Nichts ist je vergessen

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Maglor stockte einen Augenblick, furchtlos und doch voller Unsicherheit, ob er den fremden Reiter sehen wolle. Er war schon so lange alleine und an seine schamlose Einsamkeit gewohnt, und ihm war es fremd zu sprechen. Er schritt von dem Weg und ging zu einem Gebüsch, zog seine Kapuze über das makellose Gesicht und beobachtete den Reiter, der immer näherkam. Das Pferd hatte lange Beine und ging voller Stolz den Weg entlang und sein Reiter war ein Elb.
Eine prächtige Mähne aus Silber. Er trug grün und braun und einen Bogen und einen Köcher, der viele Pfeile trug. Ein Schwertgurt schmückte seine Lenden, ein Umhang seinen Rücken und Gepäck war an dem Sattel befestigt.
 
Maglor dachte erst, dass er ein sehr junger Elb war, doch war nur sein Gesicht, welches lieblich und unschuldig dreinschaute, ein Hinweis, jedoch ein falscher. Denn sah er auch viel Trauer, die den süßen Mund umrandete und dies war es, was Maglor dazu brachte, nach vorne zu treten und eine Hand zu heben.
 
Der Elb war schon so nahe, dass er sich erschreckte über die plötzliche Bewegung. Sein Pferd hielt an und drehte sich, um Maglor zu erblicken und für einen kurzen Moment, erschien es Maglor, als würde Hoffnung in den grauen Augen aufblitzen. Und der Ausdruck verschwand so schnell er gekommen war und verzog sich zu einer Grimasse der Erkennung, auch wenn dies nicht sein könne. Seicht stieg jener Elb ab und hob eine Hand zu seiner Brust.
 
„Ich grüße Euch,“ sagte die warme Stimme.
 
 
 
~ ~ ~
 
 
 
Es war überraschend für ihn, wie falsch er doch gelegen hatte. Denn war er sich so sicher gewesen, dass sein Herr nach Mithlond kommen würde.
Elgalad schämte sich, konnte es kaum ertragen sein eigenes Sein zu ertragen, als er ritt und seinen Gedanken lauschte, die über ihn herfielen, wie ein Rudel hungriger Wölfe:

Er wollte mich loswerden. Vielleicht mochte er mich grade genug, um mich fortzuwünschen, doch ich war so naiv, so dumm. Ich dachte, er… verlangte nach mir.
 
Bei diesen Gedanken zuckte er zusammen. Nach einer so langen Zeit sollte sein Herr nun frei sein und zu ihm kommen? Wahrscheinlich hatte er die Wahrheit gesagt: dass Sauron die Häfen aufsuchen und angreifen würde. Vielleicht hatte er sich an die alten Zeiten erinnert und ihn deswegen aufgesucht, um ihn zu warnen, und ihm das Gefühl zu geben, dass sie vielleicht eines Tages zusammen durch die Wälder streifen würden. Doch würden sie in Valinor niemals lieben können, wie Elgalad es wünschte. Er wusste nun, dass die Liebe gegenüber des gleichen Geschlechts bestraft würde, und doch war es ihm genug, sollte sein Herr von den Fesseln seines Seins befreit werden. Es musste genug sein. Das schlimmste an den Tatsachen war, dass er belogen wurde und Sauron über die letzten freien Völker triumphieren würde und…
 
Mein Herr wird niemals von ihm befreit werden können.
 
Er schluckte schwer, als er sich zwang die Wahrheit zu akzeptieren. Was er einst zu ihm sagte, dort an dem See, hielt er noch immer tief in seinem Herzen. Er wollte auf derselben Erde leben, wie sein Geliebter, auch, wenn er ihn nie wiedersähe. Er wollte mit seinesgleichen leben und die Dunkelheit bekämpfen, jene Dunkelheit, die seinen Liebsten fesselte, bis er starb und selbst nicht mehr konnte.
 
Die einsame Gestalt, die er plötzlich sah, ließ sein Blut erst gefrieren und dann durch seine Adern pumpen, und das Feuer erlosch, als er sah, dass es ein Fremder war. Und doch, nachdem er abgestiegen war, spürte er Verwunderung, denn die Haut war weiß und über Muskeln gespannt, das Gesicht fremd und doch bekannt und diese Augen… Sie beherbergten so viel Trauer, dass Elgalad fühlte, wie eine uralte Wunde noch tiefere aufriss und niemals zu heilen vermochte.
 
Ich kenne diese Augen… Er wusste, dass er starrte, dass er nicht wegschauen konnte.
 
„Ich grüße,“ die Stimme des fremden war tief und war, so gülden wie Honig. „Ich suche nach Imladris zu gelangen. Man sagte mir, dass es im Osten liegt. Wart Ihr schon dort?“
 
„Ich r-reise dorthin, H-herr.“
 
„Dann ist dies eine gute Bekanntschaft. Werdet Ihr mich geleiten? Wie darf ich Euch nennen?“
 
„Mein N-name ist Elgalad.“
 
Ich kenne Euch, ich weiß sicher, wer Ihr seid.
 
Seine Stimme bebte.
 
„Ich werde Euch gerne geleiten.“ Und er fragte, auch wenn er die Antwort bereits kannte.
 
„Wie darf ich Euch n-nennen?“
 
Für einen kurzen Moment dachte er, Maglor würde nicht antworten und dann sagte er langsam: „Nenne mich Macalaurë.“
 
Elgalad atmete aus. „dann bin ich geehrt, dich zu begleiten, Herr M-Maglor.“
 
Er sah, wie die Überraschung in den silbernen Augen schien. Der Sohn Fëanors ging einen Schritt auf ihn zu. „Woher kennst du meinen Namen?“
 
„Mein… mein Herr hat mir v-vor langer Z-zeit von dir erzählt. Und… ich kenne deinen Sohn.“
 
Sie starrten sich beide wortlos einige Momente an.
„Er sieht aus, wie du.“ Antwortete Elgalad und fügte hinzu: „er heißt Tindómion.“
Seine eigene Verwirrung versiegte, denn vor ihm stand jemand, von dem er in seinen frühen Kindertagen einst gehört hatte. Später hatte er Tindómion kennengelernt und ihn als Freund in sein Herz geschlossen, erkannte den Schmerz in ihm. Glorfindel hatte einst zu ihm gesagt: „Er leistete einst einen Eid seinen Vater zu finden. Doch gehen die Liebe und der Hass so eng umschlungen, Hand in Hand, dass es gut war, dass er ihn niemals fand.“ Maglor, der zweite Sohn Fëanors; eine tragische Legende.
Er ist seinem Vater am ähnlichsten, doch war er der sanfteste von all seinen Söhnen.“ Und doch hatte er seinesgleichen erschlagen, vergewaltigt und einen Sohn gezeugt, der, abgesehen seines Haars, sein Ebenbild war.
 
„Tindómion.“ Maglor schien den Namen immer wieder über seine Zunge gleiten zu lassen. Sein Blick schlich in die Ferne und schien zu suchen, wonach sich sein Herz verzehrte, und Elgalad vermochte ihn beinahe in die Arme zu schließen, unterließ es, als sein Gewissen ihn mahnte.
 
„S-seine Freunde n-nennen ihn Istelion.“
 
Schmale Finger versteckten die Leidenschaft, die so brannte, wie das Feuer der Sonne, die auf seinem Gesicht tanzte und Maglor neigte sein Haupt.
 
Elgalad weigerte sich zu reiten, sollte Maglor weiter zu Fuß reisen und so gingen sie nebeneinander und Elgalad berichtete ihm alles, was er wusste.
 
„Ich bin schon oft in Imladris gewesen, auch w-wenn mein Heim der Düsterwald ist, der große Wald an den B-bergen… mein Prinz, Legolas, ist manchmal nach Imladris gereist und ich habe ihn beg-gleitet.“ Für einen kurzen Moment hielt er inne, sprach nach einer kurzen Pause aber weiter. „Sie waren sehr g-gütig zu mir.“
 
Maglor hatte noch nie einen Elben gesehen oder gehört, der stotterte, doch war die Stimme so sanft und seicht, dass es ihm nichts ausmachte und er dachte, er hätte einen Jüngling vor sich, wäre da nicht die Reife und Härte in seinen Augen zugegen und die kriegerische Form seines Körpers.
 
„Dann kennst du Elrond?“ fragte er.
 
„Ja, ich kenne ihn. Ich k-kenne Herrn Glorfindel aber besser.“
 
„Ich dachte, dass der Wirt in Bree mich belügt, mich hinters Licht führen wollte, als er den Namen sagte.“ Maglor stockte auf dem schmalen Weg. „Glorfindel? Aber er starb in Gondolin.“
 
Elgalad hielt ebenfalls und drehte sich zu ihm. „Ja,“ stimmte er ihm zu. „Er ist zurück-ckgekehrt. Er residiert in Imladris.“
 
„Gibt es noch andere, die zurückkamen?“ Seine Stimme war von Hoffnung durchtränkt, und er wusste, dass Elgalad es erkannte.

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