15. Hilfe

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Um Punkt 18:00 Uhr saß Harry oben auf der Aussichtsplattform des Astronomieturms. Er wunderte sich mittlerweile, dass nie jemand hier hoch kam. Zugegeben, die Aussicht war nicht überragend, aber dennoch konnte man ganz Hogwarts sehen, und das war doch schon mal was. Zwar war der Turm gewiss auch nicht der Sicherste, denn bei starkem Wind schwankte er ein wenig hin und her, doch Harry sollte all das nicht stören. Es störte ihn auch nicht, hier nie jemanden anzutreffen - so würde es wenigstens eine Art „geheimer Treffpunkt" für Draco und ihn bleiben.

Er hörte Schritte und knetete nervös seine Hände, die er im Schoß gefaltet hatte. Als er Draco erblickte, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Unwillkürlich starrte er auf seine Lippen, wandte den Blick dann schnell ab und räusperte sich leise. „Hey."

„Hey", erwiderte der Slytherin und klang dabei furchtbar neutral. Er setzte sich etwas zögerlich neben Harry, und dem fiel gleich der beachtliche Abstand zwischen ihnen auf, was ihn gleich etwas ärgerte, immerhin hatte er nicht die Pest und im Kindergarten waren sie auch nicht mehr. Sie hatten sich geküsst, wenn auch im Vollrausch, da musste Draco sich jetzt nicht ans andere Ende des Turmes setzen. Dennoch rief er sich selbst zur Vernunft und atmete erst einmal tief durch. Draco war wirklich ziemlich betrunken gewesen, als sie sich geküsst hatten...

„Wie geht's dir?", fragte der Schwarzhaarige.

Draco zuckte mit den Schultern. „Geht so." Er starrte auf seine Schuhe und regte sich nicht. Noch immer sah er ziemlich mitgenommen aus und Harry fragte sich, was gerade in ihm vorging. Es musste nicht einfach für ihn sein. Zuerst die Tatsache, dass seine Mutter gestorben war, und dann auch noch das mit Harry.

Der Gryffindor schluckte, als ihm bewusst wurde, wie überfordert Draco derzeit sein musste. Es stand Harry eigentlich gar nicht zu, ihm auch nur gedanklich irgendwelche Vorwürfe zu machen. Er hatte seine Mutter verloren - der Schmerz war beinahe unerträglich. Harry kannte diesen Schmerz, selbst wenn er noch ein Baby gewesen war, damals. Nichtsdestotrotz hatte er keine Mutter mehr. Genau wie Draco.

„Hör mal, ich-", begann Harry, wurde jedoch sofort von Draco unterbrochen, der aufgeregt sagte: „Tut mir leid, okay? Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht- ... Ich wollte nicht, dass wir uns- ... Sorry einfach. Ich war betrunken." Er senkte den Kopf noch ein bisschen mehr.

„Ist schon okay." Harrys Stimme war sanft. „Ich wollte dich nur fragen, wie es dir geht." Das war zwar nur die halbe Wahrheit, denn Harry hatte eigentlich sehr wohl vorgehabt, ihn auf den Kuss anzusprechen, doch es war ganz sicher besser, er würde es nicht tun. Obwohl der Schwarzhaarige nur zu gerne wissen würde, ob vielleicht mehr dahintergesteckt hatte, entschied er sich dagegen, das Thema noch einmal aufzugreifen. Draco konnte nicht noch mehr zusätzlichen Stress gebrauchen.

„Naja, das haben wir ja schon geklärt", murmelte der Slytherin, ohne ihn anzusehen.

Damit nahm er Harry kurz den Wind aus den Segeln. Er hatte gedacht, gehofft, Draco würde mehr erzählen.

„Wie geht es deinem Vater?", wagte er sich etwas weiter vor.

Nun sah Draco ihn an. Seine grauen Augen wirkten müde, trotz des leicht gereizten Ausdrucks. „Wolltest du nur Smalltalk halten? Sorry, aber dafür habe ich im Moment echt keinen Kopf."

Harrys Herz pochte. „Nein, ich-"

„Ich hab noch jede Menge Schulkram zu erledigen, ich geh mal wieder." Mit diesen Worten stand Draco auf und ging. Er ging einfach weg, stieg die Treppe hinab und ließ Harry sitzen. Der Schwarzhaarige brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, dass Draco wirklich gegangen war. Er sah vom Turm auf die Erde hinab und konnte den Blonden über den Hof zurück zum Schulgebäude laufen sehen. Harry zog die Augenbrauen zusammen, ließ sich zurück auf die Bank fallen und ließ einen genervten Seufzer. Das war ja ein toller Plan, dachte er sich resigniert. Schlimm war für ihn nicht die Tatsache, dass sie nicht wirklich miteinander hatten reden können, sondern vielmehr, dass er sich furchtbar blöd vorkam. Es hatte ihn viel Mut gekostet, die Nachricht an Draco zu schicken, und auch mit Luna über seine möglicherweise etwas anderen Neigungen zu sprechen. Nun schien all das umsonst gewesen zu sein. Er hätte erst einmal abwarten sollen.

Der EisprinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt