5. Kapitel

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Oh Gott, habe ich ihm gerade wirklich gesagt, dass ich ihn auf Instagram gefunden habe?

Wie vom Blitz getroffen eile ich durch die Flure, hinaus auf den Parkplatz, bevor Herr Engel auf die Idee kommt, mich zurückzurufen. Was habe ich mir bloß dabei gedacht, ihm das zu sagen? Er muss mich für eine Irre halten. Eine Irre, die ihren Lehrer stalkt. Ich sollte die nächsten Wochen einfach die Schule schwänzen, bis er und ich die Sache vergessen haben. Guter Plan.

Nein, ist es nicht.

Ich schwänze keine Schule, niemals.

Ich werde ihm einfach aus dem Weg gehen. Moment, wie soll das gehen, wenn ich an drei von fünf Tagen Unterricht bei ihm habe? Ein paar Wochen auf die mündliche Mitarbeit verzichten. Wenn ich in der nächsten Klausur einfach eine 1 schreibe, habe ich das locker wieder drinnen. Ich komme als Letztes in die Klasse und gehe als Erstes.

Je näher ich dem Parkplatz komme, desto besser finde ich die Idee.

„Da bist du ja endlich, ich warte schon eine Ewigkeit. Sonst bist du doch immer die Pünktlichkeit in Person", tadelt mich mein Bruder und steht vom Boden auf und geht um mein Auto herum, auf die Beifahrerseite.

„Tut mir leid, ich wurde aufgehalten", gebe ich von mir und versuche meine Schlüssel aus meiner Tasche zu fischen.

„Ja, ja. Du hast bestimmt wieder mit Bruno herumgeknutscht und bist deswegen zu spät. Ich habe euch gestern Abend gehört", will mich Marlon aufziehen und macht Knutschgeräusche nach, die mich nur noch schussliger machen und mir erneut der Schlüssel durch die Finger gleitet.

„Sei still! So war es gar nicht", keife ich ihn an und überlege tatsächlich, ob ich ihn nicht einfach stehen lassen soll und alleine Bouldern gehen soll.

„Such schneller, sonst schlagen wir hier noch Wurzeln", hetzt mich Marlon. Wenn ich es selbst nicht so eilig hätte hier wegzukommen, bevor ein gewisser Lehrer hier austauscht, dessen Auto natürlich wieder neben meinem steht, wäre jetzt der Moment gekommen, in dem ich mir noch mehr Zeit lasse.

Ob er weiß, dass es sich dabei um mein Auto handelt, neben das er sich schon die ganze Woche gestellt hat?

„Hallo Herr Engel, netter Wagen", ruft Marlon und ich höre, das Auto hinter mir sich entriegeln. Mein Körper erstarrt. Das darf nicht wahr sein. Ich atme einmal tief durch und bekomme endlich meine Schlüssel zu greifen. Der erste Gedanke, der sich in meinen Kopf schleicht, ist, dass Herr Engel Marlons Kommentar über gestern Abend gehört hat, aber dafür sollte er noch zu weit weg gewesen sein.

„Danke. Das ist also Ihr Auto, Antonia. Ich habe mich schon gefragt, neben wem ich hier jeden Tag parke", sagt Herr Engel und ist an seinem Auto angekommen.

„Ja.. sieht ganz so aus", stammle ich und entriegle die Türen meines Autos. Mein roter Mini ist ihm also aufgefallen.

„Sehr schön und sie beide fahren nach Hause?", fragt er uns und schaut zwischen Marlon und mir hin und her. Warum fragt er das?

Unfähig zu sprechen, starre ich ihn einfach nur an. In der Klasse, konnte ich noch so mutige Sprüche klopfen, warum bekomme ich jetzt kaum ein Wort raus?

„Nein, wir gehen Bouldern", antwortet ihm mein Bruder.

„In meiner alten Heimat war ich auch oft Bouldern, wo kann man denn hier klettern gehen? Ich kenne mich gar nicht mehr aus."

„Gar nicht weit von hier, hat vor zwei Jahren eine neue Halle eröffnet. Wollen Sie mit?", höre ich meinen Bruder, unseren Lehrer und werfe ihm einen Blick zu, mit weit aufgerissenen Augen, der sagt „bist du verrückt?". Was denkt sich Marlon? Wir können doch nicht einfach Zeit mit Herr Engel verbringen. Und schon gar nicht außerhalb der Schule.

Langsam drehe ich mich zu Herrn Engel herum, der seinen Blick immer wieder von mir zu Marlon wandern lässt. Er wird doch nicht zu sagen?

„Ich bin leider schon verabredet, das nächste Mal vielleicht."

Glück gehabt.

„Aber ihnen viel Spaß!", wünscht er uns und nickt meinem Bruder zu, der sich schulterzuckend auf seinen Sitz gleiten lässt.

„Bis nächste Woche, Antonia", sagt er beinah lautlos und schüttelt, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und steigt in sein Auto ein.

Während der gesamten drei Stunden, in denen Marlon und ich Bouldern waren, habe ich ihm immer wieder böse Blicke zugeworfen. Nicht nur, für den unnötigen Kommentar wegen Bruno, sondern vielmehr, dass er Herr Engel gefragt hat, ob er mit uns kommen möchte. Ich weiß, dass er sich dabei nichts gedacht hat, aber hätte er das Gespräch mitbekommen, dass Herr Engel und ich keine fünf Minuten früher geführt haben, würde er verstehen, warum er böse Blicke von mir erntet.

„Kannst du bitte aufhören, mich mit deinen Blicken töten zu wollen?", bittet mich Marlon und holt seine Wasserflasche aus seinem Rucksack, während wir wieder zu meinem Auto laufen.

„Nein!", spie ich ihn an und schaue nur noch böser drein.

„Das machst du jetzt schon, seit wir hier sind. Was habe ich dir denn getan? Geht es um den Kommentar wegen Bruno? Du weißt doch, dass das nur Spaß war. Mir doch egal, was du und er machen, sobald die Tür hinter euch zu ist."

Verächtlich schnaube ich und laufe einen Schritt zu, sodass ich an ihm vorbeilaufe.

„Hää? Wenn es nicht wegen Bruno ist, wegen was dann? Doch nicht, weil ich Herr Engel gefragt habe, ob er mit gehen will, das war doch nur ein Witz", ruft er mir nach und ich bleibe abrupt stehen. Er hat voll ins Schwarze getroffen. Ich drehe mich zu ihm um und will zum Reden ansetzen, entscheide mich jedoch um und nehme mein Auto ins Visier.

„Oha, es ist wegen Herr Engel. Stehst du auf ihn??" Marlon eilt zu mir und packt mich am Ellenbogen und wirbelt mich zu ihm herum.

„Nein, tue ich nicht!", protestiere ich und reiße mich aus dem Griff von meinem kleinen Bruder, der einen ziemlichen festen Griff hat für einen 16-jährigen.

„Sicher? Es sieht nämlich ganz danach aus. Das würde auch erklären, warum es dich so fuchst, dass er dich Antonia nennt und nicht wie alle Toni?", bohrt Marlon weiter und schaut mir, mit seinen grünen Augen, tief in meine.

„Ja sicher! Ich bin mit Bruno zusammen. Herr Engel ist unser Lehrer, mehr nicht. Es würde mich genauso fuchsen, wenn mich ein anderer Lehrer mich Antonia nennen würde", erkläre ich bissig und weiche einen Schritt nach hinten, um seinen Blicken aus dem Weg zu gehen.

„Ach ja? Frau Glanz nennt dich Antonia!"

„Das ist etwas vollkommen anderes. Sie ist das Böse in Person. Und jetzt Schluss.", entgegne ich Marlon und beende somit das Gespräch.

Der Abend mit Thea kommt wie gerufen, um das Gedankenkurassel in dem ich mich befinde abzuschalten und nicht die ganze Zeit die Worte von Marlon denken zu müssen. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass ich auf Herr Engel stehe. Nein. Nicht möglich. Ich liebe Bruno und zwischen uns ist schon alles ins Detail geplant. Das werde ich doch nicht für Herrn Engel aufs Spiel setzen, außerdem weiß ich gar nicht, ob er auch etwas für mich empfindet.

HALT STOP!

Ich empfinde nichts für Herr Engel.

Zumindest nicht mehr, was man eben für seinen Lehrer fühlt. Anfangs war ich sehr skeptisch, was ihn angeht, aber macht wirklich einen sehr kompetenten Eindruck. Ich mag ihn. Er ist mir einfach.. Sympathisch und er mag meinen Namen. Und ich habe mehr oder weniger zugegeben, dass ich ihn außerhalb von der Schule im Internet gesucht habe. Oh Gott. Ich werde ihm so schnell nicht mehr in die Augen sehen können, ohne dass er weiß, was ich schon alles von ihm gesehen habe. Und das ist so einiges. Sofort habe ich ein Kopfkino von ihm in Badehose am Strand und die Hitze steigt mir in die Wangen und färben sie rot.

Zum Glück liegen wir im dunklen Wohnzimmer von Theas Eltern, die sich übers Wochenende in ein nettes Wellnesshotel eingebucht haben und Thea kann mein knallrotes Gesicht nicht sehen.

Mit Chips, Popcorn, Sushi und Wein haben wir es uns auf dem riesen Sofa bequem gemacht und schauen Theas Lieblingsserie – Pretty little Liars.

Ja, ich kann die Ironie fühlen.

Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass wir in irgendeiner Bar landen und uns betrinken. Tatsächlich war das nach dem heutigen Tag auch mein Plan, aber meine Unterarme und meine Finger tun immer noch höllisch schmerzen von der letzten dunkelblauen Route. Die Route ist mit Überhang und normalerweise habe ich damit überhaupt keine Probleme, aber mein Kopf und meine Gedanken waren nicht bei der Sache und ich bin abgerutscht und habe mir an meinem rechten Arm demoliert. Ein Verband war nötig, damit der feine Staub, das Magnesium nicht in die Wunde gelangen kann.

Aber so, ist es mir dann doch viel lieber. Wir schauen die Serie und jeder hängt seinen Gedanken nach. Das mag ich so an Thea. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie spüren, dass mich etwas beschäftigt, doch merkt, dass ich nicht darüber sprechen will und fragt nicht nach. Wenn ich mit ihr über ... Herr Engel sprechen wollte, würde ich es tun. Aber das würde bedeuten, dass ich ihr von meinem Fund auf Instagram erzählen müsste und das sollte ich nicht tun. Niemals.

Obwohl ich mir vorstellen kann, dass er sein Profil schon längst auf privat gestellt hat, damit kein Schüler auf sein Profil zugriff hat. Vielleicht sollte ich ihm mitteilen, dass ich niemanden von meinem Fund erzählt habe und es auch nicht tun werde. Er muss sein Profil nicht privat stellen. Es war für mich schon schwierig sein Profil zu finden, ich bezweifle, dass ein anderer meiner Klassenkameraden ein solches Interesse an ihm hat.

Nach der sechsten Folge pausiert Thea die Serie und sieht mich von ihrer Seite des Sofas mit immer kleiner werdenden, müden Augen an. „Ich bin total müde, ist es für dich okay, wenn wir nach oben ins Bett gehen?", bittet mich Thea.

Ich willige ein und Thea macht den Fernseher aus, unterdessen räume ich unser Geschirr in die Küche. Sauber machen wir morgen früh.

Auch wenn ich einen super ereignisvollen und anstrengenden Tag hinter mir habe, schaffe ich es nicht eine Minute stillzuliegen. Ein schlechtes Gewissen beschleicht mich, dass ich mich so heftig im Bett hin und her wälze, dass Thea neben mir bei jeder meiner Bewegung einen schweren Seufzer von sich gibt.

Jetzt, wo mein Gehirn nicht mehr von der Serie und dem Fernseher abgelenkt wird, klopft mein Herz so heftig schnell und laut, dass man den Sekundenzeiger der analogen Uhr über Theas Bett gar nicht mehr hören kann. Trotz der ganzen Atemübungen, die ich versuche, habe ich keine Kontrolle darüber und der Druck der auf meiner Blase liegt, von dem Wein und dem ganzen Wasser, dass ich vor dem Schlafen gehen getrunken habe.

Mit gestillten körperlichen Bedürfnissen, watschle ich wieder zurück in Theas Zimmer, die immer noch seelenruhig vor sich her säuselt und gar nicht mitbekommen hat, dass ich das Zimmer verlassen habe. Wie im Autopilotenmodus stehle ich mein eigenes Handy vom Nachtisch und verschwinde erneut ins Bad.

Der Gedanke, dass Herrn Engels Profil nicht mehr öffentlich sein könnte, treibt mich beinah in den Wahnsinn. Zwar habe ich mir seine Bilder so gut es geht eingeprägt, doch wie lange sie in mir gespeichert sind, weiß ich nicht.

Vor dem Badewannenrand halte ich inne, lasse mich auf den kalten Fliesenboden nieder und umgreife mit beiden Händen fest mein Handy. Ich weiß, dass es mich nicht kümmern sollte und es geht mich absolut nichts an, aber dennoch siegt die Unvernunft und ich öffne die App auf meinem Smartphone und tippe in die Suchleiste „Nick Engel" ein.

Sein Profil ist das erste, dass mit angezeigt wird. Mit dem roten Kreis, um sein Profilbild. Sein Profil ist immer noch öffentlich. Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust. Obwohl ich ihm gebeichtet habe, dass ich sein Instagram gefunden habe, hat er es nicht auf Privat gestellt. Ob ihm überhaupt bewusst ist, dass ich mir seine Bilder angeschaut habe? Die, auf denen er seinen verdammt heißen Oberkörper zur Schau stellt?

Die Frage stellt sich mir, ist der rote Kreis um sein Bild noch der selbe, wie heute Morgen oder von seiner Verabredung, von der er Marlon und mir erzählt hat? Ich will auf den roten Kreis drücken und seine Story anschauen, aber ich darf nicht. Wenn ich das mache, sieht er, dass ich mich immer noch auf seinem Profil herumtreibe.

Damit ich nicht in Versuchung gerate, lege ich mein Handy auf den Fußboden und richte mich auf, um mir am Waschbecken Wasser ins Gesicht zu spritzen und einen klaren Kopf zu bekommen. Ein wenig Vernunft in mich prügeln.

Für ganze 30 Sekunden schaffe ich es, mich von meinem Handy abzuwenden. Länger nicht und ich habe es schon wieder in den Händen und klicke auf den roten Kreis.

Von meiner mündlichen Mitarbeit kann ich mich nun verabschieden.

Es muss ein Geheimnis bleibenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt