Die Beerdigung war genauso verlaufen, wie Alec es erwartet hatte. Der ruhige Friedhof am Stadtrand war an diesem Tag gut besucht gewesen. Auch wenn unter den Trauernden nur wenige waren, die Jasper wirklich gekannt hatten. Weder Jasper noch Alec hatten Familie. Jaspers Eltern starben, als er zehn Jahre alt war. Seine Großmutter folgte ihnen dann vor einigen Jahren. Alecs einziger lebender Verwandter war sein Vater, mit dem er seit einer halben Ewigkeit zerstritten war.
Die meisten Trauergäste waren aus Anstand erschienen. Jasper war für viele ein Kollege, kein Freund. Selbst der Leiter der FBI-Außenstelle Sun Diego war erschienen. Allen Besuchern war der Schrecken aufs Gesicht geschrieben. Jasper war ein bekannter Agent gewesen, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Erfolge und Belobigungen, die er und Alec in den letzten Jahren eingefahren hatten. Der Schock saß tief.
Alec erinnerte sich an die Floskeln, die nach einem solchen Ereignis immer ausgetauscht wurden: „Man hat ihm gar nichts angemerkt", „Er war immer so gut gelaunt und war immer freundlich", „Von ihm hätte ich das nicht erwartet". Ja, auch Alec hätte sich selbst im Traum nicht vorstellen können, dass sich sein bester Freund das Leben nehmen würde. Sie hatten täglich über diesen ganzen Horror ihres Jobs gesprochen, hatten sich ausgetauscht und sich getröstet, wenn es ihnen zu viel wurde.
Alec seufzte und startete den Motor. Die Beerdigung war seit Stunden vorbei, doch saß er noch immer in seinem Auto und versuchte all das zu verarbeiten. Allein der Gedanke an Jasper schnürte ihm die Kehle zu. Alec war wütend. War wütend auf sich, wütend auf Jasper, wütend auf das FBI, wütend auf die ganze beschissene Welt. Doch er verstand es. Verstand, was Jasper in den Selbstmord getrieben hatte. Doch Alec hatte es nicht kommen sehen. Ansonsten hätte er Jasper überredet, alles hinzuschmeißen und einmal in seinem Leben nur an sich zu denken. Vielleicht hätte ihn das gerettet. Doch Alec hatte nichts geahnt.
Er wischte sich eine Träne von der Wange und fuhr los. Sein Chef, Adian Bishop, hatte ihn, mit Absprache der psychologischen Betreuerin, eine Woche in den Zwangsurlaub versetzt. Morgen würde er sich mit Adian zusammensetzen, um zu klären, was nun aus ihrer Einheit werde würde. Wenn es nach Alec ginge, würde er genauso weitermachen. Sein Herz wurde schwer, als ihm bewusst wurde, dass „genauso" weitermachen keine Option war. Es würde nie wieder so werden wie früher, nicht ohne Jasper. Sofort traten Alec wieder Tränen in die Augen. „Hör auf zu heulen, reiß dich gefälligst zusammen".
Als Alec an seiner Wohnung ankam, war er sich nicht sicher, wie er dorthin gelangt war. Er hatte während der gesamten Zeit in Gedanken an alte Zeiten geschwelgt. Die Nostalgie hatte ihn unglaublich traurig gemacht. Er schloss die Wohnungstür auf und ließ sich aufs Bett fallen. Alec starrte an die Decke. Die Gefühle waren unerträglich. Verlust war ihm fremd. Er hatte seine Familie nicht sterben sehen, er hatte sie nämlich nie gekannt. Bis auf seinen Vater: Aber den vermisste er nie.
Alec war überfordert. Panik überkam ihn. Er sprang auf und zerrte sich die Krawatte vom Hals. Er schloss die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Eine Panikattacke oder sogar einen Nervenzusammenbruch waren das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte. Sein Handy vibrierte. Laut ausatmend nahm er es aus der Tasche und sah aufs Display. Eine Nachricht von Vane. Vane hatte sich vor einem Jahr ihrem Ermittlerteam angeschlossen und war auf Sexualverbrechen spezialisiert. Alec und Vane waren ein paar Mal ausgegangen und im Bett gelandet. Etwas Ernstes hatten sich beide jedoch nicht vorstellen können.
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Alec las die Nachricht: Hey Alec, ich hatte eben keine Gelegenheit mit dir zu sprechen. Ich muss dir sicherlich nicht sagen, wie leid es mir tut. Wenn du reden willst, ich bin da. Wir sehen uns morgen bei der Besprechung. LG Vane
P.S.: Als meine Mama gestorben ist, habe ich dich gefragt, wieso Gott immer zuerst die Besten Menschen zu sich holt. Weißt du noch, was du geantwortet hast?
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Alec überkam erneute Trauer. Doch diesmal war sie mit etwas anderem vermischt, das er nicht einzuordnen wusste. Etwas Positives. Er erinnerte sich genau an seine Antwort: „Wenn du auf einer Wiese voller Blumen wärst, welche würdest du zuerst abreißen?"
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Criminal Minds: Heavy Hearts
FanfictionFBI-Agent Alec Severin wird zwangsversetzt: mit sofortiger Wirkung arbeitet er mit der BAU zusammen. Durch seine Spezialisierung auf Menschenhandel bringt er dem Team echten Nutzen. Während der Ermittlungen kommen sich JJ und Alec näher. Als JJs Soh...