18.Kapitel

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Unangenehme Stille nahm den Raum ein.
Anspannung war zu spüren und jeder der Anwesenden versuchte, den Blicken der anderen auszuweichen.
Das Fenster war geschlossen und was wie ein Milchglas wirkte, war in Wahrheit eine verdreckte Scheibe, die den Blick nach draußen verhinderte.
Im Zimmer war es unangenehm warm, auch wenn es ihr wahrscheinlich nur so vorkam.
Schweißperlen rannen ihre Stirn hinunter und Besorgnis hatte sich den Weg in ihre Augen gesucht.

Ihr Ehemann stand in der Mitte des Raumes wenige Meter von ihr Entfernt und ihre drei Kinder sah sie nur in ihrem Augenwinkel wie sie am Ende des Raumes saßen.
„Wie kamst du auf diese Idee?", brüllte sie der Kraftprotz an und unsicher trat sie einen Schritt zurück.

Die Jugendlichen saßen noch immer am Tisch und wagten es nicht, ihrem Vater in die Augen zu schauen oder auf geringste Weise Teil der Situation zu werden.
Der Lockenkopf rutsche ungeduldig auf seinem Platz herum und wartete nur darauf, endlich wieder reden zu dürfen.
Der etwas kräftiger Gebaute versuchte vergeblich sich abzulenken und spielte mit dem Junghund, der erfreut auf seinem Schoß herumsprang und um Aufmerksamkeit bettelte. Das Mädchen saß, unbekümmert von der sich abspielenden Situation, mit den Beinen auf dem Tisch und blickte in ihr Handy, welches einen hellblauen Schein auf ihr Gesicht warf.
Sie trug eine schwarze Hose und ein dunkelrotes Shirt, das so kurz war, dass sie damit wahrscheinlich nicht in einen Laden hätte gehen können, ohne rausgeworfen zu werden.

Ihre Mutter wusste nicht, was sie sagen sollte, hatte keine Ahnung und empfand es als angenehmer, still in eine Ecke zu schauen als ihrem Ehemann in die Augen.
Sie spürte einen stumpfen Schmerz in ihrem Gesicht und unterdrückte den aufkommenden Schmerzensschrei, welcher sich ihre Kehle entlangbahnte.
„Antworte mir gefälligst, wenn ich dir eine Frage stelle!", zischte er und lockerte seine bis dahin angespannte Faust.
Wimmernd hielt sie sich ihr Auge und blickte wieder zu ihm hinauf.
„Es tut mir leid. Ich...Ich hab nicht gewusst, dass es Silber ist. Es tut mir leid."
Die letzten Worte flüsterte sie nur, entweder, weil sie bereits wusste, dass sie nichts bringen würden oder weil es ihr zu viel abverlangte, nicht sofort in Tränen auszubrechen.

„Wir hatten diese verdammten Jäger davor schon auf unserer Spur und jetzt machst du so einen Schwachsinn."
Der Mann hatte aufgehört zu brüllen und es war eine dumpfe, stille Wut, die seinen Unterton einnahm.
Aufgebracht wandte er sich von seiner Familie ab und grub seine Hände in das Holz des Fensterbrettes, an dem er sich abstützte.
„Wieso muss meine verdammte Familie so unglaublich inkompetent sein?"
Die Frage galt eher sich selbst als jedem anderen.
Wut durchbrannte seine Augen, mit der er einen ganzen Wald hätte verglühen lassen können, als er sich wieder umdrehte.
Der Mann trat näher an den Tisch an dem die Jugendlichen vor sich hinwarteten und schaute dem Ältesten ohne Ausdruck an, nur seine Augen vermittelten den Hass, den er in diesem Moment empfand.
„...und du."
Beide zitterten. Einer vor Muskelanspannung und Wut und der andere vor aufkommender Angst, die sein Herz schneller schlagen ließ.
Der Hund, der vor ein paar Sekunden noch unbekümmert auf ihm herumgesprungen war, verkroch sich unter den Tisch und wimmerte leise.
„Frederic, bitte lass ihn in Ruhe. Das ist meine Schuld nicht seine!"
Schützend stellte die Mutter sich zwischen die beiden.
Eher würde sie sterben, als eines ihrer Kinder in Schmerzen zu sehen.
Ihre Augen leuchteten in einem satten Gelb und ihre Fingernägel formten sich zu spitzen Krallen, mit denen es ein leichtes gewesen wäre, Fleisch und Muskelsehnen wie Butter zu durchtrennen.
„Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann mir!"
Sie flüsterte und auch wenn sie wusste, dass sie diesen Kampf ebenso wenig gewinnen würde wie den zuvor, wenn nicht eine Menge an Glück auf ihrer Seite stünde, war sie bereit, ihn zu führen.
Ihr Ehemann trat einen Schritt zurück. Zu kämpfen lag nicht in seiner Absicht, auf jeden Fall nicht, wenn es seine Familie war, gegen die er gewinnen sollte.
Erleichtert atmete sein Sohn aus und spürte die beruhigende Hand seines Bruders auf der Schulter.
„Da hattest du aber mal Glück", meinte Robin und strich sich durch seine Locken, die ihm chaotisch in alle Richtungen standen.
Der Border Collie, welcher sich gerade noch unter dem Tisch versteckt hatte, kam aus seiner Deckung heraus und strich seinem Herrchen um die Füße wie eine Katze.
Bis auf ein paar Stellen war er fast komplett schwarz.
Seine Vorderpfoten waren weiß, als wäre er mit ihnen in einen Eimer Farbe gesprungen, und seine puschelige Schwanzspitze ließ ihn aussehen wie ein kleiner Fuchs.
Tröstend schaute das Tier zu seinem Freund aus hellbraunen Augen hinauf.
„Connor hat doch all das hier vermasselt", schnaubte Frederic und lies sich auf der Couch nieder, die an der Wand stand.
„Hätte er keinen Quatsch gemacht oder hätte er ihn wenigstens richtig gemacht, dann hätten wir diese Jäger jetzt nicht am Hals."
Der große Mann rieb sich seine Schläfen und widerstand dem Bedürfnis, etwas zu Kleinholz zu verarbeiten, um seine Wut auszulassen.
Der Hund schleckte Connor übers Gesicht und gab sich allergroße Mühe, seinen Besitzer aufzumuntern.
„Ich will dich heute nicht mehr sehen, verschwinde sofort und nimm deine nichtsnutzigen Geschwister mit!", brüllte sein Vater und deutete ihnen die Treppe nach oben zu ihren Zimmer.
Die dunkelgrüne Couch knackte unter dem Gewicht des Mannes, als er endlich wieder aufstand und nach draußen verschwand, um nach den Tieren zu schauen und das Vorankommen seiner Mitarbeiter zu überprüfen.
Frustriert atmete Mrs. Flenders aus und hielt sich das noch immer schmerzende Auge.
Tränen rannen ihre Wange hinunter und sie sank wimmernd zu Boden.
„Hier, für dein Auge."
Robin war aufgestanden und drückte ihr ein eingewickeltes Kühlpack zwischen die Hände.
Die Haut um ihr Auge hatte sich rot verfärbt und bis morgen würde sich dort ein dunkler Bluterguss gebildet haben.
„Komm, du weißt, was Vater gesagt hat!"
Connor zog seine Schwester vom Stuhl in Richtung Treppe und nach nur wenigen Sekunden war auch der Lockenkopf am Stufenansatz angekommen und zog sich widerwillig das Geländer hinauf.
„Oh... shit! Ist das euer Ernst?! Aber unten ist das WLAN am besten. Da macht ihr mal Scheiße und alle werden bestraft...und ich dachte, wir leben in einem freien Land", wandte die Jugendliche ein.
Sie war knapp über zwanzig und hielt die Hände an ihrem Smartphone, sogar beim Treppengehen.
Nach nur wenigen Augenblicken hatte Connor sein Zimmer erreicht und öffnete deprimiert die Tür, um sie anschließend wieder zu schließen, nach dem er hereingekommen war.
„Ich versteh nicht, wieso wir das alles machen. Wir sind so viel stärker als die Menschen!"
Er warf sich auf sein Bett und starrte an die Decke, die mit hellbraunem Eichenholz vertäfelt war.
„Wieso fragst du uns das? Wir sind auch nur unwissende Kinder."
Connor riss überrascht die Augen auf. Er hatte gar nicht gemerkt, dass ihm seine Geschwister in sein Zimmer gefolgt waren.
„Was macht ihr hier?"
Er setzte sich wieder auf und wartete auf die Antwort.
Seine Schwester, Feline, hatte ihr Handy eingepackt.
„Lieber du, als die Tatsache, dass ich kein Internet habe", sagte sie und fuhr sich durch ihre schwarz gefärbten Haare, die am Ansatz schon wieder rotbraun herauswuchsen.
Robin lehnte geduckt an der Zimmerwand und sah sich unsicher im Raum um.
Keines Ihrer Zimmer hatte besonders großen Unterschied.
Alle waren sie gleich groß und gleich ausgestattet.
Das einzige, was es persönlich zu ihrem machte, waren die eigenen Sachen, die sich nach und nach dort angesammelt hatten.
Sie waren hauptsächlich am Wochenende oder wie heute, an einem Feiertag, auf diesem Grundstück und an den restlichen Wochentagen in ihrem richtigen Haus, das weit näher an der Stadt lag und ihnen den Schulweg erleichterte.
So kam es, dass es die kleinen Unterschiede waren, die es zu ihren Schlafzimmern machten.
Poster, die an der Wand hingen, Bettwäsche, Fotos oder auch einfach ein paar Pflanzen.
„Ich bin hier, damit du nicht Selbstgespräche mit Caleb führen musst."
Robin sah zu dem Hund, der sich beruhigend auf seinen Bruder draufgelegte hatte, und dann wieder zurück zu seiner Schwester, die Kaugummiblasen formte.
Gelangweilt fing er an, in seiner Hoodie-Tasche zu wühlen und holte eine kleine Brotzeit-Box heraus, aus der er ein immer noch blutendes Herz holte.
„Wo hast du das denn her?", fragte Feline interessiert.
Ein Hauch von Überraschung, Neid und ein bisschen Bewunderung drangen aus ihrer Stimme hervor.
„Wieso sollte ich dir das sagen?", antwortete er eingebildet und biss in das blutige Organ, als er es zwischen seinen Händen hielt.
Blut rann seine spitzen Zähne hinunter und verschmierten seinen Mund in einem schmutzigen Rot.
Wie gespannt starrten alle auf das saftige Stück Fleisch und erst jetzt merkten sie, wie hungrig sie alle waren.
„Kann ich etwas abhaben?", fragte der Älteste seinen Bruder kleinlaut.
„Ihr hättet euch unten was holen sollen, bevor Dad uns hochgeschickt hat"
Er freute sich, dass er es war, der diesmal daran gedacht hatte und jetzt nicht hungrig ins Bett gehen musste.
Er spürte, wie der rote Lebenssaft seine Kehle entlanglief und obgleich es eiskalt war wegen der Lagerung im Kühlschrank, genoß er das Mahl.
Sorgfältig verspeiste der Werwolf das Tierherz und das einzige, was noch davon zeugte, dass er es gegessen hatte, war das Blut, das seine Hände und seinen Mund verfärbte.
„Also, Bruder, sag: Wieso hast du den Professor umgebracht", schnaufte Robin beeindruckt und wischte sich, so gut es ging, das Blut von seinen Händen.
„Ich..."
Er zögerte einen Moment und dachte darüber nach, was er denn sagen sollte.
Dass er sich nicht unter Kontrolle hatte, dass er sein Herz schlagen gehört hatte, wie es Blut durch jede einzelne seiner Venen pumpte, dass er seinen Hunger löschen wollte oder vielleicht sogar die Wahrheit?
„Ich war einfach neugierig. Ich konnte ja nicht wissen, dass Jäger in der Stadt sind." Er entschied sich dafür das die Wahrheit ihn in noch mehr Schwierigkeiten bringen könnte.
Er war kräftig gebaut, aber keines falls ungewöhnlich, nur etwa so viel, dass man fragen konnte, ob er denn trainieren ging.
„Neugierig?! Aber du hast doch gewusst, dass dich unser Vater dafür einen Kopf kürzer macht, oder?"
Feline hat sich eine Feile aus der Hosentasche geholt, um ihre ausgefahrenen Krallen zu schärfen.
Obwohl sie sie noch so gut wie nie richtig benutzt hatte, gab es für sie kein Argument, wieso nicht auch ihre Krallen schön aussehen sollten.
Die junge Werwölfin fuhr sich durch die Haare und überlegte einen Moment, den Weg in die Küche zu riskieren, um sich etwas zu essen zu holen, was sie schnell jedoch wieder verwarf, als sie an ihren aufgebrachten Vater dachte, der unten sein Unwesen trieb.
„Mann, nur wegen dir hocken wir jetzt hier oben fest und kriegen kein Abendessen. Und weißt du was? Bring nächstes mal bitte einen anderen Menschen um, den ich nicht gut leiden kann!", zischte Robin, der eigentlich keinen Grund hatte, sich über sein fehlendes Essen zu beschweren.
„Ach, ich hab nicht damit angefangen, Menschenherzen zu essen!", meckerte Connor zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, nachdem er sich beleidigt zur Wand gedreht hatte.
„Hätte ich das Herz dort einfach rumliegen lassen sollen? Komm schon, diese Freu war doch schon Tot, am Ende hätte sich noch irgendein dummes Tier sich über sie her gemacht. Ich meine ja sie war tot als ich sie fand aber trotzdem ist es mal was anderes als die ganze zeit nur Tierherzen. Wer von euch hätte nicht auch ein mal probiert wie Menschen Herz schmeckt?"
Robin schaute sich verteidigend um, ob irgendeiner seiner Geschwister sich für standhafter hielt als ihn.
Feline schaute ertappt zu Boden knirschte mit den Zähnen.
„Ich hab dir keinen Vorwurf gemacht", murmelte sie schlecht gelaunt.

Der Border Collie wackelte unverfroren mit seinem Schwanz und sprang guten Gemüts auf der hellgrauen Bettwäsche herum, auf welcher sein Besitzer lag.
„Ich finde Vater wird Mama nicht gerecht. Jeder von uns ist schon ins Fettnäpfchen getreten", sagte Connor nach einer Minuten anhaltender, peinlicher Stille.
„Das liegt nur daran, dass Mr. Yates bald vorbeikommt, du weißt doch, wie Vater dann immer drauf ist", sagte Feline.
Ihr Blick glitt zum Fenster, wo der Wind hörbar vor sich hin pfiff und mit den Ästen der Bäume spielte.
„Alles muss perfekt sein und wie geschmiert laufen."
Robin kaute auf seinen Fingernägeln herum.
„Das mit den Jägern war einfach Pech. Rumheulen ändert jetzt auch nichts mehr."
Der Lockenkopf stand auf und öffnete gelangweilt die Tür, welche auf den Gang führte.
„Ihr seid echt sowas von langweilig, da kann ich mich genauso gut auch alleine in meinem Zimmer beschäftigen."
Die Tür wurde geräuschlos wieder geschlossen und nur Feline und Connor waren noch im Zimmer.
Eine kurze Zeit war es still, bis sich Feline wieder zu Wort meldete.
„Ich werd dann mal wieder zurück in mein Zimmer gehen. Mathe lernt sich nicht von selbst", entschuldigte sie sich und wollte das Zimmer verlassen, als die Tür von außen geöffnet wurde.
„Hey, ihr Langweiler, ich weiß nicht, was ihr heute noch so vorhabt, aber wenn ihr noch Hunger habt, ich werde heute Abend ein paar Kaninchen jagen gehen. Ihr könnt gerne mitkommen",schlug Robin phlegmatisch vor.
Feline, die gerade eigentlich das Zimmer verlassen wollte, fing an zu schmunzeln und konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken.
„Du fühlst dich wohl schlecht, weil du deinen Snack nicht mit uns geteilt hast", feixte sie.
„Was! Nein, natürlich nicht. Ich wollte doch ...ich... Ach, vergiss es!"
Robin war vor Scham rot angelaufen.
„Lass mich doch in Ruhe! Dann geh ich eben ohne euch."
Feline hörte auf zu kichern und auch Connors Schmunzeln neigte sich Stück für Stück dem Ende hingegen.
„Nein, wir kommen schon mit."
Feline hörte ihren Bauch knurren. Keinenfalls würde sie so hungrig ins Bett gehen.
Connor nickte unsicher.
Einen Augenblick hatte er an seinen wütenden Vater gedacht, aber schnell vertrieb er diesen Gedanken wieder. Sollte er heute doch wenigstens Spaß mit seinen Geschwistern haben können, ohne sich Sorgen zu machen.
Die Sonne war noch immer hell, aber in nur wenigen Dutzend Minuten würde sie bereits trotz der Tatsache, dass es erst Nachmittag war, untergehen.
Obwohl es erst Anfang Herbst war, verdeckten die Berge den Glühenden Feuerball zu später Stunde.

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