Sechs

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Die Kräuter, mit denen Katharina dreimal täglich ihre Wunde behandelte, bewirkten nicht viel, ihre Schmerzen stiegen sogar. Vincent machte sich zunehmend Sorgen, doch Katharina winkte alles ab. Hungrig kamen die beiden endlich in einer kleinen Stadt an. "Ist sie das?" fragte Vincent neugierig und grinste fröhlich, als Katharina nickte. "Und wen treffen wir hier?" hakte er weiter nach. Katharina stieg langsam und vorsichtig von ihrer Stute und führte sie leicht humpelnd zu einem kleinen, gelben Haus. Sie klopfte dreimal an der Tür und lief dann um das Haus herum, wo sie die Pferde im Stall unterbrachten.

Langsam öffnete sich eine Hintertür rund so griff Vincent nach dem starken Arm seiner Schwester. Heraus trat ein strohblonder Mann, breitschultrig und mit einer unverkennbar schiefen Nase. Sofort fiel sein Blick auf den kleinen Prinzen, dessen Augen auch sogleich aufblitzten. „Geh schon!" meine Katharina und gab ihrem kleinen Bruder einen Schubs. Der zweitgeborene der sechs Geschwister war Michael, der zweieiige Zwilling von Maximilian. Mit sechzehn war er von seiner Heimat entflohen und hatte sich in einem kleinen Dorf niedergelassen. Jahre später traf er zufällig auf Katharina, die ihn natürlich sofort erkannt hatte. Dreimal im Jahr kam sie ihn besuchen, doch nun würde sie wohl etwas länger bleiben.

„Kommt rein, bevor euch jemand sieht!" sprach Michael und ließ seine Geschwister herein. In der Küche wartete bereits eine junge Frau, vor ihr ein kleines Mädchen mit feuerrotem Haar. „Katharina! Was ist denn mit dir passiert?" fragte Malotie gleich und sah sich den provisorischen Verband an, doch Katharina gab sogleich ein ächzendes Zischen von sich und hielt sich bei Michael fest. „Wir sind durch einen Fluss und Katharina hat etwas gestriffen, wahrscheinlich alte Waffen noch vom Krieg!" erklärte Vincent und lief sogleich rot an. „Setz dich, ich hole eine Salbe und etwas Wasser!" sprach Malotie und begrüßte noch schnell Vincent, der nur verlegen die Arme um ihren weiblichen Körper legte. „Ist euch jemand gefolgt?" fragte Michael und sah kurz aus dem Fenster, doch die beiden verneinten. Ihre Verfolger hatten sie schon am Morgen nach der Apfelplantage verloren gehabt.

„Micha, habt ihr vielleicht eine Kleinigkeit zu Essen?" Er schmunzelte und reichte den beiden je einen großen Laib Brot, was Vincent etwas enttäuscht annahm. „Danke!" sprachen sie wie aus einem Mund und bissen sofort hinein. Katharinas Wunde war erstmal versorgt und beide hatten etwas zu Essen, doch nun mussten sie sich natürlich erklären. Dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Katharina abhaut und zu Michael kam, das wusste er bereits. Seine Blicke sprachen Bände, weshalb Katharina gleich anfing zu berichten. Aufmerksam hörten Malotie und Michael zu, während deren Tochter schon wieder verschwunden war. Vincent erzählte gern, er hatte von dem Streit ja schon von Katharina alles gehört, doch warum sein verschollen geglaubter Bruder Michael auf einmal vor ihm saß und Katharina nach all den Jahren so vertraut zu ihm war, konnte er sich nicht erklären.

„Ich war damals kaum älter, als du jetzt, Vincent!" begann Michael und hielt dabei fest die Hand seiner Frau. "Katharina war damals neun und du erst vier. Der alte König hatte euch beide schon damals verachtet, doch den einen Tag hatte ich mich mit Maximilian gestritten. Er meinte, dass er einmal König werden wird und jetzt endlich lernen musste, wie man regiert. Vater nahm ihn mit auf die Jagd und erklärte ihm Dinge, die ich nie zu hören bekam, doch das brauchte ich auch nicht, ich fand es selbst heraus." Vincent hörte ihm gebannt zu, während Katharina nur seufzend auf den Tisch sah.

"Ich bin den einen Abend mit Kaden hinunter in den Keller, weil wir eine Weile vorher Vater und Maximilian dort gesehen hatten. Wir durften nicht hinunter, doch ich wollte es endlich wissen. Kaden kehrte wieder um, aber ich lief bis ganz nach unten. Es waren Zellen für die Gefangenen, viel habe ich mir damals nicht gedacht, immerhin waren es Verbrecher. Mir fiel jedoch gleich auf, dass die wenigen Gefangenen in den Zellen höllische Schmerzen haben mussten. Als ich den letzten Raum auf der linken Seite betrat, wusste ich, dass ich nicht mehr in diesem Schloss leben konnte." Fragend sah Vincent seinen älteren Bruder an. "Es war eine Folterkammer, Vincent! Und die beiden hatten nicht nur die Schuldigen gefoltert!"

Des Königs verhasste KinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt