Kapitel 1

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Harry Potter saß ruhig in seinem Schlafzimmer im Ligusterweg Nummer 4. Er starrte aus dem Fenster in den Hinterhof. Harrys Cousin, Dudley Dursley und sein bester Freund, Piers Polkiss, rannten unter dem Wassersprenger hin und her – sie versuchten sich von der Sommerhitze Abkühlung zu schaffen. Harry verfluchte mental ihre Sorglosigkeit – er konnte sich nie entspannen, nicht wenn Voldemort noch hinter ihm her war.

Tatsächlich schien Voldemort immer an höchster Stelle von Harrys Sorgenliste zu stehen. Es half nicht, dass er nichts zu tun hatte und keiner vom Orden des Phönix ihn kontaktiert hatte, seit er vor einer Woche in die Sommerferien entlassen wurde. Vor dem letzten Sommer hätte ihn das nicht überrascht, aber letztes Jahr war er vom Orden für den Kampf gegen Voldemort trainiert worden. Ohne das Training fühlte sich Harry, als würde er wahnsinnig werden. Er hoffte, er würde diesen Sommer nicht verrückt werden.

Nicht einmal der Tagesprophet – die Hauptzeitung der Zauberwelt – konnte Harrys Aufmerksamkeit halten. Die Artikel waren voll von Voldemorts Taten – Angriffe sowohl auf die Muggel - als auch die Zauberwelt füllten jede Seite - aber die Muggelnachrichten und auch die Nachrichten im Fernsehen taten genau das gleiche. Es waren genau die Sachen, von denen er vorher gehört hatte, nur von einer verschiedenen, bekannteren Perspektive. Nach einer Weile musste er ja gelangweilt sein.

Harry zog seinen Zauberstab aus der Tasche und starrte ihn an, bevor er damit auf die Fensterbank tippte. Er fragte sich, was Hermine Granger und Ron Weasley – seine besten Freunden – taten. Er fragte sich, wie sich die Mitglieder der DA fühlten. Beschuldigten sie sich selbst, so wie er es auch tat, für die zwei Tode ihrer Mitglieder im letzten Schuljahr? Lasen sie jeden Tag die Zeitung und sahen die Nachrichten, wie er es tat?

Harry sah zu der kleinen Gedenkstätte, die er für die vier Kameraden aufgestellt hatte, deren Tod er durch Voldemorts Leute mit ansehen musste. Bilder von Cedric Diggory, Sirius Black, Cho Chang und Marietta Edgecombe sahen ihn an. Cedric lächelte ihn beruhigend an, während Cho aussah, als würde sie bald zu weinen anfangen und Marietta ihn stirnrunzelnd ansah; sie hatte ihn nie gemochte. Sirius grinste fröhlich und sah aus, als wäre er dazu bereit, jedem einen Streich zu spielen, der neben ihm auftauchte. Ein kleiner Bilderrahmen stand neben der Gedenkstätte, die fröhlichen Gesichter von Harrys Eltern lächelten ihm daraus entgegen. Ein Bouquet aus frisch gepflückten Blumen aus Petunias Garten lagen vor der Gedenkstätte und dem Bild.

„JUNGE!", kam ein Schrei von unten.

Harry seufzte und steckte seinen Zauberstab zurück in seine Tasche. Er guckte, ob sein Tarnumhang in der anderen war, dann lächelte er zu seiner Eule, Hedwig, die in ihrem Käfig saß. „Ich werde bald zurück sein, okay, Mädchen?", erklärte er ihr sanft.

Hedwig schuhute ihn traurig an – ihr war es erlaubt, nur eine Stunde in der Nacht jagen zu gehen, Onkel Vernons Befehle – und steckte ihren Kopf zurück unter ihren Flügel, um noch mehr zu schlafen.

Harry zog eine Grimasse und verließ sein Zimmer, um herauszufinden, was seine Tante wollte. Er bezweifelte, dass es etwas gutes sein würde.

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Harry wusste noch nicht einmal, warum sie nicht zu Hause waren. Nur er und Tante Petunia. Zusammen in London.

Seine Tante hatte gesagt, dass sie ein paar Dinge brauchte, aber die einzigen Sachen, die sie bisher gekauft hatten, waren Dinge, die sie auch im Laden um die Ecke hätten besorgen können oder die sie noch massenweise hatten.

Nicht, dass Harry vorhatte wegen dem Ausflug zu fragen. Oh, nein. Er fand es gut, dass sie ihn aus dem Haus gelassen hatten. Er ließ seine Hand in die Tasche gleiten und fühlte sich gleich besser, als seine Finger über den Zauberstab, seinen verkleinerten Tarnumhang und Feuerblitz strichen. Er wollte nicht unvorbereitet sein, falls etwas passieren sollte, also hatte er sich alles geschnappt, was für ihn nützlich hätte sein können.

„Hol mir ein paar von den Weintrauben", grummelte Petunia und zeigte auf einen Stand mit frischen Früchten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Hol mir viele!"

„Ich habe nicht das Geld dafür, Tante Petunia", stellte Harry fest.

Petunia blitzte ihren Neffen lange an, bevor sie ein paar Scheine aus ihrem Portemonnaie holte und sie ihm in die Hand drückte. „Da."

Harry nickte und flitzte rüber zu dem Stand. Er war glücklich darüber, dass er genug Geld hatte, um eine ‚Menge' Weintrauben zu holen und dann immer noch genug Wechselgeld hatte, um es sich nachher einzustecken. Nicht, dass er stehlen mochte, aber das hier war seine Tante. Er dachte sich, dass er hin und wieder einen Zuschlag von der Familie verdiente.

Snape schien langsam auf ihn abzufärben, verdammt.

Harry kaufte die Weintrauben und drehte sich um, um zu seiner Tante zurückzukehren.

Sie war nicht da.

Sie war nirgendwo in Sichtweite.

Harry Potter war gerade in London ausgesetzt worden.

„Oh scheiße."

Abandon (Tomarry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt