24.Kapitel

1 1 0
                                    

Fahles Mondlicht fiel durch die Lücken der zugenagelten Fenster.
Die im Raum stehenden Kerzen gaben einen ausreichenden Lichtschein, um alles zu erkennen und nicht vollkommen im Dunkeln zu stehen.
„Und...war's das?", fragte Sam abwesend in den leeren Raum hinein.
Er war sich nicht ganz sicher, ob Connor wirklich den Tod verdient hatte.
Offensichtlich hatte er seine Tat ja bereut und wollte nicht, dass noch jemand verletzt wurde.
Er schaute unruhig auf den leblosen Körper des Jungen und spürte, wie ihm Schuldgefühle in die Brust krochen.
„Ich denke schon", murmelte Dean abwesend, während er noch immer auf den Werwolf starrte und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Er wandte sich von der Leiche ab und schaute sich in der Kapelle um, welche unberührt von dem Blut, das ihren Boden bekleidete, weiter vor sich hin staubte.
An der Wand war ein großes Kreuz aus dunlerl Fichte gelehnt, an der eine Statue von Jesus aus Stein festgemacht war.
Das Material war dabei abzubröckeln und ein Teil des Arms war abgerissen worden, sodass die beiden sich nur umso mehr fragten, seit wann die Kapelle wohl schon unbenutzt war.
„Was ist mit Clarence? Er hat zwar gemeint, dass die Millers ihn umgebracht haben, aber wieso sollten sie ihn ertränken? Das macht doch gar keinen Sinn...außer sie wollten vielleicht weniger Aufmerksamkeit erregen..."
Sam hatte ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache. Sie hatten den Mörder zwar gefunden, doch schien ihm immer noch nicht alles Klar.
In diesem ganzen Fall waren viel zu viele leere Stellen, die ihm Sorgen bereiteten und seine Gedanken beanspruchten.
„Oder wer hat die Beweise gegen Zoey und den Hexenbeutel platziert?"
Dem Winchester fielen noch so viele weitere Ungereimtheiten auf, die er sich nicht beantworten konnte.
„Das können wir nachher noch besprechen. Jetzt sollten wir uns erstmal eine Schaufel holen, um den Werwolf zu vergraben", meinte Dean und klopfte seinem Bruder unbeachtet auf die Schulter.
„Am Ende werden wir noch von der Polizei verfolgt...auch wenn ich nicht glaube, dass die mit ihrem Sheriff weit kommen würden."
Dean trat einen Schritt näher an den Ausgang.
Ein Windstoß brachte die Türen zum Klappern und ließ die Kerzen hektisch aufflackern.
Einige von ihnen erloschen und hinterließen kleine, dampfende Rauchsäulen, die nach oben in die Luft stiegen.
Sie hinterließen einen öligen Geruch von Myrrhe und getrockneten Kräutern. Da die Kerzen wohl ganz offensichtlich aus dem Etui der Kirche stammten, wunderten sich die beiden Jäger darüber nicht weiter.
Dean blieb nachdenklich stehen.
Die Kälte biss sich hartnäckig durch seine Kleidung und wie immer half auch seine Jacke nichts gegen sie.
Mit einem plötzlichen, dumpfen Krachen wurde die Tür zum Treppenhaus zugeworfen und fiel knarzend ins Schloss.
An der Eichentür hing ein weißes Hinweisschild.
‚Nur für Pfarrer', verkündete es.
Der Weg in das oberste Zimmerchen, in dem sich die Glocken befanden, war höchstens einen Meter breit und schien aus einem anderen Jahrhundert zu stammen.
Reflexartig hatten die beiden Brüder ihre Waffen gezogen und entsichert, als sie ein paar Schritte im Turmhaus hörten, welche ein leises, kaum zu erkennendes Echo warfen und dann plötzlich verstummten.
Sie standen Rücken an Rücken, um den Ausgang und den Innenraum der Kirche zu decken und jederzeit auf einen Angriff gefasst zu sein.
Das wenige Licht der Kerzen, die den Windstoß verkraftet hatten, reichte nicht einmal an das Ende der Kapelle.
Dean kniff seine Augen zusammen, als er in den Ecken die Umrisse einer Person sah und das, ohne dass sich die Tür nach draußen geöffnet hatte oder sie weitere Geräusche gehört hatten.
„Wer ist da?" auch Sam drehte sich jetzt zu der Shiloutte um und strengte sich an, die Person zu erkennen, welche sie aus der Dunkelheit der Ecke anstarrte.
Ein Augenblick verging, bis die Person einen Schritt näher zu ihnen ins Licht trat.
„Cass, was machst du denn hier?", fragte Dean, als er seinen Freund erkannte und die Waffe beruhigt senkte.
Erst jetzt sah er die zerfetzte Kleidung seines Freundes, welche von Krallen zerrissen und an manchen Stellen angebrannt war.
Blut tropft vom Mantel herunter und hinterließ tiefrote Flecken auf dem staubig verdreckten Marmorboden.
Dean riss die Augen auf und trat eilig einen Schritt näher heran.
„Cass, geht's dir gut? Was ist passiert?"
Er versuchte, Blickkontakt zu seinem Freund zu finden.
Sam trat wieder einen Schritt näher an seinen Bruder. Irgendetwas machte ihm bei der ganzen Sache ein schlechtes Gefühl. Ein bedrückendes, unangenehmes Gefühl, das ihm bis ins Knochenmark fuhr.
Es konnte durchaus eine Folge des schummrigen Lichts sein, doch irgendwie schienen die blauen Augen des Engels in ein tristes Grau gewichen zu sein.
Noch immer stand er dort, regungslos, während sein Blut auf den Boden tropfte, als ein plötzliches Lächeln seine Lippen umspielte.
„Du musst dir keine Sorgen machen. Dem Engel geht's ganz bestimmt gut."
Er trat einen Schritt näher an die beiden Jäger heran und zeigte ihnen die feurig roten Augen eines Dämons.
„Schön, euch endlich kennenzulernen. Mein Name is Cayn." Sein Lächeln hielt er bei, sogar als er beobachtete, wie Dean einen Schritt zurücktrat und seine Waffe erneut entsicherte, als er ihn anstarrte.
„Ein Kreuzungsdämon...", meinte Sam überrascht
Die rot verfärbten Augen des Dämons hatten Dean komplett aus dem Konzept geworfen.
Man konnte fast meinen, es hätte ihm die Sprache verschlagen, aber wenn man ihn denn kannte, wusste man, dass eher das Gegenteil der Fall war.
Seine Muskeln zitterten vor Anspannung und sein Herz raste vom Adrenalin, das durch seine Adern schoss und ihn in Rage versetzte.
„...Wenn du nicht sofort den Körper meines Freundes verlässt, dann schwöre ich dir, dass du dir wünschen wirst, in der Hölle zu sein!"
Seine Stimme war ruhig und so hasserfüllt, dass jeder normale Mensch Angst vor ihm gehabt hätte, aber der Dämon zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern.
„Von dem, was ich in der Hölle gehört habe, glaube ich dir das einfach mal."
So ein unnatürliches Lachen auf dem Gesicht seines Freundes zu sehen, bereitete dem Winchester eine gewisse Unbehaglichkeit und die roten Augen zu sehen ließ ihn vor Wut die Hände ballen.
Sam versuchte, sich auch zu Wort zu melden: „Was macht ein Kreuzungsdämon wie du hier?"
Sein Bruder verdeutlichte ihm mit einem Blick zwar klipp und klar, dass ihm diese Frage ziemlich egal war, doch er ließ ihn trotzdem zu Ende reden.
„Was ich hier mache?! Sag mal, wieso fragt mich das denn heute jeder?"
Cayn rieb sich genervt die Augenlider.
„Ich hol die Seelen, mach Verträge und unterhalte mich mit meinen Geschäftspartnern! Was denn sonst?" Er richtete den Trenchcoat und widmete sich wieder den beiden Menschen, welche jeden seiner Bewegungen gespannt folgten.
„All meine Kollegen schicken ihre dämlichen Köter, um diese Aufgabe zu machen, aber ich komm selbst."
Sam beobachtete den Dämon nachdenklich und ließ die Stimme seines Freundes auf ihn einwirken.
„Sie haben Lora umgebracht", stellte er fest.
Cayn fuhr sich durch die Haare, als hätte ihm jemand gerade ein schleimiges Kompliment gemacht und lächelte imponierend.
„Naja, eigentlich haben sie sich ja alle immer selbst umgebracht."
Dean starrte den Dämon verachtend an. Niemand würde einfach so Besitz von seinem Engel ergreifen und damit ungestraft davon kommen.
„Claires Bruder...", erinnerte sich Dean an die Forschungen, von denen sein Bruder ihm berichtet hatte.
Cayn nickte amüsiert.
„Ich war einfach zu neugierig. Ich wollte wissen, wie gut ihr wirklich seid und hab den jungen Connor gebeten, dass er doch bitte jemanden umbringen solle, damit ich dieser Zoey alles in die Schuhe schieben kann."
Er sah die beiden Menschen fasziniert an. „Ich muss gestehen, ihr seid besser, als ich gedacht habe."
Cayn fing erneut an, unnatürlich zu lächeln und trat einen Schritt näher an die beiden Jäger.
Jetzt trennte sie nur noch ein Meter Entfernung.
„Höllenhunde sind zwar nützlich. Das beste Beispiel dafür ist definitiv diese Hülle...", er zeigte auf die Wunden, „...aber Selbstmord ist um einiges weniger auffällig für Jäger."
Er blieb still und ging wieder einige Schritte zurück.
Eine Ernsthaftigkeit, wie es bei Cass normalerweise der Fall war, war in seine Mimik getreten.
„Und jetzt ist alles, was ich mir Jahrzehnte aufgebaut habe, weg."
Cayn hatte den beiden Jägern den Rücken zugekehrt. Er war sich sicher, dass sie nicht abhauen würden, solange er sich noch immer den Körper mit einem ihrer Freunde teilte.
Hinter ihm schmiedete Dean bereits einen Plan, seinen Freund zu befreien.
Er konnte es nicht ertragen, noch länger jemandem mit dem Körper seines Freundes sprechen zu sehen.
„Exorcizamus te, omnis...", fing er an, den Exorzismus aufzusagen.
Cayn drehte sich überrascht um. Er spürte, wie er langsam angefangen wurde, aus der Hülle gerissen zu werden, wie jeder Faden, mit dem er sich an diese Hülle gebunden hatte, auseinandergerissen wurde, aber das passte ihm so ganz und gar nicht. Er brauchte den Engel noch und wenn er ihn verlieren würde, stünde den Winchesters nichts im Weg, ihn umzubringen.
Der Engel hatte es ihm sowieso schon schwer genug gemacht und jetzt auch noch das.
Er presste sich die Hände auf die Ohren, in der Hoffnung, es würde etwas bringen, aber das tat es nicht.
Mit einer Handbewegung warf er den Jäger an die Wand, aber das hinderte ihn nicht, weiter zu sprechen.
Cayn versuchte verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen, einen Ausweg zu finden. Er musste die Kontrolle behalten.
Würde er mit nichts und wieder nichts in die Hölle fahren, würden sie ihn dort hundertprozentig foltern oder gar töten.
Er biss die Zähne zusammen und griff in den Trenchcoat, wo er die silberne Klinge herausholte.
Er war kaum mehr in der Lage, sich richtig zu bewegen und einen Moment hatte er versucht, klar zu denken, sich voll und ganz nur auf das Problem zu konzentrieren.
„Schluss!", schrie er. Die Silberklinge hatte an seiner Kehle angesetzt und tatsächlich, es war wieder still.
Dean war verstummt. Noch nie hatte er einen Dämon gesehen, der seine eigene Hülle als Geisel benutzte.
„Wenn ich sterbe, dann wird er es auch", keuchte Cayn angestrengt. Er wusste nicht genau, wie lange er noch in der Lage war, die Oberhand über den Körper zu behalten.
Dean ballte seine Hände zu Fäusten. „Du bluffst doch!"
Cayn fuhr sich mit der Engelsklinge über die Brust.
„Denkst du?"
Er stach demonstrativ in sein Fleisch, spürte, wie sich der Schmerz durch seine verdorbene Seele brannte und durch die wahre Form des Engels, mit dem er sich den Körper teilte.
„Ich bin nicht wie die meisten Dämonen. Ich bin alt und ich bin durchaus bereit, für meine Pläne zu sterben." Die Schmerzen verzerrten sein Gesicht in Qualen und selbst das Sprechen schien für ihn mehr als unangenehm zu sein.
„Lieber sterbe ich hier und jetzt und nehme einen dieser gefiederten Vollidioten mit ins Grab, als den Rest meines Lebens als ein Nichts in der Hölle zu verschwenden und gefoltert zu werden."
Sein gequälter Gesichtsausdruck war wieder gewichen.
„Also denkt dran. Noch einmal einen Exorzismusversuch und der Engel wird noch mehr leiden, als er es davor schon getan hat."
Er senkte die Waffe wieder.
„Shit", fluchte Dean. „Es muss doch irgendeinen anderen weg geben ihn umzubringen ohne Cass zu verletzen."
Sam dachte nach. „Natürlich! Was ist mit dem Dämonenmesser?"
Die beiden schauten sich fragend an und Dean fing an, in seinen Taschen danach zu suchen.
„Meint ihr das hier?"
Der Dämon holte das Messer aus seinem Mantel hervor. Er schüttelte missbilligend den Kopf. „Ihr solltet eure Sachen nicht so in der Gegend rumliegen lassen."
Er packte es wieder ein. Cayn wusste nicht einmal genau den Grund, wieso er noch hier war.
Er hätte einfach Besitz von dem Engel ergreifen und sich vom Acker machen können.
Schmerzerfüllt fuhr er sich über die selbst zugefügte Wunde.
Sie war keinesfalls wirklich ein ernsthaftes Problem, trotzdem waren sie mehr als unangenehm.
Manchmal konnte er sich selbst hassen für diese verdammte Neugier, die ihm mehr als nur einmal das Leben hätte kosten können.
„Gut ich werde dann mal verschwinden", meinte er und rückte erneut seinen Trenchcoat zurecht, obwohl, wenn man es genau sah, es ja eigentlich Castiels Trenchcoat war.
Er schüttelte abwesend den Kopf. Wenn er sich nicht beeilte, würde der Engel ihn wirklich noch aus diesem Körper werfen.
Cayn zog einen imaginären Hut für sie und dann war er verschwunden.
Die Kerzen waren mit einem plötzlichen Windzug ausgegangen und diesmal standen die beiden Winchesters wirklich in der Dunkelheit.
Dean konnte immer noch nicht genau fassen, was gerade passiert war.
Er hatte gerade seinen Freund verloren, an einen drittklassigen Dämon.
Verzweifelt fuhr er sich durch die Haare.
„Fuck!", schrie er und ballte seine Hand. Wie konnte das passiert sein?
Er schlug vor Wut gegen die Holztür der Kirche.
Der Jäger spürte, wie seine Handgelenke brannten und die Holzsplitter seine Haut aufrissen.
Welch eine Ironie, dachte er sich.
Sie hatten ihren Engel in einer uralten Kirche verloren, einen Ort der wahrscheinlich einmal von Gläubigen nur so gefüllt gewesen war.
Er spürte, wie sein Bruder ihm die Hand auf die Schulter legte. „Mach dir keine Sorgen, wir finden ihn wieder."
Der Regen war fort, die Wolken hatten sich verzogen und ein wunderschön klarer Sternenhimmel war zu sehen.
Der Horizont gab bereits die ersten Sonnenstrahlen preis und offenbarte eine atemberaubende Morgenröte, welche wie tausende Rubine leuchtete.

Verträge und VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt