Routine

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Alec stand am Dienstagmorgen in seinem Motelzimmer vor dem Spiegel. Er hatte sich an seinem ersten Arbeitstag für ein weiß-blau geblümtes Hemd und eine dunkelblaue Weste und Fliege entschieden. Alec sah auf die Uhr, er musste los. Während der Fahrt nahm er sich vor, noch heute nach einer Wohnung zu suchen. Als er auf dem Parkplatz der FBI-Außenstelle ankam, stellte er fest, dass er zu früh dran war. Er stellte auch fest, dass er nervös war. Alec wusste, was seine Nerven beruhigen würde. Er seufzte und griff zum Handschuhfach, wo er ein Feuerzeug und Zigaretten fand. „Scheiß drauf."

Alec stieg aus und ging zum Eingang. Es regnete. Ohne zu zögern zündete er sich eine Zigarette an und schloss die Augen. Er spürte fast augenblicklich, wie seine Nervosität verschwand und sein Schlechtes Gewissen kam. Alec rauchte zu Ende und verdrängte die Gedanken an Jasper, während er in den Aufzug stieg.

„Alle mal kurz herkommen!", Hotch rief sein Team in den Besprechungsraum. „Wie ihr sicherlich schon geahnt habt, begrüßen wir heute ein neues Mitglied in unserem Team. Ich erwarte von jedem hier vollständige Kooperation." Hotch blickte ins Großraumbüro und sah Alec. „Bin gleich wieder da, dann können sich alle kurz vorstellen." Hotch begrüßte Alec und führte ihn zum Besprechungsraum. Nacheinander stellten sich alle vor. Reid verzichtete wie üblich auf den Handschlag, doch Alec hatte es bei ihm gar nicht erst versucht. Reid runzelte die Stirn, hatte sich aber sofort wieder im Griff. Alec schien eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe zu haben, so waren sie sich doch erst vor fünf Minuten das erste Mal richtig begegnet. Die hatte Reid jedoch auch, sonst wäre ihm sicherlich nicht aufgefallen, dass Alecs Blick länger auf JJ geruht hatte als nötig gewesen wäre. Tja, da kam er zu spät, der Zug war abgefahren. Und zwar mit Will als Lokführer. Den Zahn würde er Alec wohl noch ziehen müssen. Stirnrunzelnd fiel ihm noch etwas auf, doch Hotch ergriff das Wort.

„Garcia, würdest du bitte?" Hotch und die anderen Teammitglieder nahmen am langen Tisch Platz. Alec sicherte sich den letzten freien Stuhl. „In Shepherdsville, Kentucky wurden in den letzten Wochen fünf Kinder im Alter zwischen zehn und elf Jahren als vermisst gemeldet. Zwei Jungen, drei Mädchen. Keine direkte Verbindung. Die Kinder besuchen unterschiedliche Schulen und kommen aus unterschiedlichen Schichten. Gestern fand man die Leiche des ersten verschwundenen Kindes, Masha Stevens." Garcia blendete ein Bild des Opfers ein und hielt kurz inne, bevor sie die Fotos der Leiche einblendete. „Ich weiß, wir haben schon einiges gesehen, aber seid lieber gefasst". Die Leiche des Mädchens war zu Teilen verstümmelt. „Der Täter hat beide Augen und alle Fingernägel entfernt, außerdem wurden dem Opfer schwere Brand- und Fleischwunden hinzugefügt. Ein sexuelles Motiv konnte noch nicht ausgeschlossen werden, die Leiche wird gerade untersucht. Todesursache ist noch unbekannt.", Garcia fasste die Fakten so kurz wie möglich zusammen. Ihr war schlecht. Sie wollte es hinter sich bringen. Es gab viele schreckliche Fälle, doch sobald es um Kinder ging, wurden sie noch schrecklicher.

„Danke Garcia, irgendwelche Anmerkungen?", Hotch blickte fragend in die Runde. „Wo wurde sie gefunden?", meldete sich Alec zu Wort. Ihm wirrten schon duzende Theorien im Kopf herum. „In einem Waldstück, nicht unweit der Stadt. Wanderer haben sie gefunden. Ist eine beliebte Route." Garcia blickte in die Runde. „Also wollte er, dass sie gefunden wird", sagte Reid zustimmend in Alecs Richtung. „Alles Weitere im Flugzeug, wir sind spät dran. Die Zeit spielt in diesem Fall eine wichtige Rolle, wir wollen nicht noch eine Leiche finden. Wir starten in einer Stunde.", sagte Hotch bestimmend.

Alec war beeindruckt. Dem Team stand ein eigener Jet zur Verfügung. Er stieß einen kurzen Pfiff aus, als er das Flugzeug betrat. Emily und JJ lachten. „Bist du solchen Luxus etwa nicht gewohnt?", fragte Emily ironisch. Alec musste lachen. Er hatte sein neues Team zwar erst vor etwa einer Stunde kennengelernt, doch er fühlte sich jetzt schon wohl. Sein Blick blieb schon wieder auf der lachenden JJ hängen. Sie hatte ihn umgehauen. Sie kennengelernt zu haben, freute ihn am meisten. Doch war ihm der Ehering an ihrem Finger nicht entgangen. „Gibts hier zugeteilte Sitzplätze?", fragte Alec in die Runde. „Setz' dich hin, wo du willst. Solange du nicht auf meinem Platz sitzt.", erwiderte Reid mit einem frechen Lächeln. Also setzte sich Alec gegenüber von JJ und Reid.

Nachdem sie gestartet waren, studierten alle die Fallakte auf ihren Tablets. Alec war schon bei der Besprechung aufgefallen, dass die Haare des Opfers eigenartig aussahen. Das hätte auch auf die Witterung und damit auf den Schmutz zurückzuführen sein können, doch erschienen Alec die Haare des Opfers irgendwie unnatürlich in der Farbe. „Für mich sieht es so aus, als ob der Täter ihr die Haare gefärbt hat.", warf Alec die Runde. „Jetzt, wo du es sagst, erscheinen sie mir etwas orange?", sagte Dave. Emily nickte zustimmend. „So was schon mal gehabt?", fragte Hotch an Alec gewandt. „Das kommt öfter vor, als man denkt. In unseren Fällen war das aber immer auf ein sexuelles Motiv zurückzuführen. Ein Beispiel: Ein Täter hatte es bei der Misshandlung seiner vierzehnjährigen Tochter übertrieben und hatte sie umgebracht. Vor lauter Sehnsucht entführte er innerhalb eines halben Jahres drei Mädchen. Er färbte ihnen unter anderem die Haare. Solche Verhaltensmuster lassen meist darauf schließen, dass der Täter in den Opfern ihm bekannte Menschen oder sogar sich selbst sehen will."

„Was ist aus den Mädchen geworden?", fragte JJ. Alec sah ihr direkt in die Augen: „Das Mädchen, das er zuletzt entführt hatte, konnten wir retten. Die anderen zwei hatte der Täter ebenfalls getötet, eine von ihnen war schwanger." „Du sagest, dass der Täter womöglich sich selbst in den Opfern sehen will? Kannst das näher erläutern?", Hotch schien ehrlich an seiner Theorie interessiert zu sein. „Ihr gebt mir bestimmt recht, wenn ich sage, dass das Entfernen der Augen bedeuten kann, dass der Täter nicht möchte, dass sein Opfer zusehen muss oder kann. In seiner kranken Welt würde dies bedeuteten, dass er denkt, er tue seinem Opfer damit einen gefallen. Ich warte aber lieber den Autopsiebericht ab. Der könnte meine Theorie völlig zerpflücken.", Alec spürte, dass es ihm guttat wieder zu arbeiten.

Er blickte in die Gesichter der anderen. Sie schienen über seine Theorie nachzudenken. Hotch ergriff das Wort: „Wir landen in zehn Minuten. JJ und Dave, ihr fahrt bitte zu Mashas Familie. Derek und Emily, ihr nehmt euch die Eltern der anderen vermissten Kinder vor. Reid und Alec, ihr stattet der Gerichtsmedizin einen Besuch ab, ich werde mich mit dem leitenden Detektive in Verbindung setzen."

Criminal Minds: Heavy HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt