Die Sonne stand hoch am Himmel und strahlte auf den Erdboden, der an einigen Stellen aufgerissen und von hässlichen Schlaglöchern bedeckt war.
Dean schlug die Fahrertür zu und rückte seine Krawatte zurecht, welche sich beim Fahren gelockert hatte.
„Ich fühl mich nicht gut dabei, Cass mit der Hexe alleine zu lassen." Der Winchester fuhr sich durch die Haare und steckte die Autoschlüssel in seine Tasche.
„Dean, ich glaube nicht, dass Kim ihn oder überhaupt irgendjemanden verletzt", versuchte Sam, seinen älteren Bruder zu beruhigen.
„Sie hat gesagt, dass sie noch nie jemanden verletzt hat."
Der Jüngere lief Dean hinterher, der schnurstracks den Feldweg entlangstürmte und gar nicht auf ihn achtete.
Das langgewachsene Gras wurde unauffällig hin- und hergewogt und die umstehenden Obstbäume raschelten im stetigen Wind.
„Ach, und das kaufst du ihr ab? Ich meine, komm schon, Sammy!"
Dean drehte sich zu seinem Bruder um und schaute ihn aufgebracht an.
„Ich hab nicht gelogen! Wenn sie auch nur irgendjemanden versucht zu schaden, dann dreh ich ihr den Hals um."
Er drehte sich wieder vor und ging weiter.
„Ja, ja. Dagegen hab ich ja nichts gesagt, ich finde nur, dass du ihr ein bisschen mehr Vertrauen entgegen bringen könntest. Sie hat uns ja auch mit Jake Park geholfen."
Sam beeilte sich, seinen Bruder einzuholen.
Der Weg führte zu ein paar unscheinbaren Häusern.Es waren Scheunen und auch ein paar Gehege dabei, von denen sich manche weit hinten befanden und kaum noch richtig zu sehen waren, da sie von den anderen Gebäuden verdeckt wurden.
Suchend traten die beiden näher.
Der beißende Gestank von Kuhdung und getrocknetem Gras erfüllte die Luft und gab ein eindeutiges Zeichen auf den aktiven Farmbetrieb.
Kein Zeichen eines Eingangs oder ähnlichem war auf den ersten Blick zu erkennen und einen Augenblick überlegte Dean, ob er sich nicht doch verfahren hatte, als er irgendwo ein leises Reden hörte, das kaum verständlich aus einer Scheune drang.
Sie war typisch Rot gestrichen und es war unvermeidlich zu sagen, dass sie sich in einem offensichtlich schlechten Zustand befand.
Die Farbe blätterte ab, die Ziegel des Daches lagen teils bereits brüchig auf dem Boden verteilt und Efeu bewucherte sie so sehr, dass man kaum noch ihre Farbe erkannte.
„Ja, Onkel, die werd ich heute auch noch machen...Ja, ja und nochmals ja! Um 17 Uhr bin ich wieder zuhause, versprochen, und jetzt BYE!"
Neugierig kam Dean um die Ecke und blickte auf jede Menge Stallboxen, in denen Pferde aufgeregt wieherten.
„Hi!"
Dean trat in die Halle durch das offene Tor.
Ruckartig zuckte die Person, die gerade noch geredet hatte, zusammen und drehte sich zu Dean.
„Hallo?", fragte der Junge zurück und schaute die beiden, die gerade gekommen waren, fragend an.
Das Handy, das er in der Hand hatte, packte er wieder in seine Tasche ein, die an einem der Gitter stand, über dem ein Pferd freudig auf die Karotte wartete, die der Junge in der Hand hatte.
„Warte noch kurz, Sophie!", forderte der Blondhaarige das Pferd auf und legte den Leckerbissen auf einen der Sattelträger, wo genanntes Tier vergeblich versuchte hinzukommen.
Der Junge war dünn und ausgesprochen zierlich.
Seine Haare trug er etwas länger, hinten zu einem kleinem Pferdeschwanz zusammengebunden und auf einer Scheitelseite Rot gefärbt.
Man hätte ihn nur zu leicht mit einem untaillierten Mädchen verwechseln können.
„Weißt du zufällig, wo ich den Farmbesitzer finden kann?", fragte Dean den Jugendlichen, der, unsicher, was er tun sollte, auf und ab trat wie ein verwirrtes Tier.
„Mrs. Flenders wird erst in einer halben Stunde kommen."
Der Junge wandte sich wieder zum Pferd und der Karotte und ging offenbar davon aus, dass die Konversation damit abgeschlossen sei.
Sam bewies ihm das Gegenteil.
„Wissen Sie zufällig irgendetwas über den Todesfall, der sich vor zwei Jahrzehnten hier ereignet hat?"
Die Bretter der Scheune knarzten unsicher vor sich hin und schienen ebenso gespannt auf die Antwort zu sein wie die beiden Jäger.
„Ich...Ich..."
Der Blondhaarige brachte kaum ein Wort raus und schaute ertappt zu Boden.
„Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte nicht darüber reden dürfen und es tut mir auch wirklich leid. Ich verspreche, dass ich es nie wieder machen werde."
Er stoppte, als er sich an seiner eigenen Spucke verschluckte.
„Ich weiß, dass ich davon nichts hätte erfahren sollen, dass ich es nicht hätte herumerzählen sollen und dass nicht nur ich dafür Ärger bekomme, sondern auch Darius, aber...aber es ist nur meine Schuld."
Sam überlegte, worüber der Kleine sprechen könnte.
„Ok, ganz ruhig! Wovon zum Geier redest du da?", fragte Dean den Jungen, der mit schniefender Nase vor ihnen stand und die Frage nicht richtig verstand.
„Sie sind nicht hier, um mich festzunehmen?", fragte er kleinlaut und vergrub seine Hände in seinen Pullovertaschen.
Unsicher stellte er sich ihnen vor und erklärte alles, oder versuchte es zumindest.
„Vor zwei Jahren, als ich bei meinem Onkel hier in der Gegend zu Besuch war, hab ich etwas in seinem Arbeitszimmer gefunden. Es war nur Papierkram, aber weil mir so langweilig war, hab ich es gelesen und jedem meiner Freunde davon erzählt. Es waren Akten über einen Unfall hier in der Gegend.
Ich hab nicht gewusst, dass das streng geheime Infos waren. Wie hätte ich auch? Mir hat man ja nie etwas davon erzählt. Ich hab von Mom Ärger bekommen und wurde wieder nach Hause geschickt, aber jetzt bin ich wieder hier und es wird immer noch darüber geredet, obwohl es ausdrücklich verboten wurde. Darius hätte deswegen fast seinen Job verloren, deswegen fühl ich mich unglaublich schuldig."
Erneut senkte der Junge, dessen Name Daniel war, den Kopf und betrachtete das Heu auf dem Boden.
„Du bist der Neffe des Sheriffs, oder?"
Auf Sams Frage richtete sich der Junge überrascht auf
„Sie kennen meinen Onkel?"
Daniel kratzte sich nervös an seinen Fingernägeln und überlegte, wie das Gespräch weiter verlaufen könnte.
„Sie bekommen keinen Ärger. Beantworten Sie einfach nur unsere Fragen! In Ordnung?"
Sams Erklärung half dem Blondhaarigen, sich etwas zu beruhigen.
Er wollte keinen Ärger bekommen und das Gewissen, dass seinetwegen jemand seinen Job verlor, wollte er auch nicht tragen.
Eilig nickte er zustimmend.
„Wissen Sie, wieso das geheim gehalten wurde?"
Sam rückte sein Jackett zurecht und wartete gespannt auf eine Antwort.
„Naja... Irgendjemand, der ziemlich weit oben war, hat wohl gemeint, dass jeder sich von dem Ganzen fern halten sollte, da man sich sonst große Probleme holt. Darüber zu reden ist deswegen streng verboten. Es kam nie in die öffentlichen Zeitungen und alle Akten, sogar die Kopien, wurden gelöscht oder verbrannt. Mehr weiß ich darüber nicht. Der Mann, der gestorben ist, hat hier seit Ewigkeiten gearbeitet und dann ganz plötzlich wird er in irgendeinem Weizenfeld mit herausgerissenem Herz gefunden. In den Akten stand, dass es keine Fußspuren gab und ein Tier, dass mit den Krallenspuren übereinstimmt, haben sie auch nicht gefunden."
Daniel rückte seine Frisur zurecht und spähte auf die andere Seite des Einganges, wo ein Pferd gerade aufgeregt gegen die Boxtür scharte.
Sam sah unauffällig umher und versicherte sich, dass ihn niemand anders hören konnte.
„Sind Ihnen vielleicht irgendwelche anderen Sachen ungewöhnlich vorgekommen?"
„Verdorbene Ernten oder vielleicht tote Tiere", gab Dean zu der Frage seines Bruders dazu und beobachtete die Reaktion.
Daniel trat nachdenklich auf der Stelle.
„Ich sollte darüber eigentlich nicht reden..."
Er wurde etwas leiser und kratzte sich am Haaransatz.
„...Vor ein paar Tagen hab ich einen Kadaver auf der Weide gefunden. Dem Kalb hat nur das Herz gefehlt und es war ziemlich zerfleischt."
Die beiden Winchesters schauten sich wissend an.
„Wissen Sie, wir sind hier die führenden Fleischlieferanten und manchmal kommt es halt auch vor, dass ein Fehler gemacht wird und eines der Tiere zu lange draußen bleibt und von einem Wolf gerissen wird, deswegen hab ich mir nichts dabei gedacht."
Er stoppte, senkte unsicher, was er sagen sollte, den Kopf.
„Aber gestern Nacht ist es wieder passiert und Sie werden mich für verrückt halten, aber ich könnte schwören, dass ich gesehen hab, wie ein Mensch es zerfleischt. Es war dunkel, ich könnte mich auch geirrt haben und als ich hingelaufen bin, um das Tier mit einem Schuss zu verscheuchen, war Josephine schon tot."
Daniel vergrub seine Hände noch tiefer im Pullover, trotz der brennenden Hitze störte ihn die Wärme nicht.
„Sie war mein Lieblingsschaf", gab der Blonde resigniert zu und senkte betrübt den Blick wie ein zurechtgewiesener Hund.
Ein plötzliches Knarren ließ ihn zusammenschrecken.
Die Tür am anderen Ende der Scheune ging auf.
Sie war nicht einmal halb so groß wie das große Scheunentor, durch das Sam und Dean gekommen waren.
Eine hellhaarige Frau kam herein und musterte die beiden FBI-Agenten, nachdem sie sich ihrem Mitarbeiter zugewandt hatte.
„Daniel, die Pferde wurden ja noch immer nicht richtig gefüttert. Was hast du die ganze Zeit gemacht?"
Der Junge schnappte sich einen Eimer Karotten und stürmte nach draußen.
„Tut mir leid, Mrs. Flenders, das werde ich sofort erledigen!", rief er noch zurück, bevor er durch den großen Eingang verschwunden war.
„Was wollen Sie hier?"
Sie trat einen Schritt näher und schaute die beiden fordernd an.
Die FBI-Marken wurden herausgeholt und Sam reichte der Frau höflich die Hand.
„Tut mir wirklich leid, aber bald wird die Grippezeit anfangen, deswegen verzichte ich auf Händeschütteln, wenn es Ihnen recht ist."
Erneut klapperten die Bretter des instabilen Hauses, die schon Jahrzehnte vor sich hin faulten.
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Verträge und Versprechen
LosoweNachdem in Coral, einem verschlafenen Dörfchen, eine Wasserleiche mit herausgerissenem Herz gefunden wurde, machen sich Castiel und die Winchesters auf die Suche nach dem Mörder. All das scheint für die Bewohner ein unglücklicher Unfall zu sein, was...