23. Kapitel

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Es ist schon viertel vor 7 und endlich schlage ich das letzte Buch zu und bin fertig mit den Hausaufgaben von Frau Glanz. Ich räume alles zusammen auf den Haufen neben meinem Laptop, zu den restlichen Schulunterlagen. Mein Plan war es eigentlich schon längst auf dem Weg zu Nick zu sein, doch Frau Glanz hat heute, am ersten Tag nach den Ferien mal wieder eine Glanzleistung vollbracht und uns so viele Hausaufgaben aufgegeben, dass ich nicht früher damit fertig geworden bin. Wären sie für nächste Woche gewesen, würde ich nichts sagen, aber sie sind für morgen. Für MORGEN! Ich schüttele den Kopf, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, bin ich eine der einzigen, die die Hausaufgaben überhaupt gemacht hat. Aber Frau Glanz kann mich so schon nicht leiden, ich sollte ihr nicht noch mehr Futter liefern, mich noch mehr zu hassen.

Ich springe noch einmal schnell ins Bad, mache mich ein wenig frisch, pudere mein Gesicht ab und trage meinen liebsten Lippenstift auf. Er hat einen hauch von rosa und verhindert so, dass ich durch die Blässe die der Herbst mit sich trägt, aussehe wie eine Leiche. Zurück in meinem Zimmer schnappe ich mir meine Tasche und meine Handy. Bevor ich mein Zimmer auch schon wieder verlasse, schreibe ich Nick noch eine Nachricht, dass ich ein paar Minuten später komme, damit er sich keine Sorgen macht und schließe hinter mir die Tür und laufe geschwind die Treppenstufen nach unten.

Bevor ich noch mehr Zeit verliere schlüpfe ich eilig in meinen Mantel und in meine Stiefelletten. Beim Anziehen verliere ich beinah die Balance und kann mich gerade noch an der Kommode neben der Tür festhalten. Ich werfe einen prüfenden Blick in den großen Spiegel im Flur und greife noch nach einem meiner dicken, flauschigen Schals, den ich mir um den Hals werfe. Es ist bereits November und schon so verdammt kalt draußen. Zufrieden mit mir, schaue ich durch den Bogen ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa sitzt bloß mein Vater, der vertieft in den Fernseher schaut und wie zu gerne irgendeine Quizsendung schaut und bei jeder Frage mit rätselt. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und stelle fest, dass meine Mutter noch nicht von der Arbeit zurück ist, sicher hat sie wieder einen späten Termin.

Immer noch in den Türbogen gelehnt, rufe ich meinem Vater „Ich bin dann mal weg" zu und warte darauf, dass er reagiert. Er streckt eine Hand in die Höhe, um mir ein Zeichen zu geben, dass ich noch kurz warten soll. Ich trommle nervös auf dem Holz und schaue auf mein Handy. Es ist schon nach 19 Uhr.

Endlich verbreitet der Mann im Fernsehen das Ergebnis und mein Vater gibt einen freudigen Schrei von sich, ehe er sich mir zuwendet. Anscheinend war seine Antwort die richtige.

„Kommst du heute wieder nach Hause?", fragt mein Vater und sieht mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Nur zu gerne, würde ich nein sagen, aber da ich in den Ferien öfter bei Nick geschlafen habe, als Zuhause und das wohl auch meinem Vater aufgefallen ist verneine ich. „Nein, ich komme später wieder. Ich treffe mich bloß mit einer Freundin."

„Mit einer Freundin?", bohrt mein Vater nach.

„Ja, mit einer Freundin", versichere ich ihm und setze ein Lächeln auf.

„Na schön, dann mal viel Spaß!", wünscht er mir und noch ehe ich etwas erwidern kann, liegt seine Aufmerksamkeit wieder auf der Quizsendung.

Schnell greife ich nach meinem Schlüssel, der auf der Kommode ruht, die mich eben vor einem Sturz gerettet hat, greife nach meinem Handy, um meine Nachrichten zu checken. Nick hat bloß eine Nachricht mit „Fahr vorsichtig" geschrieben und ich öffne die Tür.

„Toni", erklingt vor mir eine mir nur allzu vertraute Stimme. „Ich wollte gerade klingeln."

Mein Blick, der immer noch nach unten auf mein Handy gerichtet ist, gleitet nun zu der Person vor mir. Über ihre schwarzen Boots, ihre dunkelblaue Jeans, bis hoch zu ihrem sich mir entgegen wölbenden Bauch. Mein Blick ruht keine zehn Sekunden auf ihrem Bauch, doch lang genug, dass sich mein Gegenüber vor mir beobachtet fühlt und ihre Jacke, vor ihren Bauch zieht. Ich rufe mir in Erinnerung, wer hier gerade vor mir steht und mir den Weg versperrt und schaffe es, meine Augen zu lösen und hoch in ihr Gesicht zu schauen.

Es muss ein Geheimnis bleibenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt