19. Versuchskaninchen

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Harry wusste, dass er sich falsch verhielt, denn er distanzierte sich mehr und mehr von Ron und Hermine. Er musste ihren Fragen und ihren neugierigen, besorgten Blicken aus dem Weg gehen. Eigentlich war er kurz davor gewesen, wenigstens Hermine einzuweihen und ihr zu erzählen, was sich in Wahrheit zwischen Draco und ihm abspielte, doch nun hatten sie sich darauf geeinigt, es erst einmal niemandem zu erzählen, also fiel Harrys Plan flach. Er konnte nicht leugnen, dass ein wirklich großer Druck auf ihm lastete und er sich zunehmend unwohler fühlte, seine Freunde anzulügen. Ob sie sich vielleicht sogar denken konnten, was zwischen ihnen ablief? Harry schob eine Kartoffel über den Teller und zerkleinerte sie, während er diesen Gedanken weiter ausführte. Was, wenn Hermine eine Ahnung hatte? Zuzutrauen wäre es ihr. Sie konnte wirklich gut beobachten und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen, die meistens nah an der Wahrheit waren. Er steckte sich ein Stück Kartoffel in den Mund, drehte den Kopf zu der klugen Hexe und grübelte. Wüsste Harry, dass Hermine in diese Richtung dachte, dann könnte er sie zu dem richtigen Ergebnis lenken, ohne selbst etwas ausplaudern zu müssen; sie würde ganz von alleine darauf kommen und er würde sich endlich jemandem anvertrauen können. Doch das war wohl reines Wunschdenken. Der Schwarzhaarige seufzte lautlos und schob seinen Teller beiseite.

„Wir könnten auch schwimmen gehen, wenn sich das Wetter hält", schlug Ron gerade vor und Hermine begann zu strahlen. „Gute Idee, zuletzt war es so herrlich am See! Soll ich was zu essen mitnehmen, oder gehen wir hinterher zum Abendessen?"

„Das letzte Mal haben wir es verpasst." Ron zuckte grinsend mit den Schultern. „Lass uns lieber was mitnehmen." Er machte eine kurze Pause, sein Grinsen wurde breiter. „Wie wär's mit deiner Kürbispastete?" Er wackelte mit den Augenbrauen und Hermine lachte leise.

„Ich fand sie gar nicht mal so gelungen."

„Sie war der Hammer!" Ron beugte sich noch immer grinsend zu seiner Freundin, gab ihr einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, was sie abermals zum kichern brachte. Daraufhin tauschten sie einen zärtlichen Kuss aus und sahen sich verliebt an.

Harry wandte sich schnell ab und schluckte, als ihm flau im Magen wurde. Er würde sich niemals so öffentlich mit Draco zeigen können, ganz egal wo sie waren, und erst recht nicht hier in Hogwarts. Plötzlich überkam den Gryffindor eine tiefe Traurigkeit. Nicht nur die Sache mit Draco macht ihm zu schaffen, jetzt fragten Ron und Hermine ihn nicht einmal mehr, ob er etwas mit ihnen unternehmen wollte. Nach den vielen Absagen, die er ihnen bereits erteilt hatte, hatten sie es offenbar aufgegeben. Er senkte den Kopf ein wenig. Zu allem Überfluss verabschiedeten sich seine beiden Freunde kurze Zeit später von ihm, sodass er alleine am Tisch zurückblieb.

'Das ist wohl ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird', dachte Harry missmutig und kaute sich auf der Unterlippe herum. Wenn er seinen Freunden nicht bald reinen Wein einschenkte, würde er vermutlich schon sehr bald keine Freunde mehr haben. Er beschloss, doch noch einmal mit Draco darüber zu reden, wenn sie sich am Abend sahen. Lächelnd stellte er fest, dass es nur noch wenige Stunden waren, bis sie sich wiedersehen würden.

-

Gelangweilt hatte Harry seinen Kopf auf der Handinnenfläche abgestützt. Er malte mit dem Ende seiner Feder unsichtbare Muster auf den Tisch und gähnte herzhaft, als plötzlich die Tür des Klassenzimmers aufgerissen wurde, ein langer, schwarzer Umhang an ihm vorbeiraste und die Tür mit einem lauten Knall wieder ins Schloss fiel. Das Wesen, das auf den ersten Blick einem Dementor glich, entpuppte sich als Professor Snape. Harry zog die Stirn in Falten. Eigentlich hatten sie jetzt Zauberkunst bei Professor Flitwick. Allgemeines Gemurmel ging durch die Reihen.

„Ruhe", schnarrte Snape, leise und bedrohlich. Das Getuschel verstummte rasch.

Als Hermine ihre Hand in die Höhe streckte, um eine Frage zu stellen, verdrehte Snape genervt die Augen und begann, durch den Raum zu schreiten. „Miss Granger, um Ihre Frage gleich zu beantworten: Professor Flitwick ist leider erkrankt und muss das Bett hüten." Er sprach langsam, seine Augen glitten durch die Reihen. Er hob seinen Zauberstab und ließ Zauberkunst-Bücher auf die Tische der Schüler gleiten. „Öffnen Sie die Bücher, Kapitel 11."

Der EisprinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt