Sterne

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Auf dem Grundstück standen Dutzende Einsatzkräfte. Nicht unweit der Hütte stand das BAU-Team und beriet sich. Pia Brown und Justyn Gunther, die Kinder, die Derek nach draußen begleitet hatte, wurden von den Sanitätern versorgt. Ihre Eltern waren sicherlich schon auf dem Weg. Alec Herz wurde schwer. Jakobs Eltern würden nicht kommen. Und Jakob würde auch nie wiederkommen. Alec hatte es schon an die hundertmal erlebt. Hatte erlebt, wie Eltern zusammenbrachen und nach ihren Kindern schrien. Hatte erlebt, wie ihre Welten zusammenbrachen. Es wurde nie leichter. Nie. Alec verdrängte diese Gedanken. Was jetzt zählte, war Allison. Ihr konnte noch geholfen werden.

Alec ging geradewegs an seinem Team vorbei und steuerte auf eine Lichtung nahe der Hütte zu. Behutsam setzte er Allison auf dem Zaun ab, der die Lichtung umrandete. Alec sah ihr in die Augen. Sie schien meilenweit entfernt. „Hey Allison, sieh mal nach oben", flüsterte Alec ihr ins Ohr. Keine Reaktion. Alec seufzte. „Na gut, aber du verpasst was. Ich sag's dir!" Allison drehte ihren Kopf langsam in Alecs Richtung. In ihren dunkelblauen Augen schien wieder Leben zu treten. Alec sah sie an und nickte gen Himmel. Allison hob den Kopf und starrte nach oben. Eine so klare und schöne Nacht hatte Alec selten erlebt. Er erinnerte sich an eine Nacht in Afghanistan. Es war Jaspers und sein erster Außeneinsatz gewesen. Sie hatten bis tief in die Nacht draußen gesessen und die Sterne beobachtet. Auf Alecs Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab. Doch wie so oft, wenn er in Erinnerungen an seinen besten Freund schwelgte, nahm die Traurigkeit sofort wieder Begriff von ihm.

„Was hast du Alec?" Allison hob ihre kleine Hand und legte sie behutsam auf Alecs Wange. Er blickte sie an und räusperte sich, um den Kloß in seinem Hals loszuwerden. „Ach, ich habe gerade nur an einen sehr guten Freund von mir gedacht. Er hat die Sterne geliebt." Allison legte den Kopf schräg und fragte: „Ist der auch tot?" Alec schluckte. „Ja, meine Kleine. Manchmal geschehen Dinge im Leben, die kann man sich nicht erklären. Das kann niemand. Die passieren einfach so. Man kann nichts dagegen tun, nur lernen, damit zu leben. Er ist schwer, ich weiß. Wahrscheinlich das schwerste auf der Welt. Aber du bist nicht alleine auf dieser Welt, Allison. Vergiss das nicht." Allison dachte nach und legte ihren Kopf auf Alecs Schulter. „Ich habe Angst. Furchtbare Angst." Ihr lief eine Träne über die Wange. Alec lehnte seinen Kopf gegen Ihren. „Du wärst ein Dummkopf, hättest du keine." Die kleine Allison lächelte und schloss die Augen. Alec hieb sie vom Zaun, nahm Ihre Hand und sie machte sich auf den Weg zur Hütte. Kurz vorm Ziel blieb Alec stehen und kramte eine seiner Visitenkarte aus der Westentasche. „Hier. Du kannst mich jederzeit anrufen, egal wann." Allison nahm die Karte mit einer sanften Bewegung entgegen und blickte Richtung Hütte. Ihre Eltern waren angekommen. Mit einem letzten Blick auf Alec rannte sie los und schloss Ihre Eltern in die Arme.

Alec gesellte sich zu seinem Team und blickte schweigend in die Runde. Hotch hatte gerade angefangen zu sprechen: „Unser Flug geht erst morgen früh, wir werden also eine Nacht bleiben. Die Motelzimmer sind reserviert. Die Polizei von Shepherdsville wird mit der Familie des zweiten Opfers sprechen. Wenn alle bereit sind, können wir uns auf den Weg machen." Plötzlich wurde Alec unglaublich wütend. Seine Kehle schnürte zu und sein Puls beschleunigte sich. „Jakob." Alle blickten verwirrt zu Alec. Hotch runzelte die Stirn. „Das zweite Opfer heißt Jakob. Die Polizei wird mit Jakobs Familie sprechen." Alec wusste, dass er zu weit ging, dass er sich im Ton vergriff.

Auch er verwendete nie die Namen der Opfer, wenn er über sie sprach. Man musste eine gewisse Distanz halten, um diesen Job machen zu können. Doch gerade in diesem Augenblick erschien ihm genau das unglaublich befremdlich. Alec wandte den Blick ab, als er bemerkte, dass ihn ausnahmslos alle Team-Mitglieder anstarrten. Er wollte nicht fühlen, was er in diesem Moment fühlte. Wollte das Entsetzen, die Traurigkeit, die Verzweiflung und die Einsamkeit wegsperren und nie wieder fühlen. Alec fuhr sich unbewusst durch die Haare und versuchte gegen die Tränen anzukämpfen. Reiß dich bloß zusammen, Alec! Endlich meldete sich jemand zu Wort: „Hey, alles gut bei dir Alec?" Derek trat auf ihn zu und packte seinen Arm. Alec musste hier weg. Und zwar schnellstens. „Ich brauch frische Luft. Ich komm schon irgendwie ins Motel", murmelte Alec und stolperte davon. Er verstand selbst nicht, was in ihn gefahren war.

Alec hatte sich schon einige Meter Richtung Straße bewegt, als ihn jemand einholte. JJ. „Alec, hau ja nicht ab. So läuft das bei uns nicht." JJ war wütend. Alec runzelte nur die Stirn: „Ich kann das mit mir selbst ausmachen, kein Grund zur Sorge." Er schien ebenfalls wütend zu werden. Alec wandte sich ab und wollte weitergehen, als JJ ihn am Arm zurückhielt. Alec beruhigte sich augenblicklich. „Du hast selbst gesagt, dass du das alles nur wegen Jasper verkraftet hast. Und wir beide wissen, dass du das jetzt unmöglich alleine mit dir ausmachen kannst. Alec, die BAU ist nicht nur eine Einheit, die zusammenarbeitet. Wir sind eine Familie. Und wenn du dazugehören willst, darfst du dich nicht ausschließen. Entweder akzeptierst du das, oder du verlässt die Einheit. Wir müssen genug Probleme mit uns rumtragen." JJ fühlte sich nach ihrem Monolog erleichtert. Sie kannte Alec nicht. Hatte ihn heute Morgen erst kennengelernt. Doch sie spürte, dass er das Herz am richtigen Fleck hatte. Er strahlte etwas aus, das JJ nicht beschreiben konnte. Sie wusste nur, dass sie von diesem etwas angezogen wurde. Und das war falsch. In jeglicher Hinsicht. Alec blickte JJ an und atmete hörbar ein. „Okay", stieß er aus. JJ war zufrieden: „Okay, dann lass uns fahren." Alec folgte ihr. „Ich brauch ne Zigarette." JJ schüttelte lächelnd den Kopf, als sie sich zurück zum Team begaben.

Criminal Minds: Heavy HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt