6 - Oscar & Paul

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Mein Wecker auf dem Smartphone weckt mich pünktlich um 7:00 Uhr. Ich taste danach und schaue aufs Display. Freitag und das Datum von gestern leuchten mir entgegen. Ich knurre wütend und drücke meinen Kopf wieder in mein Kissen. Am liebsten möchte ich liegen bleiben, aber das hilft mir ja nicht.

Ohne genau hinzusehen schreibe ich meine üblichen Nachrichten an Steve und Katherine.

Sorry, es bleibt bei dem
einen Mal. Bin kein Typ
für Beziehungen. Bitte
ruf' nicht mehr an.

Anschließend stehe ich auf und gehe ins Badezimmer. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, meine Annahme zu überprüfen und dusche gleich mit dem Rest meines Duschgels, quetsche anschließend den Rest meiner Zahnpasta aus der Tube und finde mit einem Griff die alte Probepackung Haargel in der Schublade.

Ohne nach dem Kaffee zu suchen, gehe ich gleich nach unten. Mrs. Rogers versucht wieder ihr Apartment aufzuschließen. Heute ignoriere ich sie und gehe auch direkt ohne ein Wort am Postboten vorbei. Wen interessiert es auch, wenn ich nett bin? Morgen.. oder besser gesagt heute, nur eben in meinem Morgen, können sie sich ohnehin nicht daran erinnern. Während ich darüber nachgrübele, habe ich eine fantastische Idee und mache mich direkt auf den Weg zum Café.

Am Tresen fragt mich Emma nach meiner Bestellung.
„Einen Kaffee bitte. Latte Macchiato. In Venti. Mein Name ist Peter Pan", sage ich und lege das Geld auf den Tresen. Sie schaut mich verblüfft an, grinst kurz über den Namen, kritzelt ihn aber auf einen Zettel und sagt dann nur: "Okay, ich bringe es dir gleich zum Tisch, Peter."

Heute setze ich mich auf den Platz, den Paul sonst immer gewählt hatte. Bin gespannt, wie er das findet. Emma bringt mir ein riesiges Glas milchigen Kaffees und ich sehe auf die Uhr. Gleich müsste er kommen.

Die Tür öffnet sich und Leon und Mia kommen mit Paul rein. Sobald er das Café betritt, sieht er mich dort sitzen und sein Blick verfinstert sich erst, bevor er sich in Verblüffung wandelt, weil ich an seinem Tisch sitze. Ich hebe nur herausfordernd eine Augenbraue.

Emma umarmt und küsst alle, dann sucht Leon sich einen kleinen Tisch neben mir aus, an dem sie alle deutlich gequetschter sitzen als an dem, den ich für mich beansprucht habe. Paul wirft mir erneut einen finsteren Blick zu und setzt sich mit dem Rücken zu mir. Emma kommt mit dem Tablett, stellt Leon einen Kaffee hin und plappert drauf los. Kein Glas fällt, aber das habe ich fast erwartet.

Ich stehe auf, nehme mein Glas und kippe es Paul von hinten über den Nacken. Leon, Mia und Emma starren mich entsetzt mit weit aufgerissenen Mündern an, während Paul erschrocken aufschreit, als ihn die milchige Flüssigkeit durchtränkt.
"Was zur...?", schreit er.
Ich grinse nur und verlasse dann schnell das Café. Beim Hinausgehen höre ich noch, wie Emma sagt: "Er hat gesagt, sein Name ist Peter Pan."

Ich bin noch nicht ganz an der Straßenecke angekommen, als er mich wutentbrannt einholt.
"Sag' mal, spinnst du?", schreit er mich an und packt meinen Arm.
Gelassen drehe ich mich um und funkele ihn an.
„Das hast du wohl nicht kommen gesehen, oder?", zische ich.
"Natürlich nicht, du hast ja auch an meinem Tisch geses-"
Seine Augen werden groß, als er feststellt, dass er sich gerade verplappert hat.
Mild lächelnd drehe ich mich um und lasse ihn einfach so stehen. Daran darf er jetzt erst einmal eine Weile knabbern.

Ich schlendere zum Supermarkt, denn ich hatte noch immer keinen Kaffee und irgendwie bezweifle ich, dass Emma mir jetzt eine French Press zubereiten wird. Ich kaufe Kaffee, Haargel, Duschgel und Zahnpasta und mache mich dann auf den Weg nach Hause. Dort bereite ich mir meinen ersten Kaffee des Tages zu und überlege, wie ich diesen Paul, der ganz offensichtlich mein Schicksal teilt, dazu bringe, mit mir über unsere Situation zu reden.

Immerhin hat er es schon zugegeben, wenn auch unfreiwillig. Ich werde wohl oder übel bis heute Abend warten müssen und darauf hoffen, dass er wieder bei Nicole auftaucht, denn noch immer habe ich keinen Schimmer, was er den ganzen Tag so treibt.

Nachdem ich meinen Kaffee ausgetrunken habe, schnappe ich mir mein Sportzeug und gehe ins Fitnessstudio. Der Vorteil, wenn alle außer einem selbst zur Vorlesung gehen, ist, dass man alle Geräte für sich alleine hat.

Verschwitzt, zufrieden und etwas müde gehe ich wieder nach Hause, dusche und lasse mich aufs Sofa fallen. Tino kommt erst in zwei Stunden, so lange kann ich noch eine Runde schlafen.

„Oscar?", weckt mich Tino. Ich schrecke hoch und muss mich kurz orientieren, das wird sich wohl nie ändern. Morgen lege ich mich besser ins Bett.
„Was?", murmele ich verschlafen.
„Wieso bist du schon zu Hause?"
„Hä?"
„Hast du heute keine Vorlesungen?"
„Keine Lust", murmele ich.
Er lacht auf und lässt sich neben mich aufs Sofa plumpsen, nachdem er seine PlayStation eingeschaltet hat.
„Eigentlich bin ich immer derjenige, der sowas sagt."

„Heute Abend Party bei Nicole?" frage ich Tino.
Er blickt gar nicht vom Spiel auf und macht nur: „Hä?"
Ich rolle mit den Augen.
„Wollen wir heute Abend zu Nicoles Party?"
„Nicole schmeißt eine Party?", fragt er. In dem Moment piept sein Handy mit einer Nachricht. Er setzt das Spiel auf Pause und sieht nach.
„Nicole schmeißt heute Abend eine Party und fragt, ob wir auch kommen", erklärt er.
„Sag ich doch", grinse ich. Wieder.

Ein paar Stunden später bin ich mit Tino auf dem Weg zu Nicoles Wohnung. Schon von weitem sehe ich, dass jemand neben der Haustür steht und zu warten scheint.
Das ist neu.

Als wir näher kommen, trifft mich Pauls finsterer Blick und Tino murmelt verwundert: „Kennst du den Typen?"
„Ja, alles gut", erwidere ich gelassen. „Geh' schon mal vor, ich komm' gleich nach."

Tino sieht erst mich zweifelnd an, dann wieder zu Paul. Und weil Tino eben Tino ist, macht er allen Ernstes die Zwei-Finger-auf-die-Augen-Ich-beobachte-dich-Geste zu ihm.
Paul ist einen kurzen Moment verwirrt und sieht ihn an, als hätte er nicht alle Latten am Zaun.
Tino verschwindet im Hauseingang und Paul wendet sich wieder mir zu.

„Guten Abend", sage ich höflich. Nur, weil er ein Arschloch ist, heißt das noch lange nicht, dass ich auch eins sein muss.
„Was sollte das heute früh?"
„Nun, ich hatte eine Theorie und die musste bewiesen werden."
„Indem du fremde Menschen mit Kaffee überschüttest?"

„Nun, ich gebe zu, das Mittel war etwas fragwürdig, aber beim letzten Mal warst du nicht besonders kommunikativ, da musste ich kreativ werden."
„Ich hab' dir doch gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst", faucht er wütend.
„Ja.. ich erinnere mich", überlege ich mir meiner Hand am Kinn. „Aber ich denke, das werde ich nicht tun."

Seine Augen blitzen und an seinem Brustkorb, der sich rasch hebt und senkt, kann ich erkennen, dass er sehr wütend ist. „Warum tust du das?"
„Du und ich, wir sind die Einzigen, die diesen Tag immer und immer wieder erleben", zische ich nun. „Ich will eine Lösung dafür finden."

Er lacht abfällig. „Die Lösung ist ganz einfach: Halt' dich aus meinem Leben raus!"
Damit dreht er sich um, geht und lässt mich ein weiteres Mal dumm vor dieser Tür stehen.
Ich bin so wütend, dass mir förmlich die Spucke wegbleibt. Kurz überlege ich, ob ich ihm nachlaufe und ihm eine verpasse. Sein hübsches Gesicht wird morgen früh leider kein blaues Auge haben, aber mir würde es danach viel besser gehen.
Stattdessen gehe ich die Treppe nach oben und warte, dass seine Schwester und seine Freunde auftauchen.

Wiederholungsfall | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt