Harry war wütend. Im Gryffindorturm angekommen, fand er Ron und Hermine auf der Couch vor. Sie diskutierten scheinbar gerade über den misslungenen Nachmittag und Harry registrierte zufrieden, dass Hermine ihm ebenfalls Vorwürfe machte. Sie verstummten jedoch beide, als Harry auf sie zuging. Er pfefferte die eingerollte Picknickdecke in die nächstbeste Ecke und baute sich mit verschränkten Armen vor Ron auf, der ihn bloß ausdruckslos ansah.
„Kannst du mir mal verraten, was das sollte?!", fragte Harry mit zusammengezogenen Augenbrauen und als Ron nicht reagierte, machte er eine ausholende Geste. „Du hast dich wie ein Arsch benommen, dabei war Draco echt nett!"
„Nett?!", spuckte Ron aus und stand nun ebenfalls auf. „Nichts an dem Kerl ist nett. Er hat mich trotzdem total von oben herab behandelt, aber das merkst du wohl schon gar nicht mehr!" Auch Ron hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
„Wie bitte?" Harry lachte kurz auf. „Wieso hat er dich 'von oben herab' behandelt? Das ist nicht wahr!"
„Er hat doch kein Wort mit mir gewechselt, da ist er sich wohl zu fein für!"
„Weil du dich wie ein Kleinkind aufgeführt hast!" Der Streit wurde zunehmend lauter. „Und später hast du ihn bloß provoziert, hast du eine Ahnung, wie erniedrigend das für ihn ist? Er begibt sich praktisch in fremdes Gebiet, erklärt sich bereit, euch kennenzulernen, und dann sowas!" Harry wollte am liebsten auf irgendetwas schlagen, so viel Wut hatte er in sich.
„Erniedrigend?", fragte Ron und zuckte mit den Schultern. „Gut, dann weiß er vielleicht endlich mal, wie sich das anfühlt!"
Harry ballte die Hände zu Fäusten, sein Kiefer verkrampfte sich. Hermine, die die Zeichen sofort richtig deutete, stand nun auf und schob sich unauffällig zwischen die beiden. Harry jedoch zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen: „Er hat sich geändert. Er ist nicht mehr so, wie früher."
„Menschen ändern sich nicht wirklich", sagte Ron und es klang seltsam erschöpft. Er sah Harry nicht an.
Der Schwarzhaarige schnaubte und nickte langsam. „Das werd ich mir merken", sagte er, ging zwei Schritte zurück und lief dann ohne ein weiteres Wort hinauf in den Schlafsaal, wo er sich aufs Bett setzte und versuchte, seinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Es dauerte lange, bis er nicht mehr so sauer war, denn seine Gedanken hatten sich sofort selbstständig gemacht und drehten sich im Kreis. Er dachte viel über Ron nach und darüber, dass er sich wirklich oft wie ein kleines Kind verhielt. Damals, als er geglaubt hatte, Harry hätte seinen Namen zur Teilnahme am Trimagischen Turnier selbst in den Feuerkelch geworfen, hatte er wochenlang nicht mehr mit ihm geredet. Oder als sie auf der Suche nach Horkruxen waren und Ron dachte, Harry hätte ein Verhältnis mit Hermine, war er einfach abgehauen. Er hatte sie im Stich gelassen. So oft hatte Ron nur seinen eigenen Kopf durchgesetzt. Harry atmete tief durch. Bei Merlin, er liebte seine Freunde, doch gleichzeitig wollte er eine Zukunft mit Draco - und er hatte keine Ahnung, wie das möglich sein sollte, wenn sich sein bester Freund nicht mit ihm verstand.
Harrys Gedanken überschlugen sich. Der Wunsch nach einer Zukunft mit Draco kreiste unaufhörlich in seinem Kopf. Er schloss die Augen, dachte an Draco und sein Herz zog sich kurz zusammen. Er war noch nie in seinem Leben so verliebt gewesen. Wenn er so darüber nachdachte, war er vermutlich überhaupt noch nie verliebt gewesen, denn dieses intensive, übermächtige Gefühl war ihm bislang völlig unbekannt. Er sehnte sich nach Draco. Hatte er noch vor einiger Zeit alles an ihm gehasst, so liebte er all das nun, und es kam ihm selbst absurd vor, doch er konnte sich nicht dagegen wehren. Er liebte seine grauen Augen, die blasse Haut, die weißblonden Haare, seine Lippen, seinen Körper, seinen Geruch. Die Art, wie er redete, wie er lachte. Wie sanft seine schlanken Finger sein konnten. Er liebte die Art und Weise, wie Dracos Augen zufielen, kurz bevor sie sich küssten. Er liebte die Geräusche, die er von sich gab, wenn sie sich ganz nahe waren. Harry rollte sich auf die Seite und schloss die Augen. Er liebte es, wenn sich Dracos Körper gegen ihn drängte und sich seine Arme um ihn schlangen, ihn ganz fest hielten. Besonders liebte er diese kurzen Augenblicke, in denen Draco sich scheinbar unbeobachtet fühlte. Wenn er dachte, dass Harry bereits schlief und ihn dann zärtlich auf die Stirn küsste, die Konturen seines Gesichts mit sanften Fingern entlang strich, seine Nase in seine Haare wühlte und seinen Geruch inhalierte. Das war die Bestätigung für Harry, dass er sich ebenso sehr nach ihm verzehrte.
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Der Eisprinz
FanfictionDraco badet im See. Um Mitternacht. Im Mondlicht. Harry beobachtet ihn dabei - und mit einem Mal ist für den Gryffindor alles anders.