11 - Paul & Oscar

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„PAUL!", schreit mein bester Freund vor meiner Zimmertür und ich schrecke hoch. Was macht er hier? Ich schaue auf mein Smartphone.
Freitag, 8:10 Uhr.
Warum hat Oscar nicht angerufen?
Die Tür geht auf und Leon stürmt herein.
„Wieso bist du nicht wach?"
Ich reibe mir die Augen und murmele: "Ich bin wach, Leon. Und ich weiß, wir müssen zum Gericht. Und du wirst deinen Führerschein zurückbekommen. Und ich stehe gleich auf, du kannst schon mal draußen im Auto bei Mia warten."

Verdutzt klappt Leons Mund auf und zu und er geht wortlos aus dem Zimmer.
Ich stehe auf und vermeide dabei meinen Nachttisch. Schnell suche ich mir Sachen raus, ziehe mich an, flitze ins Bad und putze meine Zähne. Währenddessen frage ich mich, warum Oscar nicht angerufen hat. Kurze Zeit später steige ich zu Leon und Mia ins Auto.
„Hi Paul", zwitschert sie.
„Morgen", antworte ich.
„Ausgerechnet heute muss er verpennen!", meckert Leon, während Mia losfährt.

Zehn Minuten später halten wir - wieder einmal - vor dem Gerichtsgebäude. Leon zappelt nervös herum. Ich kann ihn nicht aufmuntern, ich will am liebsten die Zeit vorspulen, damit ich weiß, warum Oscar sich nicht gemeldet hat. Fuck, wieso hat nur er meine Nummer und ich nicht seine?

Eine Stunde später kommen wir wieder aus dem Gebäude und Leon umarmt zuerst Mia, dann mich.
„Und jetzt gibt's erst mal Kaffee! Ich fahre!", ruft er ausgelassen und springt ins Auto.
„Gott sei Dank!", sagt Mia.

Leon fährt uns, fast langsam, zum Café. Emma steht am Tresen und kommt freudestrahlend hervor, um uns überschwänglich zu begrüßen. Ich sehe zu dem kleinen Tisch am Fenster und stutze. Er ist leer. Verwirrt schaue ich mich um. Wo ist er?
"Ist alles okay, Paul?", fragt meine Schwester.
"Äh, war heute früh schon ein.. Dr. Jeckyll hier?", frage ich zurück.
"Was? Nein."
"Bruce Banner? Darth Vader?"
"Willst du mich verarschen, Paul?"
Ich schließe die Augen und hole tief Luft. Warum ist er nicht hier? Ohne ein weiteres Wort verlasse ich das Café.

Ich versuche kurz, den Abend gestern zu rekonstruieren. Ich hatte getrunken. Viel.
Ich habe ihm gesagt, dass ich mir wünsche, dass Samstag ist und ich ihn nie wieder sehe. Nicht gut.
Und dann habe ich ihn geküsst. Fuck.
Und er hat mich weggedrückt.
Er hat gesagt, es wäre nicht richtig.
Verwirrt fahre ich mir durch die Haare. Scheiße. Ich muss mit ihm reden und die Sache klar stellen. Er ist der Einzige, dem es genauso geht wie mir.

Ich renne los zu Nicoles Wohnung. Ich stehe kurz davor, dann drehe ich mich wieder um und renne drei Blocks weiter zu dem Haus, von dem ich meine, dass er dort wohnt.
Ich stehe unten an der Tür und sehe auf das Klingelschild. Ganz oben steht DiNapoli/Gilligan.
Ich atme tief durch und drücke den Klingelknopf.
Nach etwa einer Minute drücke ich erneut.
Ist er nicht zu Hause? Fuck.

Verzweifelt drücke ich einen anderen Klingelknopf.
"Ja?", höre ich die Stimme einer älteren Dame. Oh, ich erinnere mich, dass Oscar mir von ihr erzählt hat.
"Äh.. ja.. hi. Mein Name ist Paul, ich bin ein Freund von Oscar. Wissen Sie zufällig, ob er da ist?"
"Ja, ist er. Er hat sich vorhin Kaffee von mir geliehen. Ich mache Ihnen auf."

Ich höre den Türsummer und drücke die Tür auf. Schnell eile ich die Treppen nach oben. Auf der zweiten Etage steht die freundliche alte Lady in ihrer Tür.
"Vielen Dank", lächele ich sie an.
"Sehr gern", antwortet sie. "Ich glaube, Oscar geht es heute nicht so gut. Er sah ganz blass aus", fügt sie besorgt hinzu.
"Dann schaue ich mal besser nach ihm", sage ich und haste weiter nach oben.

Vor seiner Tür hole ich kurz Luft, um mich erst einmal zu beruhigen. Dann hebe ich meine Hand und klopfe fest an die Tür.
Eine Weile passiert nichts, dann ist von innen ein Knarren der Dielen zu hören und die Tür öffnet sich. Oscar steht vor mir, barfuß, mit zerzausten Haaren und nur in einer Boxershorts.
"Paul", sagt er überrascht.
"Oscar", erwidere ich und muss mich zusammenreißen, nicht auf seinen nackten Oberkörper zu starren.

Wiederholungsfall | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt