11. Kapitel

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Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich gerade wirklich in meinen Händen die Nummer von Herr Engel halte oder vielmehr von Nick.

Handgeschrieben steht auf dem kleinen Zettel, den ich von Herr Engel bekommen habe steht lediglich sein Vorname und seine Nummer drauf. Nicht mehr und nicht weniger.

Ungläubig gehe ich Ziffer für Ziffer durch, bis ich sie mir im Geiste aufsagen kann.

Sollte ich die Nummer von meinem Lehrer, die er ausschließlich mir zur Verfügung stellt wirklich in mein Handy einspeichern? Habe ich denn vor sie zu nutzen? Darf ich das denn überhaupt? Welcher Lehrer bietet denn seiner Schüler für private Zwecke seine private Handynummer an?

Das Gedankenkurassel in meinem Kopf ist voll im Gange und dreht sich so schnell um Herr Engel, dass ich mein anderes Drama, das sich mein Leben nennt, völlig außer acht lasse. Zum ersten Mal in dieser Woche.

Ich weiß, dass ich es nicht tun sollte, doch kann nicht anders und starre immer wieder zwischen der Nummer von Herr Engel und meinem Handy auf dem ich die Wahlfläche geöffnet habe hin und her. Es bringt mich schier um den Verstand. Ich möchte so gerne die Nummer eintippen, doch genauso sehr weiß ich, dass ich damit eine unsichtbare Grenze überschreite, wenn ich es wirklich wagen sollte eines Tages auf den grünen Hörer zu drücken und ihn anrufe. Das geht ganz klar über das typische Schüler-Lehrer-Verhältnis hinaus. Zwar haben wir uns schon mehrmals im Privaten gesehen, einmal als er uns vor ein paar Wochen nach Hause gefahren hat, doch das war einfach nur eine nette Gefälligkeit. Er hätte es sicher nicht zugelassen, dass seine betrunkenen Schülerinnen mit Öffentlichen Verkehrsmittel zurückfahren und dann noch beim Bouldern. Doch dabei sind wir nie alleine. Marlon und noch ein Freund von ihm sind dabei, beziehungsweise wir gehen ja nicht zusammen dort hin, sehen uns nur flüchtig dort.

Dennoch ist ihm aufgefallen, dass ich diesen Mittwoch nicht da war.

Doch, ist es meine Aufgabe, darauf zu achten, dass diese Grenze nicht überschritten wird oder doch seine? Immerhin ist er der „Erwachsene" von uns, doch ich wurde von meinen Eltern dazu erzogen vernünftig zu handeln.

Mit der Situation überfordert lasse ich mich rückwärts auf mein Bett fallen und schnappe mir ein Kissen, das ich umklammere um mir so selbst Halt zu geben. Noch bis heute Morgen, war meine größte Sorge, dass mich mein Freund betrogen hat und nun ein Kind erwartet und somit unsere gesamte Zukunft zerstört hat und jetzt, jetzt habe ich mir die Nummer von meinem Lehrer eingeprägt, die er mir mit den Worten „Sie können mich jederzeit erreichen" übergeben hat. Das darf doch alles nicht wahr sein.

Ich ziehe mir das Kissen über mein Gesicht um hinein zu schreien.

                              ♥

Absolut Spitzenklasse, dass ist genau das, was ich dieses Wochenende ganz und gar nicht gebrauchen kann. Aus Marlons „Ich lade nur ein paar Freunde ein", wird ein „ich lade alle ein die ich kenne." Unser gesamtes Haus ist voll von Leuten aus seinem und meinem Jahrgang. Das Marlon heute eine „Party" bei uns zuhause feiert, hat sich wohl herumgesprochen wie ein Lauffeuer. In unserem Wohnzimmer steht eine riesige Musikanlage, die ich zuvor noch nicht gesehen habe, das Sofa ist an die Wand gerückt um eine Tanzfläche zu schaffen. Die Musikanlage mit samt dem Verstärker lässt unser ganzes Haus vibrieren, sodass es für mich nicht möglich ist, mich in meinem Zimmer zu verkriechen.

Ich könnte ihn umbringen.

Mein eigentlicher Plan für den heutigen Abend war es, dass ich es mir mit meinem Laptop und Nervennahrung auf meinem Bett gemütliche mache und einen Liebesfilm nach dem anderen zu schauen. Aber jetzt besteht mein Freitagabend darin sicher zu stellen, dass Marlons „paar" Freunde unser Haus nicht auseinander nehmen oder draußen im Garten im Whirlpool ertrinken.

Es muss ein Geheimnis bleibenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt