Kapitel 9 - Das Lasagne-Drama

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Als Pepe mich zuhause absetzte, war ich vollkommen entkräftet und trotzdem fühlte ich mich so gut, wie seit Langem nicht mehr. Zu meinem Glück fehlte jetzt nur noch mein gemütliches Bett. Ich konnte es kaum erwarten mich auf meine weiche Matratze fallen zu lassen und mich in meine Decke zu kuscheln.

Wahrscheinlich würde ich das erste Mal seit Jahren sofort einschlafen können, ohne mich stundenlang und mit wirren Gedanken im Kopf hin und herwälzen zu müssen.

"Wo kommst du denn so spät her?", ertönte die Stimme meiner Mutter, als ich zur Tür rein kam.

"Ich war noch wegen eines Schulprojektes verabredet", log ich.

Es war unwahrscheinlich, dass sie mir das glaubte, denn ich war mir sicher, dass sich meine Gesichtsfarbe noch immer nicht vollständig von der intensiven Sporteinheit erholt hatte.

"Jetzt habt ihr noch Projekte? So kurz vor den Prüfungen?" Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. "Wie auch immer. Im Kühlschrank ist Lasagne."

"Kein Hunger", murrte ich mit dem traumatisierenden Gedanken daran, wie ich mir beim Training übergeben musste.

Mama zog eine Augenbraue hoch und sah mich skeptisch an.

"Gut, dann hast du morgen etwas zum Mittag."

"Ehrlich gesagt, mache ich mir lieber einen Salat."

Sofort schnellte der Blick meiner Mutter zornig zu mir. Man hätte meinen können, ich hätte ihr die schlimmsten Beleidigungen an den Kopf geworfen.

"Ist das jetzt dein Ernst?"

Ihr Tonfall ließ nichts Gutes erahnen.

"Ja, ich möchte ein bisschen gesünder essen."
Zu meiner Verwunderung sah Mama mich weder glücklich noch stolz an. Sie meckerte doch ständig an meiner Figur und jetzt, wo ich endlich etwas ändern wollte, war es ihr auch nicht Recht?

"Weißt du eigentlich, wie lange ich für die Lasagne in der Küche gestanden habe? Erst sagt Ava, dass sie keinen Appetit hat, dann sagt dein Vater, dass er sich lieber einen Burger holt und jetzt kommst und ziehst einen Salat vor? Ist das dein Ernst? Wozu mach ich all den Mist hier?"

"Es tut mir leid", ruderte ich sofort zurück, denn ich hatte nicht mehr die Kraft für einen Streit "Aber Lasagne ist nun wirklich nicht gesund."

Mama Mutter lachte mit einer Mischung aus Wahnsinn und Hysterie.
"Mein Gott, Lilly! Diese eine Lasagne macht dich nicht fett!"

"Ich möchte sie trotzdem nicht essen."
Mama sah aus als würde sie gleich explodieren.

"SCHÖN!", feuerte sie in meine Richtung. Dann ging sie zum Kühlschrank öffnete gewaltsam die Tür und nahm die Lasagne heraus. "Dann schmeißen sie wir halt einfach weg! Ist es das, was du willst?" Wütend stapfte sie zum Mülleimer und versenkte sie dort. Genau so, wie sie es neulich mit dem Salzstreuer getan hatte. "Ihr seid alle so undankbar! Wage es nicht, mich noch einmal um irgendetwas zu bitten! Ich habe es so satt! Es reicht mir!"
Nun war auch ich wütend. Warum musste ich mal wieder ihren Frust abbekommen?

"Man hätte die Lasagne auch einfrieren können, anstatt sie wegzuschmeißen", knurrte ich.

"STIMMT!", brüllte Mama mich an. "Denn deine Diäten halten doch eh nie länger als einen Tag. Morgen hättest du sie dir wahrscheinlich doch reingestopft!"
Wie angewurzelt stand ich da, während meine Sicht durch die aufkommenden Tränen verschwand.

Lass dich nicht provozieren, Lilly! Genau das will sie! Sie will dich provozieren! Sie will dich verletzen! Aber das machst du nicht mit! Du bist stark! Du bist stärker als sie!

Ich biss mir fest auf meine Unterlippe, um all die Schimpfwörter, die mir gerade durch den Kopf schwirrten, zu unterdrücken.

Ich warf ihr lediglich einen letzten vorwurfsvollen Blick zu und lief dann die Treppe nach oben. Ich stapfte lauter voller Zorn lauter auf, als ich geplant hatte.

Was hatte ich meiner Mutter getan, sodass sie mich so behandelte?

Ich wollte in mein Zimmer flüchten, doch Ava lief mir über den Weg.

"Toll", sprach sie mich an. "Was hast du jetzt schon wieder angestellt, dass Mama so sauer ist? Das Gebrüll konnte ich bis in mein Zimmer hören!"

"Das gleich wie du: Ihre Lasagne nicht gegessen", ließ ich meine Schwester wissen und wischte mir meine Tränen weg.

"Dir schmeckt das Zeug doch wenigstens! Hättest du nicht einfach essen können?"
"Nein", blieb ich standhaft.
"Du bist echt so ein Sturkopf! Wärst du nur halb so zickig, hätten wir bei weitem nicht so viel Streit in dieser Familie."

Das musste ausgerechnet sie sagen.

Auch wenn wir Zwillinge waren, hatten wir nie eine enge Bindung gehabt. In unserer Hass-Liebe hatte es schon immer mehr Hass als Liebe gegeben.

"Ach halt doch die Klappe!", raunte ich noch, ehe ich in mein Zimmer verschwand.

Es würde wohl doch nichts mit einem erholsamen Schlaf werden.

Ich holte mein Handy aus der Tasche und schaute ich mir zur Ablenkung auf Instagram ein paar Stories an. Wie glücklich und erfüllt das Leben der anderen doch war... oder zumindest schien.

Dann sah ich die Story von Charly. Sie zeigte, wie sie, Dzanan und Mathilde gemeinsam ein Picknick im Park machten. Sie lachten und alberten.

Meine Laune verdüsterte sich noch mehr. Jetzt machten sie nicht einmal mehr ein Geheimnis daraus, dass sie sich auch ohne mich trafen. Ich und meine Gefühle waren ihnen einfach egal.

Wütend feuerte ich das Handy in mein Kopfkissen. Diese Miststücke! Die hatten mich nicht verdient! Ich war besser als die! Ich würde niemals jemanden so etwas antun!

Warum waren alle immer so gemein zu mir? Ich tat doch niemandem etwas.

Mein Handy vibrierte und ich zögerte. Wollte ich wirklich wissen, wer mir geschrieben hatte?

Die Neugierde überwog und ich sah nach.

Bela.

Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.

Hey, wie war es beim Crossfit?, erkundigte er sich.

Das Training kam mir vor, als hätte es vor Jahren stattgefunden.

Besser als gedacht, antwortete ich. Aber du hast gelogen. Du hast gesagt, du wärst auch da!

Ich war mir immer noch nicht sicher, wie übel ich ihm das nehmen sollte.

Tut mir leid, schrieb er sofort zurück. Ich wollte dich nicht belügen, aber ich hatte keine Wahl. Du wärst nicht gekommen, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich nicht da sein werde. Ich fand es aber sehr wichtig, dass du die Erfahrung ohne mich machst und dich auf neue Leute einlässt. Verzeih mir! Ich habe es gut gemeint, aber du hast Recht: Lügen ist doof.

Ich musste ein wenig schmunzeln und konnte ihm nicht lange böse sein.

Vergeben und vergessen, tippte ich.

Er antwortete mit einem einfach Smiley. Ich starrte eine Weile an die Decke und versank in meinen Gedanken. Bela war die einzige Person, bei der ich mich immer wohl gefühlt hatte. Er war der einzige, der mir nicht das Gefühl gegeben hatte, dass ich nicht gut genug war. Er hatte mich immer so akzeptiert wie ich war.

Ich vermisse unsere Freundschaft, ließ ich ihn wissen. Was wir hatten, war wirklich besonders.

Erwartungsvoll sah ich auf das Display.

Wir können das gerne wieder aufbauen :)

***Lillys Instagram Account: upsandownsoflilly

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