Fragen, denen ich auswich, oder gar nicht antwortete. Sichtlich unzufrieden entließ Frau Ibis mich schließlich mit den Worten „Geh nach draußen in den Park, das Wetter ist so schön heute. Aber vergiss deine Jacke nicht“

Erstaunt starrte ich sie an, während sie nur sanft lächelte. Noch mehr erstaunt stand ich auf und verließ den Raum.

Das kleine rothaarige Mädchen von vorhin saß noch immer auf dem Stuhl. Ich sah sie abfällig an, ehe ich an ihnen vorbei stolzierte.

Die Dame am Empfang, bei der ich mich abmeldete, wollte mir erst nicht glauben, dass ich die Erlaubnis hatte, die Etage zu verlassen, nach einem kurzen Telefonat mit Frau Ibis ließ sie mich jedoch passieren. Ich hatte eine Stunde draußen, dann musste ich wieder dort sein. Schaffte man es, sich in einer Stunde im Hof einer Irrenanstalt zu ermorden? Eher nicht.

Eiskalter Wind schlug mir entgegen und ließ mich in meinem Mantel und der Mütze, dem Rundschal frösteln. Würde ich hier überhaupt eine Stunde aushalten? Oder ich versteckte mich einfach und erfror? Aber andererseits…wo verstecken? Es gab keinerlei Möglichkeiten…

Ich setzte mich auf eine der Bänke und zog meine Knie an, legte mein Kinn hinauf und starrte vor mich hin.

Eingesperrt in der Klapsmühle, mit 16. Wieder schlichen sich die Posts meiner „Freunde“ und die Zeilen meiner ex-besten Freundin in meinen Kopf und rissen mich in irgendeine Welt, aus der ich keinen Ausweg fand.

Ich zuckte plötzlich zusammen. Sah noch immer realitätsfern um mich und entdeckte eine Gestalt neben mir.

Mehrmals blinzelnd kam ich wieder in meinem Geist an und erstarrte. Es war der Junge, der vorhin vor mir in Behandlung war.

Ich studierte sein Gesicht. Braune Haare, nichts besonderes, obwohl die Art wie er sie aufgestellt hatte nicht schlecht war, konnten sich einige Jungs eine Scheibe von abschneiden. Ansonsten recht blasse Haut, von der Kälte gerötete Wangen.

„Genug über mich gelacht?“, fragte ich sarkastisch und  rückte resigniert zum anderen Ende der Holzbank. Er grinste, verharrte aber entgegen meiner Erwartungen wo er war am linken Ende der Bank.

Er ging nicht auf meine Frage ein, sondern stellte seine eigene. „Wie heißt du?“

„Ich bin das Mädchen, das zu dumm ist, sich umzubringen…“, gab ich zurück und beobachtete seine Reaktion. Das Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht.

„Das sind wir hier alle…denk dir nichts. Wie hast du‘s versucht?“, interessierte ihn das wirklich? Er erschien mir nicht wir der Typ von Junge, der gerne über alltägliches plauderte.

„Tabletten und Alkohol“, sagte ich knapp. „Du?“

„Strick…das ist nicht angenehm, sage ich dir!“, er lachte. Wie konnte man hier nur lachen? Das konnte ich nicht mit der Situation vereinbaren.

„Und wer bist du?“, fragte ich ihn und wandte meinen Blick ab, starrte die fallenden Schneeflocken an, wie sie durch den Wind geweht wurden.

„Ich habe zuerst gefragt und du hast nicht geantwortet!“, stellte er fest und saß dann plötzlich doch neben mir.

„Ich bin nicht hier um Freundschaften zu knüpfen!“, knurrte ich und erhob mich, ging über den Platz zum Haupteingang.

Innerlich verfluchte ich mich dafür, aber ich konnte mich nicht davon abhalten, ihn noch einmal über die Schulter hinweg anzusehen. Er blickte mich an, also sah ich so schnell ich konnte wieder nach vorne und setzte meinen  Weg fort.

Erstaunt über meine frühe Rückkehr, oder darüber, dass ich überhaupt wiederkam, öffnete mir die Dame am Empfang die Tür und ich kehrte zurück in mein Zimmer.

Auf meinem Bett zusammengekringelt dachte ich nach. Darüber, wie man, wenn man immer überwacht wurde sterben konnte. Ob man in so einem Fall sterben konnte.

Folge deinem Herzen bis in den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt