In Thomas Wohnung

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Thomas Wohnung, die in einem gut erhaltenen, aber wohl schon länger nicht mehr renovierten Altbau lag, war wirklich nur 5 Minuten entfernt. Tara seufzte zufrieden, als sie die angenehme Kühle in der Wohnung spürte, die im ersten Stock,  hinter den schattigen alten Kastanien lag.

"Hey, hast Du was dagegen, wenn ich mich mal ein bisschen umgucke?"fragte sie neugierig.

"Kein Problem. Gerne. Tu Dir keinen Zwang an. Ich geh in die Küche und schau, was ich so im Kühlschrank habe."

Tara hatte ihre kleine Besichtigungstour schon gestartet, als Thomas aus der Küche rief:

"Weißwein? Bier? Wasser?"

"Ich glaube, Weißwein passt grad am besten zur Wohnung" rief sie gutgelaunt zurück.

Thomas servierte ihr ein kühl beschlagenes Glas mit seinem Lieblingsriesling vom Weingut Franzen, und sie stießen miteinander an.

"Oh, der schmeckt gut. Leicht. Schön kalt. Und das Glas ist auch ziemlich edel, oder?"

Thomas stieg sofort ernsthaft auf diese beiläufige Bemerkung ein: "Ja, weißt Du, das Glas ist unheimlich wichtig beim Wein. Wenn das Glas nichts taugt, schmeckt der beste Wein nicht. Oder jedenfalls nicht so gut, wie er schmecken könnte!"

Tara grinste: "Also ich trinke meist aus der Flasche oder aus einem alten Senfglas, wenn's mal kultivierter sein soll".

Thomas hatte den ironischen Unterton zwar verstanden, konnte aber doch nicht widerstehen und wollte seinen Vortrag über Weingläser fortsetzen.

Tara lächelt ihn an. "Also, ich würd echt wahnsinnig gern noch mehr über Weingläser hören. Aber, wenn ich dazu noch was zu essen kriegen würde, wär das super!"

"Stimmt, klar. Sorry. Ich wollte ja auch eigentlich schauen, was ich noch im Kühlschrank hab."

Thomas verschwand wieder in seiner ziemlich großen Küche, die mit Töpfen, Pfannen, Messern, Küchengeräten, einem großen alten Holztisch und zwei riesigen Kühlschränken,  doch ziemlich vollgestopft wirkte.

Das beschlagene Glas Weißwein in der Hand, besah sich Tara die vielen englischsprachigen Bücher in dem Regalen, die fast über eine ganze Wand reichten. Kriminalromane von Dick Francis, Robert B. Parker oder Philipp Kerr standen mitten zwischen Büchern von James Salter, John Irving, Joseph Conrad, Somerset Maugham und vielen anderen Autoren, die sie oft nicht kannte. Dazwischen standen massenweise zerlesene, soßenfleckige Kochbücher, Erzählungen und Reisebücher über Afrika und China.

Die auf Leinwand gemalten Kopien von Westernbildern mit Cowboys, Pferden und Lagerfeuerszenen von Frederic Remington und Charles Russell fand sie seltsam. "Ich hätte nie gedacht, dass es davon sogar Bilder gibt und nicht bloss alte, langweiligen Filme. Aber, passt irgendwie zu ihm", sagte sie zu sich selbst.

Das Tankstellenbild von Edward Hopper hatte sie schon mal irgenwie im Kunstunterricht gesehen, ein Ölbild mit eierlegenden Hühnern in einem alten Pappkarton und das Portrait von einem Schwein, das aus seinem Stall in den kalten Wintermorgen guckte, war ihr aber noch nie unter die Augen gekommen. 

Tara war anfangs etwas  irritiert über deren konventionelle Malweise und die unkonventionellen Motive. Irgendwie fand sie die Bilder sogar ein bischen punk. "Wie Punk im Tweed Sakko", dachte sie bei sich selbst.

An der anderen Wand hingen zwei große Malerleinwände mit aufgeklebten Fotos, Zeitungsausschnitten, alten Reisepässen. Auf einigen Fotos war Thomas zu sehen. Darunter stand ein riesiges Sof,  mit einem bunten Patch-Work-Bezug aus afrikanisch wirkenden Motiven, davor lag ein Teppich aus zusammengenähten, ugandischen Kaffeesäcken.

Thomas werkelte immer noch in der Küche. Offensichtlich arrangierte er eine künstlerisch sehr wertvolle kalte Platte. Das gab Tara die Gelegenheit, sich noch den großen, direkt am Fenster stehenden Schreibtisch mit dem großen iMac darauf anzuschauen. Ein Menge Papier mit technischen Texten und Zeichnungen lag ziemlich chaotisch herum. Tara nahm ein dickes Bündel mit dem Einband: "Technical Specifications for a Hydrogen Fuel Cell System for Marine Propulsion".

"Oh Mann, das liest sich ja echt spannend. Und sowas übersetzt er. Krass". Tara war aber doch ein bisschen beeindruckt, daß Thomas offensichtlich in der Lage war, so kompliziert klingende technische Sätze zu übersetzen.

Sie tippte spielerisch auf eine Taste am Keyboard. Ein kurzes Flackern und der Bildschirm wurde hell. Tara konnte ganz kurz eine Push-Nachricht lesen, die gleich wieder verschwand:

"Dominant Girfriend News".

"Was älteren Männern alles so einfällt, wenn sie am Computer sitzen", dachte sie. "Ob er wohl echt auf sowas steht?".

PUNK GIRL PASSION (german)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt