10

4.1K 136 4
                                        

"Komm mit, ich zeig dir dein Zimmer". Ray geht vor Mia die Treppe nach oben und öffnet eine Tür. "Das Bad ist gegenüber. Es gibt eine Regel, die du unbedingt befolgen musst: du darfst das Haus nicht verlassen! Das ist enorm wichtig, draußen wirkt der Schutzzauber nicht". Mia nickt. "Danke" , sagt sie leise. "Ich bin in der Küche, wenn du Fragen hast oder nicht allein sein willst". Ray schliesst die Tür und Mia lässt sich aufs Bett sinken. Sie vergräbt das Gesicht in ihren Händen und lässt den Tränen ihren Lauf. Ray hört sie lange weinen und irgendwann legt er einen Schlafzauber über sie, damit sie sich ein bisschen erholen kann, bevor sie ein Gespräch führen müssen. Mia ist ein starkes Mädchen, aber sie wird eine Entscheidung treffen müssen, die ihre ganze Zukunft durcheinander würfeln wird.

Es ist schon sehr spät am nächsten Nachmittag, als Mia wieder wach wird. Sie geht kurz ins Bad und sieht im Spiegel ein Mädchen, dessen Augen nicht mehr funkeln. Sie hat Augenringe und ihre Haut wirkt fahl. Mia gibt sich einen Ruck und läuft nach unten in die Küche, wo Ray sie schon erwartet. "Gehts dir besser?" - "Nicht wirklich", antwortet sie leise. "Setz dich! Hast du Hunger? Durst?" - "Hast du ein Glas Wasser, bitte?" Wie von Zauberhand steht ein Glas vor ihr, noch bevor sie den Satz fertig ausgesprochen hat. Verwundert sieht sie vom Glas zu Ray, der sie schmunzelnd ansieht. "Stets zu Diensten, Madame. Gestatten - Raymond der Magier, genannt Ray, Wächter und Beschützer", sagt er und deutet eine Verbeugung an. "Magier? Was ist das für eine verrückte Welt, in der ich lebe?", flüstert sie und hält sich am Glas fest. "Gar nicht so verrückt, wie es jetzt vielleicht aussieht, Schätzchen. So", Ray klatscht in die Hände, "jetzt zu dir. Du bist also das Mädchen, von dem alle sprechen. Ein Menschenkind, von Lucas abgelehnt, von Logan betrogen - und trotzdem bist du nicht gebrochen" - "Äusserlich vielleicht, aber mein Herz ist zerbrochen", murmelt Mia. "Schätzchen, dass mit Logan musst du ganz schnell vergessen. Er war nicht er selbst, als er das getan hat" - "Aber ich habs doch gesehen, gespürt" - "Ich sag ja nicht, dass er es nicht getan hat, aber ... schau, Ava hat ... wie sag ich das ... Ava hat mit einer Hexe ein Tauschgeschäft gemacht. Die Hexe hat Logan mit einem Bann belegt, dafür schuldet ihr Ava ebenfalls einen Gefallen. Ava ist keine Frau die schnell aufgibt. Sie war nur Logans Bettgespielin, hat sich aber immer Hoffnung auf den Rang der Luna gemacht, obwohl Logan sowas nie auch nur angedeutet hat. Er war zufrieden ohne Frau an seiner Seite. Ich denke, er weiß nichtmal, warum du weg bist" - "Ich hab doch gefühlt, dass er glücklich ist" - "Du hast gespürt, was dir die Hexe vorgegauckelt hat. Mia, Schätzchen, Hexen sind sehr mächtig. Solange ihr nicht gänzlich verbunden seid, kann sowas immer wieder passieren. Später nur noch, wenn ihr es zulasst". Mia schaut ihn zweifelnd an. "Ich zeig dir was". Ray dreht sich von ihr weg und im gleichen Moment schiesst ihr ein Bild von ihrem Bruder in den Kopf, der schlecht gelaunt irgendetwas sucht. Doch fast sofort lacht er laut los, als hätte ihm jemand einen Witz erzählt. Gleich darauf sieht sich Mia selbst an einem Weiher sitzen, tieftraurig und allein. "Ray ... das machst du, oder? ... Hör auf, bitte" - "Hexen machen das genauso, Mia. Wir können viel in die Gedanken eines Anderen legen, sofern sich dieser nicht schützt. Aber das kann man lernen, und ich werde dir zeigen, wie das geht". Nachdenklich sieht Mia Ray an. "Du kennst Mike?" - "Ja, sehr gut sogar. Obwohl ich auch Personen oder Dinge aus deinem Kopf verwenden könnte, die ich noch nie gesehen habe" - "Woher?" - "Das kann er dir selber erklären, er ist schon auf dem Weg hierher" - "Hmm ... Ray?" Aufmerksam schaut er zu ihr. "Du meinst also, Logan hat nicht mit ihr geschlafen?" - "Doch, Schätzchen, das hat er. Aber er wusste es nicht und erinnert sich vermutlich auch nicht daran. So ähnlich, als hätte man einem Menschen K.O.Tropfen verabreicht. Willig, aber willenlos, verstehst du?" - "Trotzdem tut es weh", flüstert Mia und eine Träne rollt über ihre Wange.
Plötzlich knallt es hinter Mia und sie zuckt zusammen. Gleich darauf wird sie in eine warme Umarmung gezogen und nach einer Schrecksekunde schmiegt sie sich an ihren Bruder. "Gehts dir gut, Mia? Ich hab mir solche Sorgen gemacht, als du plötzlich verschwunden bist und nicht mal Abi wusste, wo du bist!" - "Ja ... Nein ...". Mike tauscht einen Blick mit Ray, der die beiden daraufhin alleine lässt. Mike drückt Mia zurück auf ihren Stuhl, setzt sich neben sie und hält ihre Hand. "So, Süße, jetzt erklär mir mal, was da läuft zwischen dir und Lucas und Logan" - "Woher kennst du Ray?", will Mia wissen. "Lenk jetzt nicht ab, junge Dame! Erst du!" - "Ich weiß doch auch nicht ... Lucas soll mich verstossen haben, Logan ist angeblich mein Seelenverwandter, betrügt mich aber gleich am ersten Tag, soll aber davon nichts mitbekommen haben ... meine beste Freundin ist ein Werwolf, ich bin mit Werwölfen aufgewachsen, ohne davon zu wissen ... wie denkst du, dass ich mich fühle? Meine Welt, wie ich sie kenne, existiert nicht, alle haben mich belogen. Ich weiß nicht, wem ich noch glauben kann, wem ich vertrauen kann, wer auf meiner Seite steht, verstehst du?" Verzweifelt schaut sie ihren Bruder an. "Ich hatte gehofft, es dir selber erzählen zu können ... aber jetzt hat mich die Realität überholt und das tut mir leid, Mia" - "Was meinst du?" - "Ich weiß schon länger, dass es auch andere Wesen gibt als uns Menschen. Also ... eigentlich, seit ich Ray kenne" - "Seit wann?" - "Seit fast zwei Jahren. Ray und ich sind ein Paar" - "Du hast nen Freund und sagst mir nichts?" Empört sieht sie ihn an. "Naja, du weißt ja, wie Mum und Dad zu gleichgeschlechtlichen Paaren stehen", druckst Mike herum. "Aber ich doch nicht! Mir ist es vollkommen egal, Hauptsache du bist glücklich! Du bist doch echt bescheuert!" - "Siehst du, ich habs dir gesagt", kommt da von Ray, der  inzwischen wieder bei ihnen ist. "Das ist jetzt aber nicht das Thema", sagt Mike, "du musst entscheiden, was du tun wirst, Mia. Entweder Lucas oder Logan" - "Am liebsten gar keiner", murmelt Mia, was Ray amüsiert schnauben lässt. "Ich denke nicht, dass Logan dich gehen lässt, Schätzchen" - "Und Lucas ist nicht mehr der Lucas, den du kennst. Die zwei Tage, die du weg bist, waren die Hölle, er ist unausstehlich" - "Jeder der beiden hat mir wehgetan. Und ICH muss jetzt entscheiden? Das ist doch nicht fair!" Mia sackt in sich zusammen. "Geh in dich, Mia. Wer von den beiden gibt dir trotzdem das Gefühl, geliebt zu werden?"

Mate - The Second ChanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt