Kapitel 11

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Die erste Frage, die es zu klären galt: Wann?

Wann war der perfekte Zeitpunkt um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen? Wann würde es niemand bemerken? Es musste unbemerkt bleiben, bis es vollbracht war. Es dürfte einfach niemandem auffallen. Aber eigentlich…wem sollte es auffallen?! Meinen Eltern? Sicher nicht. Die hatten ihre ganz eigenen Probleme und wenn ich es mir recht überlegte würde ich ihnen zu trauen, dass sie mit dem gleichen Gedanken spielten.
Ich konnte es am Tage machen, aber da war es zu gefährlich, der Abend oder die Nacht würden mir mehr Schutz geben. Wesentlich mehr Schutz.

Die zweite Frage: Wie?

Das war wohl das Schwerste…ich hatte mehrere Ideen. Aber entweder waren sie zu unsicher, oder ich fürchtete mich davor.
Ich würde niemals vor einen Zug springen, erstens war das Risiko des Überlebens zu groß und zweitens mussten die Schmerzen bis zum erlösenden Zeitpunkt Höllenqualen gleichen.
Von einer Brücke zu springen war zu unsicher, man würde es überleben und dann? Was dann?
Ich würde niemals an eine Waffe kommen, um mich zu erschießen. Ansonsten wäre das noch eine der besten Alternativen…obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich den Mut hatte, den Auslöser durchzuziehen.
Die Schlinge…ich zog es in Betracht, aber ich glaubte es gäbe angenehmere Weisen dem Tod entgegen zu gehen.
Die letzte Möglichkeit, die mir in den Sinn kam, war gleichzeitig die Friedlichste. Ich musste nur genügend Schlaftabletten nehmen, um nie wieder aufzuwachen. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, könnte ich zusätzlich die Tabletten mit Alkohol einnehmen, damit nichts schief gehen konnte. Ich würde friedlich einschlafen und einfach nie wieder aufwachen. Der perfekte Tod.

Die dritte Frage: Wo?

Konnte ich es meinen Eltern zumuten, mich tot im Haus zu finden?
Jedoch starb ich wesentlich lieber in meinem Zimmer, als irgendwo im Wald. Das musste schrecklich sein, im kalten nassen Wald elendig zu verrecken. Von irgendwelchen Tieren angenagt halb zerfetzt im Frühling gefunden zu werden.
Nein, da würde ich lieber mein Zimmer wählen, meine eigenen vier Wände.

Die vierte Frage: Warum?

Warum wollte ich mir das antun? Würden meine Eltern das verkraften noch ein Kind zu verlieren? Aber eigentlich…sie litten so oder so, da machte mein Tod es auch nicht schlimmer. Ich tat das doch nur, um dieser Trauer, diesen verdammten Gefühlen nicht länger ausgesetzt zu sein. Um die Veränderung der Menschen um mich herum und auch meiner eigenen Person nicht mehr sehen zu müssen, um den Bildern und der Angst zu entkommen. Um Frieden zu finden.

Die fünfte und letzte Frage: Wollte ich das wirklich?

Ich kannte die Antwort nicht, ich wusste nicht wieso ich das machen wollte, ich wusste es einfach nicht. Ich wusste nicht, ob ich es wirklich wollte. Aber ich wusste, ich würde es durchziehen.

Alle Fragen waren beantwortet…so gut es eben ging…und ich machte mich an die Vorbereitungen. Je schneller ich es tat, desto weniger konnte ich mich fertig machen, desto weniger nervös werden, desto weniger unsicher werden und meine Meinung ändern.

Am Abend um zehn vor acht standen vor mir eine Flasche Whisky – die ich im Keller gefunden hatte – und eine Packung mit hochdosierten Schlaftabletten – diese waren seit dem Tod von Alex meiner Mutter verschrieben worden.

Ich wollte mich um 20 Uhr umbringen. Diese Uhrzeit war schön. Naja…ich würde den Anfang tun, um nie wieder aufzuwachen, aber das zählte doch sicher als umbringen?!

Meine Hand tastete ein letztes Mal nach meinem Handy und schaltete es an. Ich musste meinem Bruder noch einen Text schreiben. Einen letzten Text, als lebendiges Mädchen.

„Hey du, gleich sehen wir uns wieder! Ja, ich habe Angst und ja, ich zweifle an meinem Vorhaben, aber ich ziehe das durch. Ich kann das einfach nicht länger aushalten! Vielleicht verstehen das die anderen alle nicht, aber wer wenn nicht du kann es nachvollziehen? Ich wünsche mir einfach nur, wieder glücklich zu sein, nichts weiter. Bis gleich, ich hab dich lieb Brüderchen!“

Ich schaltete das Gerät wieder ab und sah auf die Uhr. 19:59. Okay. Ich löste die Tabletten aus der Schachtel und schraubte den Alkohol auf. Atmete einmal tief durch und in dem Moment, in dem die Uhr auf 20 Uhr umsprang schluckte ich so viele Tabletten wie möglich mit dem Whisky hinunter und immer mehr, bis keine mehr übrig waren.

Vielleicht waren noch welche übrig…keine Ahnung, aber meine Sicht verschwamm und meine letzte Handlung bestand darin, mich auf mein Bett zu hieven und mich mit dem Schlafmittel mitreißen zu lassen.

Tschüss Welt. Tschüss Leben. Tschüss Herzschlag.

Folge deinem Herzen bis in den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt