Kapitel 31

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Langsam drehte ich komplett durch. Konnte Jason nicht einmal Klartext sprechen? Nein, natürlich nicht! Das war ja auch zu viel verlangt. Stattdessen verwirrte er mich lieber, indem er mir nur einzelne Informationsbrocken vor die Füße wirft und dann hofft, dass ich sein Verhalten verstehe.
Das tat ich aber nicht.

"Vielen Dank für diese konkrete Auskunft! Geht das auch noch etwas genauer?" meinte ich genervt. Zum Glück war die Toilette gerade leer. Die in der dritten Etage wurde zum Glück am seltensten benutzt, da die meisten Klassenräume auf Etage eins und zwei verteilt waren. 
Ich entriss Jason meinen Arm, den er immer noch festgehalten hatte. Das war ihm selbst scheinbar gar nicht mehr bewusst gewesen, seinem Ausdruck deutend.

"Luna, bitte. Halte dich einfach von dem Kerl fern und mach es nicht schlimmer, als es eh schon ist." Er warf einen Blick in Richtung Tür. 
"Gern, dann lass es mich aber wenigstens verstehen." Ich blieb hartnäckig und sah ihn bittend an. "Denkst du nicht, dass es langsam Zeit ist, mir die Sache zwischen Vincent, den anderen und dir zu erzählen?" Meine Wut verrauchte ein wenig, sodass meine Stimme einen sanfteren Klang annahm. "Ich bin schon lange kein 'niemand' mehr und ich möchte dich verstehen."

Jason schloss kurz die Augen, umso intensiver blickte er mich an, als er sie wieder öffnete. "Okay. Aber nicht hier." Er schien erneut mit sich zu ringen. "Sie ist unschön, aber dann versprich mir, dass du so gut es geht Abstand von Vincent hältst." Er sah mich fest an und ich nickte sofort. "Selbstverständlich." 
Jasons Schultern entspannten sich wieder. "Gut."
"Morgen, bei mir." schlug ich vor. 
Nach kurzem Zögern antwortete er mir. "Ich werde da sein." Mein Blick fiel auf seine Lippen, als ich Jasons immer noch besorgten Gesichtsausdruck musterte.

Plötzlich schossen wieder einige Bilder durch meinen Kopf. Jason im Bad der Umkleide oberkörperfrei. Jasons fordernde Lippen in der Bibliothek, die sich so perfekt auf meine gelegt hatten. Eine Hitzewelle schoss durch meinen Körper, sodass ich meine Aufmerksamkeit auf das Waschbecken richtete.

Jason ließ mir die Zeit, während ich mir mit kaltem Wasser so gut es ging das Gesicht anfeuchtete. 
"Der Unterricht beginnt gleich wieder." hörte ich seine Stimme hinter mir. Ich nickte bloß, was er durch den Spiegel zur Kenntnis nahm. Er wirkte ebenso unentschlossen, wie ich mich fühlte. 
"Geh schon Mal, ich bin auch gleich fertig", erwiderte ich über den Spiegel hinweg. Er sah mich noch einen Augenblick lang an, bevor er sich in Bewegung setzte. Seine Finger strichen für einen Moment über meine rechte Hand, was mir eine Gänsehaut bescherte, und er öffnete die Tür Richtung Flur. 
"Es tut mir leid." hörte ich ihn mit gedämpfter Stimme sagen, bevor sich die Tür wieder schloss und ich mir nicht Mal sicher war, ob ich mir diese Worte nicht nur eingebildet hatte. Aber nein, das hatte ich bestimmt nicht. Nur wusste ich nicht, worauf sich Jasons Entschuldigung bezog.

Letztendlich hörte ich jedoch auf, darüber oder über alles andere nachzugrübeln und ließ es einfach sein. Ich begab mich wieder zurück in den schon fast leeren Flur. Ich warf einen prüfenden Blick nach links und rechts, aber Vincent hatte vorhin scheinbar die Lust daran verloren, uns zu folgen. Zumindest war er nirgends mehr zu sehen. Ob mich das nun beruhigen sollte oder nicht, wusste ich noch nicht ganz, aber das war im Moment sowieso unwichtig. Ich musste in den Unterricht.

Arya, die scheinbar gerne in ihren Block kritzelte und nur die Hälfte von dem wahrnahm, was uns vorne in Mathe erklärt wurde, wusste immer noch nichts von dem zwischen mir und Jason. Oder eben dem, was wir beide nicht waren. Ich warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. Sie sah von ihren Kritzeleien auf und hob fragend eine Augenbraue. Doch ich schüttelte nur meinen Kopf und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen nach ganz vorne.  Ich würde es ihr erzählen, nur nicht heute. Ebenso meiner Mom und Sheldon. Das morgen das Wochenende anfing, war für mich eine super Gelegenheit, über das nachzudenken, was Tyson gemeint hatte. Und dem was Jason und ich tun sollten. Oder eben nicht tun sollten. Oder warum so gut wie alles so kompliziert sein musste.

Wolfsblut - Der Beginn einer neuen ÄraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt