20. Nähe

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Auch am nächsten Tag war Harry noch immer furchtbar gereizt. Noch während er beim Nachsitzen die Kessel geputzt hatte, hatte Snape ihn in einer Tour provoziert und Harry hatte sich die meisten Kommentare verkneifen müssen. Als er am Abend hundemüde in den Schlafsaal gekommen war, hatte Ron ihm zu allem Überfluss auch noch vorgeschwärmt, wie wunderschön es mit Hermine am See gewesen war. Das hatte seine schlechte Laune endgültig zum Überkochen gebracht - und sie hielt bis jetzt an.

Harry ahnte nicht, dass Draco ihn bereits am Frühstückstisch aus der Ferne beobachtete und für einen wütenden Harry verdammt viel übrig hatte. Er mochte seinen energischen Schritt, die kühlen Augen, die jeden seiner Mitschüler anfunkelten und schon von Weitem deutlich machten, ihn besser nicht anzusprechen. Der Slytherin biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. Er konnte den Abend kaum noch erwarten.

Auch dieser Tag zog sich in die Länge wie ein Kaugummi und erst, als beinahe Unterrichtsschluss war, hob sich Harrys Laune wieder merklich. In etwa einer Stunde würde er Draco endlich wiedersehen, und bei dem, was er vorhatte, konnte er sich auch wirklich freuen. Er grinste in sich hinein, sah nervös auf die Uhr und wartete ungeduldig, bis Professor Trelawney ihren Unterricht beendete. Dann schlenderte er gespielt entspannt mit Ron und Hermine in die Große Halle zum Abendessen. Er konnte nicht anders, als sofort zum Tisch der Slytherins zu schauen. Auch Draco betrat die Große Halle gerade - er kam von der anderen Seite - und ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Er sah rasch weg, damit niemand Verdacht schöpfte, doch Harry konnte seinen Blick erst nach wenigen Sekunden abwenden. Er merkte gar nicht, dass er lächelte. Und er merkte auch nicht, dass Hermine ihn beobachtete.

Der Schwarzhaarige aß nicht viel, er hatte ohnehin keinen großen Hunger. Stattdessen musste er sich zwingen, nicht alle paar Minuten auf die Uhr zu schauen. Irgendwann sah er im Augenwinkel, dass Draco die Große Halle verließ. Sie hatten gerade erst einmal halb sieben. Der Gryffindor seufzte lautlos, beschloss jedoch, sich vor dem Treffen noch ein wenig frisch zu machen, also verabschiedete er sich knapp von seinen Freunden, stand auf und machte sich auf den Weg zum Gryffindorturm, wo er schnell duschte und sich frische Klamotten anzog. Er war nervös wie ein kleiner Junge vor dem ersten Schultag. Mit pochendem Herzen checkte er zum gefühlten tausendsten Mal sein Spiegelbild, zupfte sich an seiner hoffnungslosen Frisur herum und legte ein klein wenig Parfum auf. Anschließend beeilte er sich zum vereinbarten Treffpunkt. Zum Glück begegnete er niemandem.

Um Punkt sieben Uhr stand er mit rasendem Herzen auf genau dem Fleck, auf dem Draco einen Abend zuvor auf ihn gewartet hatte. Die Minuten vergingen und er wurde immer nervöser. Nach etwa fünf Minuten hörte er Schritte und wusste, dass es Draco war. Er erkannte ihn mittlerweile tatsächlich schon an seinem Gang. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und voller Vorfreude knetete er seiner Hände. Als der blonde Haarschopf endlich in seinem Blickfeld auftauchte, musste Harry sich zurückhalten, nicht auf ihn zuzurennen.

Draco grinste. „Na?"

„Na?", wiederholte Harry gedehnt und grinste ebenfalls.

Wieder einmal war Draco eine einzige Augenweide. Seine Haare waren ausnahmsweise nicht streng zurückgekämmt, sondern fielen ihm locker ins Gesicht. Er trug ein weißes, langärmeliges Hemd und eine dunkle Stoffhose. Harry lächelte. „Komm mit", sagte er leise. Er wollte keine Zeit verlieren. Er ging voraus und Draco folgte ihm wortlos. Sie gingen den Gang entlang, bis zu einer unscheinbaren Tür, die Harry rasch öffnete. Sie schlüpften beide in den Raum, den Draco zuvor noch nie bemerkt hatte - und als Harry die Tür von innen wieder schloss, verschwand sie von außen.

Draco riss die Augen auf. Er sah sich im Raum um, und als erstes fiel ihm das große Bett auf. Ein Kamin brannte und sorgte für eine gemütliche Atmosphäre. Selbst ein Obstteller stand am Rand auf einem kleinen Tisch. „Ist das...", begann Draco fasziniert.

Der EisprinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt