Eine alte Vorsehung

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„Heil dir, Maglor Fëanorier, Ich bin Goldbeere.“ Die Frau streckte ihm ihre weißen Arme entgegen. „Zu lange, wart Ihr verloren.“
 
Sie ist kein Elb, oder Mensch.
 
Maglor verneigte sich, eine Geste der Formalität. Es war, als hätte man ihm gegeben, was er einst verlor, denn ihr Lächeln ließ die Sonne in seinem Geiste aufgehen.
 
„Ich bin die Tochter des Flusses und ich komme, um Euch zu begrüßen und zu dem Haus des Tom Bombadil zu begleiten, Iarwain ben Adar. Kommt.“
 
Sie ging voraus, grüne Stufen hinab, beinahe glichen ihre Schritte einem seichten Tanz. Er folgte ihr, sah grauen Rauch aus einem Schornstein aufsteigen. Vor ihm lag eine kleine Hütte, eingehauen in einen kleinen Hügel, die Tür stand offen und er folgte ihr hinein. Sie stellte Essen und Wein bereit und er beobachtete sie, denn war sie so schön, wie die Königinnen der Elben, ihr Kleid grün, wie das frische Gras, das im Frühling zu wachsen begann. Sie trug eine kleine Brosche, geschmückt mit vielen blauen Blumen, doch war dies das einzige Ornament, welches sie verraten könnte.
 
„Euer Sohn saß dort.“ Sagte Goldbeere und Maglor wurde von einer ernüchternden Welle des Schockes ergriffen und sein Herz schlug schneller, wie die Flügel eines aufgeschreckten Vogels.
 
„Werte Dame – wie, wie könnt Ihr wissen, wer ich bin und wen ich zu finden wünsche?“ fragte er und sie stockte, bedachte ihn eines langen Blickes.

„Er sieht aus wie Ihr.“ Sagte sie. „Und das Vermächtnis eures Blutes ist stark in euch.“
 
Er stand rasch auf, wie sein Sohn, der es ihm damals gleichgetan hatte, als Bombadil zu ihm gesprochen hatte.
 
„Ich muss ihn finden…“ viel zu viele unausgesprochenen Worte schnürten ihm die Kehle zu, zu viel Gefühl. „Ich ahnte es niemals… Ich weiß nicht einmal jetzt, wie es möglich ist, einen Sohn zu haben. Ich weiß nun, wer die Mutter ist.“

Großer Eru, ich war im Wahn, verrückt. Ich wusste nicht, dass sie… und wir dachten, sie sei tot.
 
„Er lebt in Imladris, was westlich des Turmes liegt,“ erzählte ihm Goldbeere. „Und lange lebte er in Lindon unter Gil-Galad.“
 
Mein Sohn folgt Gil-Galad?
 
Er erinnerte sich an das Kind Fingons und sein Herz wurde schwer. „Ich verstehe das nicht.“ Scham stieg in ihm auf und seine Wangen erröteten. „Ich habe seine Mutter vergewaltigt! Sie müsste tot sein, wie konnte sie leben um ihm jenes zu gewähren?“
 
„Ihr kanntet sie. Das sollte Eure Fragen beantworten.“
 
Er schaute einmal zurück auf all die Jahre, die er mit seinen Brüdern verbracht hatte, suchte nach weiteren, fand, wie egozentrisch und dumm sie doch alle gewesen waren. Er hatte Fanari Penlodiel nur vier Mal gesehen. Nachdem sie mit Turgon verschwand, hatte er nie wieder an sie gedacht und sie hatte gewusst, dass er niemals eine Frau lieben könnte. Und doch hatte er sie gemocht, wenn sie seiner Abstammung gewesen wäre, so dachte er, hätten sie bestimmt enge Freunde sein können. Er hätte sich nie ausmalen können, nicht einmal in seinen dunkelsten Momenten, dass er sie schänden würde, oder eine andere…
 
„Das war es, was ich in ihren Augen sah, als ich – ging. Sie verstand es. Und sie liebte mich.“
 
Goldbeere beobachtete ihn. „Sie liebt Euren Sohn. Sie lebte, damit er geboren würde und eines Tages seinen Vater finden würde.“
 
„Er sollte mich hassen.“ Flüsterte er.
 
„Er hat es lange versucht.“ Warf sie ein. „Doch der Schatten eures Fluches liegt weit verstreut über den Landen und es gibt nun keine Zeit mehr für Hass.“
 
 
 
 
 
 
 
 ~ ~ ~
 
 
 
 
 
 
Dies war der Frühling, der alles verändern sollte.
 
Das Land, die Luft war beinahe statisch geladen, wie in einem seichten Sommersturm. Maglor, der weit entfernt von all dem war, spürte jedoch tief in seiner Seele, dass Mittelerde nicht in seichten Wassern segelte; dass es entweder Teil der Dunkelheit würde, oder eines schönen Frühlingsmorgen erwachen würde.
 
Der Tag war bitter und ohne Sonne, die Luft wehte aus dem Osten herbei als Maglor einen kleinen Pfad betrat, der von Toms Haus fortführte. Das Schicksal der Männer hing wie Nebel in der Luft. Er war sich nicht sicher, wie lange er in dem Haus geblieben war, doch wusste er, dass er die Zeit gebraucht hatte. Nicht nur Arda veränderte sich in jenem Frühling. Seine eigene Motivation, sein Dasein, verschwand, und er nahm sich Zeit, um in Frieden zu Ruhen und sich seinen Gedanken zuzuwenden.
 
Ein Sohn… Einen Sohn, der Fingons Sohn diente und nun dem Hause Eärendil in Imladris.
 
Während die Kriege durch Eriador wüteten und durch Eregion drangen, als Imladris gegründet wurde, war er an den Küsten bei Ered Luin gewesen, blickte hinaus auf die weite See, sah eine Insel, die von den zornigen Winden ihrer Oberfläche beraubt wurde.
 
Himring.
Er hatte Maedhros dort besucht und es mit ihm verteidigt. Fingon hatte Gil-Galad einst dorthin gebracht, dort, wo der Untergang begann. Alles was Maglor zu tun brauchte, war sich an die Erinnerung der hohen Türme und beschmückten Banner zu klammern, die wie Feuer in den Winden wehten.
Er erinnerte sich an die Treffen, die Maedhros dort hielt und an Fingons besuch. Er beobachtete seine Erinnerungen während die Jahre an ihm vorüber schritten und hinter ihm verschwanden. Selbst jetzt schien ihm, als wäre es unmöglich, dass alles verloren war. Geraubt von der großen See.
 
In dem heulenden und stechenden Wind, der dunkle Taten versprach, stand Maglor am Bette eines Flusses der die Jahre vorüber trug. Sie flossen an ihm vorüber, zeigten Bilder, die schienen, als wären sie die Silmarill selbst und verschwanden in der Strömung: blitzende Augen, Betrug und Verrat, Tod und Herzschmerz… Blut… Er hob die rechte Hand, sah Narben, dort wo er einen der Silmarill gehalten hatte, so weiß und silbern, wie das Netz einer Spinne, bedeckt vom Tau des Morgens.
 
Maedhros, mein geliebter Bruder! Ich hätte dich retten sollen oder mit dir gehen sollen… War Námo gnädig? Hat Nienna dir einen neuen Körper aus Fleisch und Blut gezaubert, auf dass du in Aman mit unseren Brüdern wandern kannst? Unserem Vater? Oder bin ich, wie ich fürchte, der letzte Sohn von dem verfluchten Hause… doch nicht der letzte des Blutes, denn ich habe einen Sohn. Seine Mutter hätte sterben sollen. Ich liebte sie nicht, ich verlangte nicht einmal nach ihr, denn sie stand im Weg und ich verlangte nach Schmerz und Vergeltung. Ich war gefangen von Wut und Zorn, krank und des Schwurs müde, und dennoch ist dies keine Entschuldigung! Sie war schutzlos, schützte Elwins Söhne, und ich wusste, sie würde sterben. Ich hatte doch schon sie viele meiner Art getötet, was wäre also einer mehr?
 
Er spürte, wie der Wind über sein Gesicht strich, als er um das Haus herum ging, sah das sanfte Licht durch die Fenster scheinen. Er ging zum Stall und er war umgeben von dem Geruch des Strohs und des warmen Leibes der Pferde und Ponys. Das kleine Pony, welches Tom Dicker nannte, hob den Kopf und schnaubte zum Gruß. Maglor streichelte seinen Hals und das Pony wieherte vergnügt. Draußen tobte der Wind, heulte auf, wie die Wölfe, mit denen einst der dunkle Herr wanderte.
 
Er dachte, er war im Wahn, und dies war er auch, denn für eine lange Zeit, war er tot, wie seine Bruder Maedhros nach seinem Tod. Er wusste nicht, wie er überleben konnte, bis ein Lied ihn ersuchte, der Wind die seichten Melodien zu ihm trug und er spürte, dass er lebte…
 
Er zitterte. Er wäre in Barad-Dûr gestorben. Er hatte gekämpft, denn Maedhros war nicht von Morgoth bezwungen worden und er hatte Furcht, dass die ewige Leere ihn verzehren würde und er seine geliebten nie wiedersähe.
Und doch wäre er gestorben. War am Sterben, selbst als der Mann zu ihm trat und er sich hinter seinen Mauern der Verzweiflung versteckte, obwohl er wusste, es war nicht Sauron. Durch die Luft, die von der Orks Gestank durchtränkt war, vernahm er etwas seichtes, etwas süßes – sauber und rein. Er wurde von dem Rad gehoben und gewaschen, man gab ihm Wein und legte ihn auf saubere Laken, auf denen er sofort einschlief.  Als er erwachte, war das Erste, was er sah, schwarze Wände, ein roter Himmel, der durch die Fenster schien. Angst und Furcht lagen auf seinem Gemüt, wie eine Felswand, die ich zu zermalmen drohte.
Und doch, war er nicht tot.
 
„Er ist fort.“ Sagte eine Stimme in altem Sindarin. Langsam drehte Maglor den Kopf.
 
Ein Elb stand an der Wand gelehnt, unbedeckte Arme verschränkt, Muskeln angespannt. Von den Schultern wanderten bis zu den Handgelenken schwarze Ranken. Er streckte sich und ging auf das Bett zu.
 
Der Fremde, der aussah wie einer der Noldor, war übersäht mit Tattoos. Seine Haare waren schwärzer, als die von Maglor selbst, schienen blau, wie das Federkleid der Krähen. Er trug einen hohen Zopf und seine Haare fielen bis zu seinen Knien. Und doch erkannte Maglor, dass dieser Fremde keiner der Noldor war, denn seine Augen berichteten die Geschichte von Schmerz und Leid, während sie violett schimmerten.
 
„Er ist fort. Trink.“ Er schlang einen Arm unter Maglors Torso und hob ihn an. „Ich sage dir, ehrlich, dass er fort ist, Maglor. Große Dinge werden passieren. Sauron,“ der Name prallte an ihm ab, als wäre es ein Stein, der von einer Wand sprang. „wurde nach Númenor gerufen. Niemand wird dir nun weh tun.“
 
Woher kannte dieser Fremde seinen Namen? Maglor war sich sicher, dass er nicht gesprochen hatte, oder geschrien, oder einen Ton ertönen ließ. Er vermochte nicht der Kraft seinen Mund zu öffnen, er hatte ihn verschlossen und vergessen zu sprechen. Der Geruch von Pflaumen und Blaubeeren stieg ihm aus dem Krug in die Nase und der Arm, der ich hielt, war stark, beinahe beschützend. Aus Reflex trank er, fühlte, wie der Wein seine Kälte erwärmte. Kalt. Stumpf. Er war vorsichtig und er erkannte, dass sein Geist sich von seinem Körper löste.
 
…Ich werde nehmen, Sippenmörder…
 
Der Wein drang in seine Lungen und er konnte nicht Husten, nicht atmen. Der Krug wurde fortgerissen und Hände hielten seine Arme.
 
„Er kann dir nicht alles nehmen!“ knurrte der Fremde. „Du hast ihn schon einmal bekämpft. Er hat dich nie besessen! Kämpfe!“
 
Furcht drang wieder in das Bewusstsein Maglors. Wie konnte der Fremde ihn verstehen? Er war geflohen, hatte sich in Erinnerungen versteckt, und sie hätten eine undurchdringliche Mauer gegen Sauron bilden sollen, doch war der dunkle Herr ihm gefolgt, zerriss den Glanz und die goldenen Jahre und formte etwas schreckliches daraus. Nirgends hatte er Zuflucht und Halt gefunden…
 
„Das ist nichts, wofür ich mich schämen würde.“ Sagte der andere, lachte auf. „Du hattest Glück mit deinem Vater, Maglor.“
 
 
 
 
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Maglor verabscheute Sauron, wie nichts jemals zuvor, doch hasste er den Niemand, der sagte, er wäre nichts, mit inbrünstiger Leidenschaft. Das Feuer, das von ihm ausging, verbrannte seinen Tod und warf ihn zurück ins Leben und der fremde Elb war talentiert und erotisch und ein Meister der Verführung. Er wusste genau, wie er Maglor zum erzittern brachte, genau wie Fëanor, der ihn vor langer Zeit in die Hölle des Verlangens warf.
 
Und er hatte Maglor gehen lassen.
 
Es hatte lange gedauert, bis er merkte, er war frei und auch, dass er den Fremden beinahe hasste, wie Sauron verhasst und Grausam war.
 
Als er zu sich kam, ritt er gen Westen und murmelte einen neuen Schwur in den Nebel. Eines Tages, würde er ihn finden… diesen ´Niemand´ töten.

Und diesen Schwur, werde ich erfüllen!
 
Niemand wusste mehr, über die Schwüre der Elben, wusste, dass sie nicht einfach nur Worte waren. Sie banden einen und würden sie gebrochen brachten sie Verzweiflung und Verdamnis.
 
 
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In dem Stall war es nun dunkel und zum letzten Mal streichelte Maglor das Pony, drehte sich um und ging zurück zu dem Haus.
 
Ich hatte Angst, nach Mordor zu gehen, dachte er, als er sich drinnen an ein Fenster setzte und hinaus in die dunkle Nacht schaute. Aber ich hatte mehr Angst vor… ihm.
Und er sprach nicht von Sauron.
 
Im Morgengrauen hatte der Wind sich niedergelegt, die grauen Wolken verschwanden und ein neuer Himmel, wiedergeboren, erstrahlte. Maglor verabschiedete sich.
 
„Dunkle Dinge geschehen, sobald die Nacht einbricht,“ sagte Tom. „Ich denke, du brauchst dich nicht zu fürchten, und doch sage ich dir, dass du nur während des Lichts reisen solltest. Deine langen Beine werden dich schnell forttragen, Singer des Lieds.“
 
Maglor ging schnell, spürte die Wut in seinen Knochen, doch war er schon weit hinter den Hügeln, als die Sonne versank und die Sterne den Himmel schmückten. Er ging auf der Ost-West Straße und Eärendil leitete ihn. Erinnerungen suchten ihn heim, so, wie sie es schon immer taten: dass ein Stern zu zweien würde und dann zu dreien, die auf der Stirn seines Vaters ruhten. Die flammenden Augen, die jeden brannten, und Maglor wusste nicht, ob die Silmarill die Augen des Vaters waren, oder doch eine andere, noch ältere Kraft.
 
In der tiefen Dunkelheit hielt er etwas abseits des Weges an einem Baum. Er machte kein Feuer, aß nur wenig und trank. Über ihm warfen die Sterne und die Schatten der Blätter des Baumes ein geheimnisvolles Licht auf die Erde. Er lehnte seinen Kopf gegen den Stamm des Baumes und schlief ein.
 
Er träumte. Er träumte von seinen Kameraden, die lange verloren waren. Es heilte ihn ein wenig und als er erwachte, ging er schnell weiter seines Weges und die Sonne begrüßte ihn.
 
Das Land war groß, verlassen und schön. Unter den Bäumen blühten einige Blumen und er stockte, kniete nieder und atmete tief ein. Die Vögel sangen ihre Lieder und die Äste der Bäume waren von Knospen übersäht und schon bald würde die Ebene in strahlendem Grün erleuchten.
 
Die Sonne war der Mittelpunkt des Himmels, als er das Geräusch klappernder Hufe vernahm. ~ 
 
 
 
 
 
 
 

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