Kapitel 10

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Am nächsten Morgen finde ich Martin bereits in der Küche am Hantieren.

Er macht sich gerade Frühstück und hat mich bis jetzt noch nicht bemerkt, denn er steht mit dem Rücken zu mir.

"Guten Morgen", nuschle ich und Martin dreht sich erschrocken um.

"Guten Morgen", sagt auch er und schenkt mir ein Lächeln. Martin sieht genauso aus, wie ich mich fühle.

Tiefe Augenringe zieren sein Gesicht, seine Haare stehen verstrubelt vom Kopf ab. Man sieht ihm einfach an, dass er nicht gut geschlafen hat.

Ähnlich geht es mir auch. Der Schlaf hat mir zwar gut getan, aber so richtig fit fühle ich mich nicht. Zu sehr hängt mir die vergangene Nacht noch in den Knochen.

"Willst du etwas essen? Ich habe alles da: Müsli, Brot."

"Müsli klingt gut", sage ich und lasse mich auf einen der Stühle am Tisch sinken. Martin stellt mir alles bereit.

Schweigsam fangen wir an zu essen. Ich merke, wie er mich immer mal wieder prüfend anschaut, aber ich erwidere seine Blicke nicht.

Als wir fertig sind, räumt Martin das Geschirr in die Spüle und setzt sich wieder gegenüber von mich.

"Willst du mir jetzt erzählen, was gestern passiert ist?", fragt er und schaut mich einfühlsam an.

Eigentlich habe ich keine Lust, darüber zu reden, aber ich weiß auch, dass er mich sonst nicht gehen lassen wird.

Ich merke, wie mir bei den Gedanken an Lennard wieder die Tränen in die Augen steigen, aber ich blinzle sie weg. Ich habe keine Lust, schon wieder zu weinen.

"Hat es etwas mit dem Mann zu tun, mit dem du an der Theke saßt?", fragt Martin weiter, weil ich nicht anfange zu reden.

Erschrocken schaue ich ihn an. Woher weiß er das denn? War er etwa auch im Club?, frage ich mich und bekomme es kurz darauf auch von ihm beantwortet.

"Ich war mit Kevin auch im Club und ich habe euch gesehen."

Ich seufze und merke, wie sich meine Augen schon wieder mit Tränen füllen. Nur dieses Mal sind es so viele, dass sie nacheinander rauslaufen und ihren Weg nach unten suchen.

Ich nicke leicht, kann Martin dabei aber nicht anschauen. "Ja, er ist ein Freund von meinem Bruder." Ich mache eine Pause, um mich zu sammeln, rede dann aber weiter.

"Ich war mit meinem Bruder und seinen Freunden feiern. Und ich kann Lennard eigentlich gar nicht wirklich leiden. Er ist immer so aufdringlich. Als wir noch alle zusammen waren, war es auch kein Problem, aber plötzlich waren wir alleine. Mein Bruder war weg, seine Freunde, außer Lennard. Er hat mich angefasst und ich bin dann rausgegangen, weil es mir zu viel wurde, aber er kam hinterher und plötzlich lehnte ich gegen einer Wand und er vor mir."

Die Tränen laufen mir nur so das Gesicht runter.

"Ich weiß jetzt auch gar nicht, warum ich wieder so weine. Weil es ist nichts schlimmes passiert. Er hat mich geküsst und angefasst, aber dann bin ich schon von ihm losgekommen. Ich fühle mich einfach nur so eklig."

"Luisa, beruhige dich", sagt Martin mit sanfter Stimme und greift nach meiner Hand. Erst jetzt bemerke ich, dass ich immer schneller gesprochen habe und meine Atmung viel zu schnell ist.

"Du darfst weinen", beginnt Martin zu sprechen. "Denn das, was dir passiert ist, ist schlimm und sollte keiner Frau passieren. Du darfst auch die Schuld nicht auf dich abwälzen. Du bist nicht schuld daran. Schuldig ist einzig und alleine der Freund deines Bruders. Denn er hat dein 'nein' nicht akzeptiert."

Ich schaue Martin jetzt das erste Mal nach langer Zeit wieder an. In seinem Blick liegt Mitleid, aber auch eine Wärme, die mich aufmuntern soll.

"Hast du deinen Bruder schon erreicht? Er macht sich bestimmt sorgen."

"Das hat er gestern Nacht auch nicht", antworte ich nur, stehe aber auf, um meine Tasche zu holen. Ich sehe im Augenwinkel, dass Martin ein wenig schmunzeln muss über meine trotzige Antwort.

Keine Minute später sitze ich wieder am Tisch und wähle die Nummer von Elias, denn eine Nachricht hatte er mir nicht geschrieben.

"Hey Schwesterherz, wo hast du denn die Nacht verbracht?", begrüßt er mich sofort. Ich höre ihm an, dass er auch noch nicht so lange wach sein kann.

"Kannst du mich abholen?", frage ich einfach nur schluchzend, wodurch sich auch der Tonfall von meinem großen Bruder verändert.

"Wo bist du denn? Ist was passiert? Soll ich irgendwen verprügeln?" In seiner Stimme schwebt ein Hauch von Wut, aber vor allem Besorgnis.

"Nein, also ja", stottere ich, "Erzähle ich dir nachher, okay?"

"Okay, aber dir geht es körperlich so weit gut?"

"Ja, alles okay. Ich sende dir meinen Standort."

"Mach das, ich bin sofort da."

"Danke."

Elias verabschiedet sich und verspricht mir, dass er sich sofort ins Auto setzen wird.

Nachdem ich ihm meinen Standort gesendet habe, packe ich mein Handy wieder weg und schaue zu Martin.

"Er holt mich jetzt ab und ich ziehe mich am besten Mal um." Martin nickt nur und ich verschwinde wieder in sein Schlafzimmer, wo ich meine Klamotten liegen habe.

Keine viertel Stunde später klingelt auch schon mein Handy. Es ist Elias, der mir mitteilen will, dass er vor der Tür steht.

"Martin, mein Bruder ist da", sage ich, als ich mir meine Schuhe im Wohnzimmer anziehe. Er kommt aus der Küche.

"Danke, wirklich für alles", sage ich zu ihm und ziehe ihn in eine Umarmung. Es scheint, als habe ich Martin damit überrascht, denn er erwidert sie erst nicht. Doch legt dann auch seine Arme um mich.

"Kein Problem", sagt er, als wir uns lösen.

Ich schnappe noch meine Tasche und möchte gerade die Haustür öffnen, als Martin mich zurückhält.

"Luisa, ich will dich wiedersehen."

+++

Es geht weiter und heute sogar mit zwei Kapiteln :D

Unser Hinti hat nach seiner Verletzungspause gestern ein fulminantes Tor geschossen und die SGE wird in der nächsten Saison zu 100% international spielen. Ich freue mich :D

Euch wünsche ich viel Spaß beim lesen!

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