32. Kapitel

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„Essen ist fertig", erklingt die Stimme meiner Mutter im Türrahmen meines Zimmers. Ich zucke krampfartig zusammen, sodass sich mein Handy beinah aus meinen Händen verabschiedet und Bekanntschaft mit dem Fußboden macht. Glücklicherweise fange ich es noch rechtzeitig auf und deaktiviere den hell leuchtenden Display. Bis eben war noch Nicks und mein Chat offen. Seid meinem Besuch in der Kanzlei meiner Mutter, vor vier Tagen, bin ich noch vorsichtiger geworden. Sie hat ihren Standpunkt klar und deutlich gemacht. Eine Beziehung mit dem Lehrer ist inakzeptabel. Es hat mir nochmal genauer vor Augen gebracht, dass sie meine Liebe zu Nick niemals dulden würde.

„Ich bin heute Abend mit Thea zum Essen verabredet, hatte ich das nicht gesagt?" frage ich Stirnrunzelnd und drehe mich mit meinem Drehstuhl zu ihr um. Ich bin mir zu 110% sicher, dass ich das erwähnt habe. Auch wenn „Thea" immer noch das Codewort für „Nick" ist.

Mit verschränkten Armen lehnt sie im Türrahmen und sieht mich erwartungsvoll von der anderen Seite des Raumes an. Meine Mutter schaut heute anders aus als sonst. Statt ihrer sonst üblichen Business-Outfits ist sie heute leger gekleidet, Freizeitklamotten. Ich bin mir nicht sicher, wann sie das letzte Mal so zu Gesicht bekommen habe. Sie trägt heute ein einfaches Strickkleid, dazu eine schwarze blickdichte Strumpfhose und einen kuschligen Cardigan. Das ist so untypisch, dass sie überhaupt über etwas anderes als Blusen und Blazern besitzt, ist mir neu. Bei näherer Betrachtung erkenne ich, dass es sich dabei um meinen Cardigan handelt. Doch so wie sie mich betrachtet, sollte ich dies nicht zu Worte bringen.

„Doch, das hattest du gesagt, aber ich habe dich in den Ferien kaum zu Gesicht bekommen und da du und Thea, jeden Tag und jede Nacht zusammen verbracht habt, bin ich mir sicher, dass ihr zwei es einen Abend verkraftet getrennt voneinander zu verbringen. Immerhin ist morgen wieder Schule und ihr seht euch volle acht Stunden", ruft mir meine Mutter ins Gedächtnis und setzt ihren strengen Anwaltsblick auf. Bei diesem Anblick weiß ich, dass ich keine Chance habe. Sie wird sich auf keine Diskussion mit mir einlassen und da es sicher ist, dass ich es mir in geraumer Zeit ziemlich mit ihr verscherzen werde, gebe ich klein bei. Widerwillig, aber gut.

„Sag bitte deinem Bruder Bescheid, dein Vater und ich warten unten", mit diesen Worten stemmt sie sich vom Türrahmen ab und lässt mich alleine in meinem Zimmer zurück.

Vor Marlons Zimmer halte ich inne. Seid unserer überaus unschönen Rückfahrt nach Weihnachten, meidet Marlon meine Gesellschaft. Doch ich bin keinen Deut besser. Ich meide es ihm über den Weg zu laufen. Aber so ist es besser, als ihn ständig weiter anlügen zu müssen. Eine Win-Win-Situation, wohl kaum. Marlon weiß mehr als mir recht ist. Wir waren immer ein Herz und eine Seele. Wie es aktuell zwischen uns läuft, bedrückt mich sehr, doch ich sehe keinen anderen Weg, richtig mit der Sache umzugehen.

Nick und ich haben lange darüber gesprochen, wie wir weiter damit umgehen sollen. Doch bis auf, dass wir erst nach meinem Abschluss meiner Familie reinen Wein einschenken, ist nicht. Viel zu riskant. Gleiches gilt für seine Familie. Wir wohnen in einem Vorstadt von Berlin, die Gefahr, dass es eine falsche Person erfahren könnte, ist zu groß. Also gilt es weiterhin, ein Geheimnis daraus zu machen. Es fühlt sich wie ein Rückschritt an, nach Köln. In Köln war alles so einfach, ob es hier nach meinem Abschluss so werden wird, bezweifle ich. Durch meine Mutter kennt man uns hier überall. Und Nick, er ist Lehrer in unserer Vorstadt. Ihn kennt man genauso. Immerhin leben auch seine Eltern hier, er ist hier aufgewachsen.

Und ich habe meine Mutter erlebt, wenn sie erfährt, dass ihre eigene Tochter den gleichen „Fehler", wie ihre Klientin macht. Ich schüttele den Kopf. Darüber will ich nicht nachdenken. So viel ist klar – es wird nicht einfach werden. Doch ich liebe Nick und er mich, zusammen werden wir das schaffen.

Zaghaft klopfe ich an die Tür meines Bruders und warte auf seine Erlaubnis, die Tür zu öffnen. Ein deutlich genervtes „JA" kommt mir zu Ohren und ich öffne, die Tür einen Spalt breit. Ich spähe hinein und bekomme einen seltenen Anblick zu Gesicht. Marlon sitzt an seinem Schreibtisch, an seinem Laptop und macht .. Hausaufgaben?

Es muss ein Geheimnis bleibenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt