Kapitel 17 - Kiss me under the cherry tree

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Pepe hat mich an jenem Abend doch noch nach Hause gefahren. Ich hatte nicht widersprochen, denn die Vorstellung alleine in die Bahn zu steigen, war vollkommen absurd gewesen. Zu tief hatte der Schock gesessen.

Pepe und ich hatten noch gut eine Stunde in seinem Auto gesessen und einfach nur geredet, damit ich irgendwie das verarbeiten konnte, was ich kurz zuvor erlebt hatte. In diesem Moment war mir wieder bewusst geworden, wie einfühlsam er war. Er war ein guter Zuhörer und hatte mich geduldig reden lassen, als ich versucht hatte meine Gefühle in Worte zu fassen.

Erst am nächsten Tag waren mir die Blessuren aufgefallen. Ich hatte ein großes Hämatom im Brustbereich, Abschürfung an meiner Wange und ein geschwollenes blaues Augen. Diese Wunden würden schnell verheilen, das Gefühl der HIlflosigkeit und Angst würde vermutlich deutlich länger anhalten.

Da Mama war noch so beschäftigt mit dem Umzug gewesen war, hatte sie meine schlecht kaschierten Verletzungen nicht wahrgenommen. Ava bekam ich nicht einmal zu Gesicht, denn im Gegensatz zu mir hatte sie im Moment tatsächlich Abi-Prüfungen und lernte von von morgens bis abends. Da wir nicht auf eine Schule gingen, wusste auch sie noch nicht, dass ich nicht zum Abi zugelassen worden war.

"Es tut mir so leid, Lilly", sagte Bela sichtlich emotional, als wir uns einen Tag nach dem Angriff unter dem Kirschbaum trafen. "Ich hätte dich auf den Bahnsteig begleiten sollen. Es tut mir so leid."

Er fiel mir um den Hals und umarmte mich fest. Gestern Abend hatte er etliche Nachrichten geschrieben, weil ich nicht vereinbart bestätigt hatte, dass ich gut zuhause angekommen war. Als ich ihm um Mitternacht geschrieben hatte, was passiert war, hatte er sofort darauf bestanden, dass wir uns am nächsten Tag sehen müssen.

"Du konntest doch nicht wissen, dass ich dort auf solche Idioten treffe."
"Nein, aber ich weiß, dass dieser Bahnsteig abends oft menschenleer ist. Ich hätte diese Gefahr erahnen müssen."

"Bela", sagte ich sanft, denn man sah ihm deutlich an, wie sehr ihn das belastete. "Es ist nichts Schlimmes passiert. Ja, der Schock sitzt tief, aber körperlich habe ich nicht viel abbekommen."

Er schüttelte den Kopf.

"Dein Augen sieht übel aus, auch wenn du versucht hast es zu überschminken. Glaubst du, ich sehe das nicht? Ich will mir gar nicht vorstellen was passiert wäre, wenn Pepe nicht zufällig da gewesen wäre."

Das wollte ich mir tatsächlich auch nicht vorstellen. Noch immer wusste ich nicht, wie weit die Drei wohl gegangen wären. Gestern Abend hatte ich ihnen tatsächlich alles zugetraut. Auch deshalb hatte ich Todesangst gehabt. Insbesondere der Blick von Mathilde war unberechenbar gewesen.

Ich war ausnahmsweise froh, dass ich nicht mehr im Haus wohnte, sondern in der Wohnung. So würden sie mich nicht so schnell ausfindig machen können.

"Er war ja zum Glück da", beschwichtigte ich.

Wir ließen uns in dem saftig grünen Gras unter dem Kirschbaum nieder. Die Blüten waren mittlerweile verschwunden. Dafür hatte sich ein Blätterkleid an den Ästen gebildet.

"Ich habe mir wirklich solche Sorgen gemacht", betonte Bela noch einmal.

Wir hatten gestern Nacht noch telefoniert, sodass er bereits genau wusste, was passiert war.

Ich sah zu ihm und die Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es war der Moment, in dem ich mich mutig fühlte. Ich griff nach seiner Hand und hielt sie einfach nur fest. Er ließ es zu. Zumindest für diesen Moment.

"Ich weiß", sagte ich, während mein Puls immer schneller wurde. "Aber mach dir bitte keine Vorwürfe!"

Sein Blick wanderte er zu unseren Händen, dann zu meinem Gesicht. Es fühlte sich gut an seine Hand zu halten. Sie war warm und weich. Schließlich ließ er seinen Daumen über meinen Handrücken kreisen.

Sofort begann mein gesamter Körper zu kribbeln.

"Du bist wirklich stark, Lilly. So viel stärker als du ahnst."

Ich lächelte ihn an. Es war schön von ihm Komplimente zu bekommen. Noch schöner waren jedoch seine Berührungen.

Dann zog er jedoch plötzlich seine Hand weg und legte sich neben mich auf den Rasen. Er schloss die Augen.

Perplex starrte ich ihn an. Warum machte er unseren Moment kaputt?

"Lilly, ich habe das neulich übrigens ernst mit Australien gemeint. Das wäre doch eine wirklich gute Gelegenheit für dich."

Ich setzte mich stirnrunzelnd auf und sah ihn ein wenig verletzt an. Ich wollte jetzt nicht über Australien jeden. Im Prinzip wollte ich gar nicht reden.

"Wieso willst du mich denn los werden? Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich niemals trauen würde allein ins Ausland zu gehen, würden wir uns Monate lang nicht sehen können."
Er öffnete wieder seine Augen und sah in mein verletztes Gesicht.

"So ist das nicht gemeint", ruderte er sofort zurück. "Ich kann mich aber noch sehr gut daran erinnern, wie du immer von Australien geschwärmt hast und jetzt ist doch die perfekte Zeit für ein Abenteuer. Du gehst von der Schule ab und hast noch keinen richtigen Plan."

"Du hast auch immer von Australien geschwärmt", erinnerte ich ihn. "Warum machen wir das nicht gemeinsam?"

Ich spürte wie er sofort nervös würde. Diese Idee gefiel ihm offenbar ganz und gar nicht.

"Ich habe hier einen Job. Da kann ich nicht so einfach weg."

"Das ist eine faule Ausrede! Du kannst in Australien genauso gut als Personal Trainer arbeiten."
"Lilly", sagte er schon fast belehrend. "Ich habe mir hier in den letzten zwei Jahren einen Kundenstamm aufgebaut. Das war nicht einfach."

Die Vorstellung mit Bela durch Australien zu reisen, wurde für mich immer reizvoller. Als Kinder hatten wir uns tagelang ausgemalt, was wir alles machen würden. Surfen, Kangaroos streicheln, Tauchen, Koalas auf dem Arm halten, Bananen ernten und frische Cashews essen.

"Man muss sich auch mal Herausforderungen stellen", äffte ich liebevoll Belas Tonfall nach. Schließlich waren das doch immer seine Worte. Zum Glück nahm er es nicht persönlich und lächelte mich schief an. "Stell dir das doch mal vor!", versuchte ich ihn zum Träumen zu bringen. "Wir beide an einem weißen Sandstrand. Über uns sind Palmen. Im Wasser schwimmen Delfine."

Mir war bewusst, dass die Realität wahrscheinlich eher von Jobs im Niedriglohnsektor geprägt sein würde, doch damit würde ich ihn wohl nicht locken könne.

"Das kannst du doch auch ohne mich haben", ließ er mich wissen.

Ich sah ihm tief in die Augen, damit er meine Botschaft verstand.
"Ich will diese Erfahrungen aber nicht ohne dich machen."

Bitte, Bela, versteh doch endlich, wie sehr ich dich wirklich mag!

Er seufzte.

"Gib mir ein paar Nächte, um darüber nachzudenken, okay?"

Ich sprang vor Freude auf.

"Wirklich?", fragte ich überschwänglich.

"Ich habe nicht zugesagt, sondern nur gesagt, dass ich es mir mal durch den Kopf gehen lassen, denn für mich wird es viel zu organisieren geben. Also setz dich wieder hin!"

Ich gehorcht. Das Grinsen aus meinem Gesicht konnte man jedoch nicht mehr bekommen. Allein die Tatsache, dass er es in Erwägung zog, sagte mir, dass er für mich mehr empfinden musste. Sonst würde er sich doch nicht vorstellen können mit mir in ein fremdes Land zu gehen.

Ich rückte näher an ihn heran. Ich wollte ihm deutlich machen, dass ich in uns beiden mehr sah, als nur zwei Freunde.

***

Lillys Instagram Account: upsanddownsoflilly

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