Kapitel 14

730 44 4
                                    

Luna

Es war schon spät abends, als ich auf der Fensterbank meines Zimmers saß und hinaus auf die von Laternen beleuchtete Straße blickte. Es war Januar und der Winter zeigte noch einmal seine volle Größe. Im Licht der Laternen konnte ich einzelne Schneeflocken erkennen, die langsam zu Boden fielen und sich dort wie eine Decke an die unbefahrene Straße schmiegten.

Mir gingen einfach nicht die Worte von Mrs Pantecross aus dem Kopf. Sie verfolgten mich und drängten mich förmlich dazu, darüber nachzudenken. Ich war über ihre Worte sehr überrascht, zumindest als ich bemerkte, dass sie vermutlich recht hatte. 

Du hast dich aus dieser Erfahrung heraus gegen deine zweite Gestalt entschieden. Und das ist auch okay. Nur dein Innerstes scheint das nicht zu begreifen, scheint nur zu denken, du hättest dir damit selbst eine Bürde auferlegt, für die dein Bruder dich hassen könnte.

Immer und immer wieder gingen mir genau diese Worte durch den Kopf. Auch wenn mein Verstand sich anfangs dagegen wehren wollte, musste ich mir irgendwann eingestehen, dass sie nicht nur 'vermutlich' recht hatte, sondern dass sie 'vollkommen' recht hatte.
Zumindest, wenn ich an diesen einen Traum in der Bibliothek zurückdachte. An Darran der in der Dunkelheit des Waldes nur einige Schritte von mir entfernt stand und mir zusah, wie sich mein Körper vor Schmerzen verkrampfte. Und ich konnte mich an den Moment erinnern, als er mich ansah und sagte. "Tja Luna, diese Schmerzen hast du dir selbst zuzuschreiben." und er sich umdrehte und von der Dunkelheit verschluckt wurde. Und mich alleine ließ.

Ich wollte nicht noch einmal daran zurückdenken, aber es war ein Traum, den ich vermutlich so schnell nicht wieder vergessen würde. Wie von selbst fuhr meine Hand in meine Hosentasche und holte mein Portemonnaie heraus, in dem ich das Familienfoto von mir, Darran, Mom, Sheldon und Dad gelegt hatte. Ich betrachtete unsere glückliche Familie in dem schummrig, gelben Licht, dass durch die Straßenlaternen zu mir hereinschien.
Wir, nein auch Darran, waren glücklich, bevor er starb. Das war doch alles was zählte, oder nicht? Ich faltete das Bild wieder zusammen und steckte es zurück an seinen Platz.

Ich hatte mit Mom und auch mit Sheldon über die Nacht vor 2 Wochen geredet, als ich auf dem Dachboden war. Aber ich hatte sie nie auf das Bild angesprochen, dass nun in meinem Portemonnaie lag und schon etwas runzelig wirkte, weil ich es schon so oft in der Hand hatte.
Ebenso wenig wie über die zerbrochene Vase, die immer noch dort oben lag und die meine Mom nie weggeschmissen hatte, obwohl sie keinen einzigen Nutzen mehr hatte.
Vielleicht würde ich sie auch nie darauf ansprechen.

---

Am nächsten Morgen hatte ich erneut Training mit Jason, wie immer erst am späten Nachmittag. Es war der letzte Tag der Ferien, und danach würde wieder die Schule anfangen. Höchst wahrscheinlich noch stressiger als vor den Ferien. Ich schrieb schon einige Klausuren für mein High School Diploma nächstes Jahr, ebenso wie Arya. Jason und Arron dagegen würden in den nächsten Monaten ihre Prüfungen schreiben und die Kingscroft High verlassen. Darüber hatte ich bisher nie nachgedacht, ich hatte ja nicht Mal eine Ahnung, wie es für sie nach der Schule weitergehen würde. 

Ich zum Beispiel würde höchstwahrscheinlich dieses Kaff wieder verlassen. Nein, ein Kaff war unsere Stadt nicht, korrigierte ich mich selbst. Diese Stadt war wundervoll, hatte ihren eigenen Charme und es lebten unglaublich nette Menschen hier. Es war eher seine Geschichte, die mich hier wegtrieb. Aus irgendeinem Grund konnte Kingscroft nicht die Vergangenheit loslassen. Selbst jetzt, so viele Jahre später, wiederholen sich Dinge von früher. Asareth zum Beispiel.

Darüber konnte ich lediglich mit dem Kopf schütteln, als ich an diesem Tag gegen fünf Uhr abends auf dem Sportplatz unserer Schule ankam. Diesmal war es Jason, der bereits dort war und konzentriert auf die Laufbahnen des Platzes schaute.
"Wow, heute Mal pünktlich. Scheint ja so, als machst du Fortschritte." begrüßte ich ihn. Jason bedeutete mir mit einer Hand, ruhig zu sein, als er mit einer Stoppuhr, die ich natürlich nicht vergessen hatte, die Bahn abscannte und die andere Hand zum Zählen nutzte. 

Wolfsblut - Der Beginn einer neuen ÄraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt