Zwei

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Mit der Zeit hatte sich das Fest in den Schlossgarten verlagert und die unzähligen Gäste tummelten sich auf dem grünen Rasen, der schon morgen seinen schönen Glanz verloren haben wird. Seufzend stand Katharina zwischen Kaden und Vincent auf der großen Terrasse des Schlosses und überblickte alles. Eine riesige Hecke rahmte das Schlossgelände ab. Die Tische und Stühle waren mit weißen Laken bespannt und mit verschiedenen Blumen verziert. Alles wirkte wunderschön und schon nahezu perfekt. Im Gegensatz dazu ragten weit in der Ferne die eisigen Berge aus dem Meer aus Nadelbäumen. Es war die Natur, die mit ihrer wunderschönen Unvollkommenheit gegen die gekünstelte von Menschen geschaffene hässliche Perfektheit ankämpfen musste.

"Genieß es doch mal!" sprach Kaden, der von allen jedoch am nervösesten war. "Ich probiere es!" meinte sie und so nickte ihr Bruder und mischte sich unter seine Gäste. „Du probierst es?" hakte Vincent skeptisch nach, doch seine Schwester lachte nur und fuhr ihm durch sein schulterlanges, blondes Haar. „Hast du nichts anderes zu tun, als meine Aussagen infrage zu stellen?" Wie sollte Katharina das Fest genießen, wenn alles gegen ihr Innerstes sprach? Eine arrangierte Ehe, das aufgezwungene Lächeln und Hände schütteln von Menschen, die sich ihrer Abstammung wegen höher stellen und die Angestellten schlechter als ihre Pferde behandelten. Und dann war da noch Kieran. Sie hatte ihn noch nicht gesehen, doch schon jetzt suchte sie einen Platz, an dem sie sich später verstecken könnte.

Nach und nach wurde es zunehmend leiser. Während die Kutsche mit der Braut vor das Schlosstor fuhr und die Fanfaren ertönten, nahm jeder seinen Platz ein und wartete gespannt. Das Getuschel ruhte nicht, jeder stellte Vermutungen über das Brautkleid an, über ihre Frisur, ja sogar über ihre Schuhe, welche man unter dem Kleid wahrscheinlich sowieso nicht erkennen konnte.

Kaden hielt den Atem an, als die riesige Doppeltür aufging, hinter der seine zukünftige Ehefrau stand. Doch nicht nur sein Herz schlug in einem rasanten Tempo, Serephina ging es nicht anders. Behutsam strich ihre Magd noch einmal das weiße Kleid glatt, welches am Dekolleté mit kleinen Edelsteinen begann, ihre Taille sanft umspannte, an ihren Hüften weit herab fiel und schließlich in einer weiten Schleppe endete. Serephina nahm den Arm ihres Bruders an und seufzte einen Augenblick, eigentlich hätte ihr Vater sie führen sollen. Ich Bruder schenkte ihr ein schwaches Lächeln, doch es bestärkte sie. Gemeinsam traten sie hinaus und augenblicklich hielt jeder den Atem an. Sofort trafen sich die Blicke der zukünftigen Eheleute und schon schmunzelten beide. Kaden hatte mit seinen Tränen zu kämpfen, während Serephina ihr langes, weißes Kleid anhob und mit einem strahlendem Lächeln über den weißen, dünnen Teppich lief.

Katharina war von der Schönheit und Eleganz der Braut so eingenommen, dass sie den Brautführer gar nicht beachtete. Serephina schritt anmutig auf Kaden zu, musterte sein dunkelblaues Gewand und schmunzelte mit gläsrigen Augen, als sie seine dicken Freudentränen sah. Es war eine arrangierte Ehe, doch die beiden kannten sich schon vorher und waren glücklich mit dieser Entscheidung. Es kam selten vor, dass arrangierte Ehen so gut verliefen, doch dafür war es nun umso schöner.

Der Priester hielt seine Ansprache und nach einer halben Ewigkeit ließ er eine kleine Pause. Kaden nahm seinen Mantel ab und legte ihn Serephina über die Schultern. Sie verschränkten ihre Hände und schon legte der Priester ihnen das Band über die Hände und Unterarme. Wieder sprach er ein paar Worte und vermählte das junge Paar endgültig. Kaum hatte das letzte Wort seine Lippen verlassen, fielen sich die frisch vermählten Eheleute um den Hals und küssten sich innig. Die komplette Festgemeinschaft klatschte, jubelte ihnen zu und rief ihre Namen, doch das bekamen beide kaum mit, so vertieft waren sie. Katharina schmunzelte, so glücklich hatte sie ihren großen Bruder noch nie gesehen.

Katharina ließ sich auf die Gäste ein und hielt sogar eine Weile mit, doch irgendwann wurde es ihr wieder zu viel. Sie war einfach nicht für solche großen Menschenmengen geschaffen. Langsam schlich sie sich mit ihrem Weinkelch durch die Gäste und lief auf die Terrasse. Von hier aus hatte sie genügend Abstand zur Festgemeinschaft und konnte dennoch alles überblicken. Seufzend schmunzelte sie. Kaden war überglücklich, Serephina schwärmte schon von ihrem kleinen Kind, welches wohl heute Nacht gezeugt werden würde, und Katharina wünschte sich nichts mehr als die pure Freiheit.

Erst nach einer Weile fiel Katharina auf, dass sie ihren Vater nirgends sehen konnte. Suchend ließ sie erneut den Blick wandern, doch er war nicht im Schlossgarten. Er lief im Schloss die Gänge entlang und sprach mit König Kieran. Neugierig lief Katharina hinein und folgte der Stimme ihres Vaters. Als Kieran antwortete, bekam die junge Prinzessin wieder einmal Gänsehaut. Seine raue Stimme hatte schon immer diese Wirkung auf sie gehabt. Ihr Vater bedankte sich und dann kamen auch schon seine Schritte immer Näher. Hilflos lief Katharina ihm entgegen.

"Katharina, du solltest draußen neben deinen Brüdern stehen und dich um die Gäste kümmern!" fuhr der König sie an. "Verzeiht, ich machte mir Sorgen um Euch, Vater!" sprach sie und mied seinen Blick, doch er lief einfach an ihr vorbei. "Geh wieder raus und kümmer dich um die Männer! Deine Hochzeit ist auch schon längst überfällig!" Es waren Worte, die Katharina schockierten. Innerlich hatte sie es lange schon gewusst, doch es nun so kalt zu hören, dass er sie an irgendeinen Mann verkaufen würde, es ging ihr ziemlich nah. Sie sah ihrem Vater hinterher und verfluchte ihn innerlich. "Idiot!" murmelte sie wütend.

Ihr Weg führte sie jedoch nicht wie aufgetragen hinaus in den Garten. Katharina lief in die Bibliothek auf der anderen Seite des Schlosses und verschloss die Tür hinter sich. Ihr fiel augenblicklich eine Last von den Schultern und so lief sie bis in den hintersten Flügel der riesigen Bibliothek. Es war ein kleines, rundes Fenster mit einer schmalen Bank und unzähligen Decken und Kissen davor. Es war der Ort, an dem schon ihre Mutter immer gelesen hatte. Katharina kam oft hierher. Hier fühlte sie sich ihrer Mutter verbunden, hier konnte sie entspannen, hier tauchte sie in die Geschichten ihrer Bücher ab, hier schrieb sie ihre Briefe - hier fühlte sie sich sicher, geborgen und frei. 

Des Königs verhasste KinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt