34. Kapitel

266 28 74
                                    

„Ach Scheiße", jammert Thea neben mir, während sie vergeblich in ihrer Tasche ihre Sachen für den Deutschunterricht sucht. „Ich finde mein Buch einfach nicht", niedergeschlagen lässt sie ihre Tasche neben sich fallen und seufzt laut auf. Erst hat Thea ihren Kaffee zuhause vergessen, dann ist auch noch der Kaffeeautomat in der Cafeteria kaputt und nun fehlt auch noch ihr „Faust" Buch. Und das ausgerechnet heute, an dem Tag, an dem wir es letztlich besprechen wollen, bevor wir die Klausur darüber schreiben. Heute ist nicht ihr Tag.

„Herr Engel?", ruft sie durch den Klassensaal, der sich immer mehr füllt, da es vor gut einer Minute zum Unterricht gegongt hat.

Nick sieht von seinen Unterlagen zu ihr auf. „Ja, Thea?"

„Ich habe mein Buch vergessen, haben sie zufällig noch eine Ausgabe, die sie mir für heute leihen können?", bittet sie ihn und setzt eines ihrer liebsten Lächeln auf.

„Tut mir leid, ich habe leider kein Exemplar mehr. Mein eigenes habe nicht dabei", antwortet er ihr Schulterzuckend und widmet sich wieder seinen Notizen und wartet darauf, dass alle Stühle besetzt sind.

„Ach Mist", schnauft sie und wendet sich an mich. „Toni, ich weiß, du magst es nicht, wenn wir zusammen in ein Buch schauen, aber kannst du für heute vielleicht eine Ausnahme machen?" mit klimpernden Wimpern sieht sie zu mir rüber.

Hilfesuchend blicke ich auf meinen Platz vor mir. Mein Buch ist noch in meiner Tasche, die ich in den Händen halte, ich sehe es ganz genau. Ich kann mein Buch nicht mit ihr teilen. Denn das Exemplar in meiner Tasche ist Nicks und sein Name steht darin.

„Ähm nein..ich habe meins auch Zuhause vergessen", lüge ich und lasse meine Tasche mit einem lauten „plums" auf den Boden fallen. Alle Augenpaare sind auch uns gerichtet, ganz besonders dessen Augenpaar, das hinter dem Pult ruhen und uns unauffällig beobachtet.

Das mein Bruder das zwischen uns herausgefunden hat, ist nun schon zwei Wochen her und es tut gut, ihn nicht mehr anlügen zu müssen. Immerhin eine Person weniger. Unser Verhältnis ist noch nicht wieder wie zuvor, aber immerhin fahren wir morgens wieder zusammen in die Schule und unterhalten uns. Das war bis vor kurzen noch das reinste Wunschdenken. Er findet das mit Nick und mir nicht „gut", aber er akzeptiert es und das aller wichtigste, er hat mir versprochen es unseren Eltern um keines Willen zu erzählen.

Skeptisch und mit hochgezogener Augenbraue sieht mich Thea schief von der Seite aus an.

„Brauchst du vielleicht eine Brille? Ich habe das Buch doch von hier aus schon gesehen", deutet sie auf das Buch in meiner Tasche, die sich durch den Fall auf den Boden weiter geöffnet hat und das gesuchte Buch uns entgegen ragt. Verdammt. Ohne auf meine Erlaubnis zu warten, greift sie einfach in meine Tasche und nimmt es heraus und hält es vor mein Gesicht. Durch das Cover hindurch sehe ich die Buchstaben „Nick Engel" stehen und bete dafür, dass Thea nicht die erste Seite aufschlägt, sondern einfach auf eine beliebige Seite irgendwo in der Mitte.

„Das habe ich wohl übersehen", lächle ich sie gekünstelt an und warte Atmen anhaltend darauf, dass sie das Buch zwischen uns aufschlägt. Als ob sie meine Gedanken lesen könnte, schlägt sie das Buch auf, an der Stelle, an der sich ein kleiner Zettel befindet, für die Stelle, die wir heute intensiver bearbeiten werden. Und ich lasse die angehaltene Luft heraus.

Viel von dem heutigen Unterricht bekomme ich nicht mit, denn meine ganze Aufmerksamkeit liegen auf Thea und ihren verdammten Fingern, die immer und immer wieder durch das Buch blättern. Ich kann die Anspannung durch meinen ganzen Körper zucken spüren und immer wenn Thea unachtsam über das Cover blättert, will ich aufspringen und ihr das Buch aus den Händen reißen. Zu meinem Glück ist es nicht dazu gekommen und mein unachtsames Verhalten während des Unterrichts kann ich schon heute Abend wieder aufholen. Wenn schon nicht das Einsehen der Klausuren und das Vorarbeiten des Materials, bin ich der Meinung sollte es zumindest einen Vorteil haben seinen ganz privaten Nachhilfelehrer zu haben. Nicht das ich überhaupt einen Nachhilfelehrer für die Schule nötig habe.

Es muss ein Geheimnis bleibenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt