Eins

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Wieder einmal war es die lange, sichelförmige Narbe unter ihrem eisblauen Auge, welche die junge Adlige verunsicherte. Sie sah sich ausgiebig im Spiegel an, das tat sie immer, wenn Besuch kam. Ihr bodenlanges, blaues Kleid schmiegte sich an ihre schmale Taille und hob ihre Brust hervor, was die freien Schultern nur noch unterstrichen. Die silberne Spitze erstreckte sich rankenartig über ihr Kleid, umrundete sie einmal und verlief sich dann im weiten Saum des Rockteils. Wieder einmal hatte sie sich das schneeweiße Haar mit unzähligen kleinen Nadeln fein säuberlich hochgesteckt. Sie sah wunderschön aus, doch Katharina selbst fand immer etwas, mit dem sie nicht zufrieden war. Meist fand sie, die Narbe unter ihrem linken Auge würde sie entstellen, doch jetzt war keine Zeit für Nörgeleien.

"Katharina?" erklang die hohe Stimme ihres jüngeren Bruders durch die Tür. Langsam trat Vincent herein und steckte unsicher den Kopf in das Gemach seiner Schwester. Er trug das silberblaue Gewand seines älteren Bruders Kaden, doch ihm schmeichelten die kleinen Schulterpolster weitaus mehr. Katharina drehte sich um und lächelte den Blondschopf fröhlich an. "Ich komme gleich, geh schon einmal vor!" erklärte sie und richtete ihm noch den Kragen, bevor der Jüngere schon durch die Gänge des großen Schlosses, den Korridor entlang und durch eine kleine Hintertür in die große Halle lief.

Seufzend drehte sich Katharina wieder herum und widmete sich erneut ihrem Spiegelbild. Sie mochte diese Feste nicht, doch heute war ein weitaus bedeutenderer Tag, als all die anderen. Kaden, der dritte Sohn des Königs, würde heute seine Verlobte Serephina zur Frau bekommen. Es waren Gäste von weit entfernten Landen eingeladen, Grafen, Fürsten, ja teils sogar andere Prinzen und Prinzessinnen. Aber ein Gast war dabei, den Katharina bewunderte und doch fürchtete. Kieran, Prinz nein König Kieran!

Kopfschüttelnd bemerkte ihr Vater die Anwesenheit seiner einzigen Tochter. Er hatte ihr nie viel abgewinnen können. Sie war im Gegensatz zu ihren fünf Brüdern kaum von Wert, erst recht nicht als fünftgeborene. Die Königin war bei der sechsten Geburt verschieden, brachte den kleinen Vincent gerade so noch auf die Welt, bevor sie im Kindbett verstarb. Der Kleine Prinz ist seit dem etwas verstoßen, doch Katharina, nur fünf Jahre älter, kümmerte sich immer rührend um ihren kleinen Bruder. Der König hielt nicht viel von Katharina und Vincent, doch er tolerierte sie bisweilen in seinem Schloss.

Die unzähligen Gäste strömten in die große Halle und so standen die fünf Geschwister neben ihrem Vater und begrüßten jeden einzelnen. Alle waren sie schön herausgeputzt, in schönem Silber oder dunklem Blau, die Farben der Flusslande, ihres Königreichs. In gelben Kleidern und Roben erschienen die Geistlichen, welche Kaden schon ins Schwitzen brachten. Er war zwar der dritte Sohn, doch erst der zweite Prinz, der nun vermählt wurde. Ihm schlotterten die Knie, wenn er nur daran dachte. Sein blondes Haar wirkte schon etwas zerzaust und die Farbe war ihm ebenfalls bereits aus dem Gesicht gewichen.

Ein Ritter in stählerner Rüstung mit rotem Umhang stieg die Stufen herauf und beugte das Knie vor dem König. "Sir Allistor!" sprach der König und schon erhob sich der Ritter, sprach ein paar Worte und wandte sich dann der Prinzessin zu. Irritiert trat Katharina ein paar Schritte heraus und so verbeugte er sich. "Möge euch das Glück und die Liebe immer zur Seite stehen!" Seine liebliche Stimme und das strahlende Lächeln war charmant, die rote Rose jedoch etwas zu viel neben dem Handkuss. Errötet bedankte sie sich, bemerkte jedoch den forschen Blick ihres kleinen Bruders. Sie räusperte sich und schon straffte der kleine Prinz die Schultern und versuchte sich erneut zu konzentrieren.

Des Königs verhasste KinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt