Tindómion Teil:1

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~ Fanaris Hand verkrampfte sich, als sie das Geräusch von klappernden Pferdehufen wahrnahm. Kurz darauf öffnete sich eine Tür, und, um zu erblicken, wer sich ihr näherte, drehte sie sich um.

Als ihr Sohn aus Mordor wiederkehrte, war er nicht zu dem Palast zurückgekehrt sondern zu ihr. Sie rief um seine Harfe, seine Trommeln, denn er war noch nicht bereit, sich zu sammeln. Fanari hatte Trauer schon oft gesehen, mehr als nur einmal gefühlt, doch war ihr Sohn in einem unerklärlichen Zustand. Sie war selbst in Trauer verfallen, alleine und still. Es fühlte sich surreal an. Lindon hatte sich unter Gil-galad vergrößert und wurde mächtig, sie daran erinnernd, wie prächtig Gondolin einst war. Abgesehen von dem Unterschied, dass dies kein Juwel aus Stein und Berg gehauen war, sondern im Freien lag und für jedermann erkennbar. Ein großer König war er gewesen, sowohl im geistigen, als auch im körperlichen Aspekt, ein Abbild seines Vaters und Großvaters.

Und, wie sein Vater, wie alle verfluchten Noldor Könige, war er eines brutalen Todes gestorben.

Tindómion schien von innen heraus gebrandmarkt, sein Haar grob nach hinten gezogen, in einem Zopf gefangen,  und gekleidet in einem langen, schmutzversehrtem Mantel. Von der Reise müde und niedergeschlagen, wirkten seine Augen müde und hungrig, wie die eines Wolfes, der seines Rudels verstoßen wurde. Er war Tage unterwegs gewesen.

„Mutter?“ er war überrascht,  seine Augen sich entspannend, als er erkannte, wer sie war.

„Istelion,“ sagte sie, ihre Kehle sich zuschnürend. „du musst damit aufhören.“

Dicke Wimpern fielen über seine silbernen Augen, während er auf eine Kommode zu schritt, um mach Wein zu greifen und ihn anschließend einzuschenken. „Womit?“

„Damit, dem Ausreiten, nicht essen, nicht ruhen. Du musst…“

„Es geht nicht.“ Er beugte sich über sie. „Ich. Kann. Nicht! Ich habe meinen König in Stich gelassen, er starb in meinen Armen, obwohl ich versprach ihm zu dienen! Und ich…“ er schlug mit seiner Faust auf den Tisch.

„Es war nicht deine Schuld,“ flüsterte Fanari.

„Ich habe versagt! Nun ist der letzte Stern fort… unser König ist tot, es gibt nichts mehr. Und er war schön und stark und nun tot!  Er ist in der Leere…“

Fanari ging auf ihn zu. „Und doch liebte er dich…“

Tindómion fiel auf die Knie, lehnte seinen Kopf an ihre Hüfte und weinte. Sie streichelte sein Haar, während ihre eigenen Tränen darauf fielen, in den dicken Strähnen verschwindend.

Gil-galads Körper wurde nach Imladris gebracht. Glordindel hatte Nachrichten ausgesandt, dass Fanari ihren Sohn in die Ebene bringen sollte. Sollten sie bis zum Herbst nicht dort sein, würde er selbst kommen, schrieb er. Tindómion hätte einer derer gewesen sein sollen, der den König zu seiner Ruhestätte brachte, doch war er, in tiefer Trauer und Wut, nach Lindon geritten, als würde er Hoffnung haben, Gil-galad dort zu treffen, dort, in dem einsamen Palast…

Es gab einen Stern, als Tindómion geboren war, dachte sie. Doch, jener, für den er lebte und atmete, war nicht mehr…



Die Hafen Sirions. 538 Erstes Zeitalter.



Die Geräusche der Hufe verschwanden. Sie konnte das protestierende Geschrei der Zwillinge hören, Elrond und Elros, als sie getrennt wurden.

Tut ihnen nicht weh...

Sie sank auf ihre Knie, warf ihre Arme um ihren Leib, der Geruch von Gras in ihre Nase steigend, der sich mit dem der Leichen mischte.
Langsam nahm sie die See wieder wahr, die weit entfernten Stimmen.
Doch öffnete sie ihre Augen nicht.

Eru, hilf mir…

Elwing, ihr Ehemann, war gegangen, Eärendil von der See verschlungen, sagte man, doch einst von Maglor und Maedhros genommen.

„Ich werde diesen rothaarigen Sippenmördern nichts geben! Sie sind verflucht, wie Fëanor.“ Hatte Elwing gesagt und tatsächlich war er liebe gestorben, als die verfluchten Juwelen zu erklimmen. Sie jedoch hatte sich zurück in den Wind geworfen, ein glitzernde Steine umklammert in ihrer Hand, und ihr Haar wurde vom seichten Wind der Klippen zu einem lauten Lied bewegt.

Eine kühle Brise berührte Fanari. Stimmen, die aus Wut erklangen, wurden lauter. Sollte sie ihre Augen öffnen, so hätte sie die verwesenden Leibe sein.

Sie hatte den Zorn gesehen, wie Wahn über das Hause Fëanors herfiel und sie dachte, sie würde sterben, dass eine der blutdurchtränkten Klingen ihrem Leben ein Ende bereiten würde. Was sie in Maglors Augen gesehen hatte, war weder verlangen noch Lust. Es war Wahnsinn.
Und sie verstand es. Für einen kurzen Moment, der nicht einmal ein Blinzeln dauerte, verstand sie, was ihn zu einem solchen Akt bewegte.

Eine ihr bekannte Stimme rief etwas, sie hörte das Klappern der Hufe, das klimpern der Rüstung, doch keine Schritte, denn sie waren so leicht und sanft. Eine Hand berührte sie.
„Nicht!“ die Worte erklangen durch ihre Trauer hindurch.

Círdan denkt, ich wäre tot… sie zwang sich, die Augen zu öffnen und der Schiffbauer rief: „Fanari!“

„Elrond und Elros,“ sie schluckte, Blut  schmeckend, denn sie hatte sich die Lippen aufgebissen. „Sie waren noch am Leben, als man sie fort führte.“

„Ruhig, Fanari. Man hat sie gesichtet.“  Sein Ton war tief und grausam, doch waren seine Hände sanft, während er sie streichelte.
„Nein,“ er stand auf, jemanden rufend, um eine Sänfte anzufertigen. „dies ist in der Tat, etwas Böses…“

„Er ist nicht daran Schuld… er war im Wahn.“
Es waren nicht die selben Augen, wie jene, so hell, so sanft, die sie als Kind erblickt hatte. Mereth Aderthad; die Stimme von Maglor verschmolz, wie Honig mit der Musik seiner Harfe. Er hatte das Kind verzaubert…

Dunkelheit brachte sie zu Fall. Hände hoben sie sanft auf die eilig errichtete Sänfte. Hinter den brennenden Himmeln, lagen Schiffe im Wasser und Zelte wurden an Land für die verwundeten errichtet.

Sie roch den Rauch, das Blut, doch sah sie nichts, bis sie sich der Berührung des Wassers bewusst wurde, ein sanfter Stoff, leise Stimmen.
„Sie stirbt…“

Eine Sänfte wartete auf sie, als ihre Ruhestätte. Sie ließ sich fallen. Es gab dort keine Visionen, keine Stimmen, keine Berührung, keinen Schmerz…
Und dann spürte sie plötzlich… Leben… ein Puls, der in ihr ertönte; eine Seele.

Ein Kind?

Gezeugt aus Wut und Trauer, ein Funken, der mit ihr sterben sollte. Das Blut des Fëanor…

Wie ein Taucher, der zu tief gegangen war, begann sie zu kämpfen, ihren Schmerz wieder aufnehmend. Licht tanzte in ihren Augen und sie sah die Einrichtung eines Zeltes, eine Frau neben sich.
Sie sagte, trotz ihrer heiseren Stimme: „ich bin schwanger…“ und zum ersten male strömten Tränen über ihr Gesicht.

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