Devour

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Als Alec das Büro betrat, fand er seine Kollegen noch genau dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Alec konnte es ihnen nicht verübeln. Sie wussten einfach nichts mit sich anzufangen. Er trat in den Besprechungsraum und sah in die Runde: „Garcia, können wir kurz in dein Büro gehen und alles Weitere durchgehen? Ich habe mit meiner Kollegin aus San Diego gesprochen. Sie würde gerne in ständigem Kontakt mit uns stehen." Garcia blickte Hotch fragend an und folgte Alec, als dieser nickend zustimmte. Hotch hatte sich nur ein einziges Mal in seinem Leben hilflos gefühlt: beim Tod seiner Frau Haley. Doch die jetzige Situation schien ihm genau so aussichtslos. Er war immer objektiv, sah die Fakten und war weder pessimistisch noch optimistisch. Vielleicht lag es an Jack. Er mochte sich nicht einmal ausmalen, wenn er an Henrys Stelle stände. Hotch war froh, dass sich Alec zusammenriss. Sie brauchten ihn.

„Vane Papadopoulous, die Kollegin, von der ich erzählt habe, hat ständig einen Blick auf die Zu- und Abgänge auf diesen Dark Web Seiten. Wenn Henry auftaucht, wird sie es als Erste bemerken. Dann kommst du ins Spiel, Penelope. Ich weiß, dass es beinahe unmöglich sein wird, zurückzuverfolgen, wer die Anzeige eingestellt hat, aber einen Versuch ist es wert. Die Kollegen in San Diego werden uns unterstützen, wo sie nur können. Ich erachte es dennoch als hilfreich, wenn auch du ein ständiges Auge auf alles hast. Alles klar soweit?" Garcia blickte Alec an. Er sah noch immer furchtbar aus. In ihr kam plötzlich ein Schwall Mitleid auf. „Was ist, wenn Henry nicht auftaucht?" Alec blickte ernst drein: „Dann haben wir ein Problem." Penelope wirkte unglaublich traurig. „Hör mal, was hälst du davon, wenn ich bei dir bleibe? Du musst dich nicht alleine dadurch quälen." Alec lächelte Garcia an. Diese nickte und wirkte dankbar. Alec hoffte inständig, dass er mit seiner Vermutung richtig lag, dass Henry Opfer von Menschenhändlern geworden war. Dort kannte er sich aus. Das war sein Fachgebiet. Er wusste nicht, ob er Henry in einem anderen Fall von großer Hilfe sein konnte.

Den restlichen Tag über lungerte das Team unbeholfen im Büro herum. Niemand wollte nach Hause, bis Hotch gegen Mitternacht alle dazu zwang. Garcia wollte bleiben, doch Alec überzeugte sie, dass er die Stellung hielt und sie sich keine Sorgen machen sollte. Hotch wusste, dass es keinen Sinn machte, mit Alec zu diskutieren, also verließen alle nach und nach das Büro, bis Alec alleine war. Die Stille tat gut. Er lehnte sich in Garcias Stuhl zurück und streckte die Arme hinter den Kopf. Alec blickte auf die Bildschirme und betrachtete duzende Fotos von Kindern, deren Eltern höchstwahrscheinlich gerade die Hölle durchmachten. Mit den Jahren sah Alec diesen Schicksalen beinahe gleichgültig entgegen. Dieser Job war nicht zu meistern, wenn man nicht mit Objektivität an ihn heranging.

Es war drei Uhr morgens, als Alecs Handy klingelte. Vane. Urplötzlich war Alecs Puls auf dem Höhepunkt. Er nahm ab. „Alec? Hier ist Vane. Hör zu, ich habe nicht viel Zeit, ich steige gleich ins Flugzeug. Ich komme nach Quantico. Unsere Analysten haben eben Henrys Profil auf mehreren Seiten ausfindig gemacht. Ich werde dir alle nötigen Infos schicken, aber es sieht nicht gut aus. Unserer Recherchearbeit der letzten Monate nach zu folgen, handelt es ich um den Menschenhändlerring „Devour". Ich werde gegen 9 Uhr landen. Dann besprechen wir alles Weitere. Ich muss jetzt auflegen, das Boarding geht los. Bis später." Alec starrte auf das Display und schluckte. Die Ermittlungen gegen Devour hatten begonnen, als er San Diego verlassen hatte. Er hatte damals nur mitbekommen, dass es sich um einen ziemlich großen Fisch handelte, der in der ganzen USA agierte. Alec waren keine Einzelheiten bekannt, doch Alec hatte den Unterton in Vanes Stimme sofort deuten können. Er öffnete seine Kontaktliste und wollte JJs Nummer wählen, entschied sich jedoch dagegen. Er würde sich zuerst die Informationen ansehen, die Vane ihm schicken wollte. Er musste vorbereitet und vor allem sicher sein, wenn er das Team in ein paar Stunden informierte. Alec nahm sich vor, Vane am Flughafen abzuholen, um vorab alles mit ihr um Auto durchzugehen.

Die Stunden verstrichen und Alec rieb sich erschöpft die Augen. Die Hoffnung, Henry rechtzeitig zu finden, schwand mit jeder Information, die Alec aus Vanes Unterlagen entnahm. Das Ganze war zu umfangreich, zu komplex. Er atmete laut aus. Er wollte doch nur Henry finden, nicht einen kompletten Menschenhändlerring zerschlagen. Diese Verantwortung wollte er nicht auf seinen Schultern tragen. Ein Grund für seinen Umzug nach Virginia. Doch seine Vergangenheit schien ihn einzuholen. Betrübt blickte Alec auf seine Uhr. Es musste los zum Flughafen. Auf dem Weg zum Auto wählte er zuerst Hotchs Nummer. Dieser würde das restliche Team zusammentrommeln. JJs Anruf übernahm Alec. Zu Alecs Missgunst nahm Will ab. „Hier ist Alec. Ihr kommt am besten ins Büro. Wir haben neue Erkenntnisse." Alec wollte auflegen, um das Telefonat so kurz wie möglich zu halten, doch Will machte Alec einen Strich durch die Rechnung. „Was für Erkenntnisse?" Alec fuhr sich durch die Haare. „Keine Guten. Alles Weitere in einer Stunde im Büro. Bis nachher". Er legte auf und öffnete seine Wagentür. Natürlich hatte Will mehr Informationen verdient, doch besprach man so etwas besser nicht am Telefon. Alec legte den Gang ein und machte sich auf den Weg zum Flughafen. Er fühlte sich ausgelaugt und seine Lider waren schwer. Die Sonne ging langsam auf, doch Alec war nicht im Entferntesten bereit für den Tag und für alles was darauf noch folgen mochte.



„Wo steckt Alec?", fragte Will gereizt, als sich das gesamte Team im Besprechungsraum eingefunden hatte. Hotch seufzte und antwortet: „Alec holt Agent Papadopoulous vom Flughafen ab. Sie sollten jeden Moment da sein." Hotch konnte verstehen, weshalb Will ungeduldig und gereizt war, hilfreich war dies in der jetzigen Situation jedoch nicht. „Weiß wirklich niemand, was Alec herausgefunden hat? Und wieso betreibt Agent Papadopoulous einen solchen Aufwand und kommt nach Quantico?" Die letzten Worte waren kaum zu verstehen. JJ war mit ihren Kräften am Ende. Emily nahm sie tröstend in die Arme. „Warten wir ab JJ, wir werden es bald erfahren." Will seufzte kopfschüttelnd und verdrehte die Augen: „Das mit dem Warten kommt mir irgendwie schon bekannt vor, ich..." doch weiter kam Will nicht, denn Spencer fiel ihm ins Wort: „Will, wir alle können uns vorstellen, was du momentan durchmachst, aber dein ständiges Genörgel hilft hier niemandem. Es verhindert nur, dass wir vorwärtskommen und Henry finden. Also halt dich etwas zurück oder warte zu Hause!". Die Stille im Raum war fast greifbar. Auch Reid sah ziemlich erschöpft aus, niemand schien geschlafen zu haben. Will sah Reid wütend an und wollte etwas erwidern, doch entschied sich dagegen. Stattdessen seufzte er und rieb sich mit den Händen durchs Gesicht. „Tut mir leid." Spencer nickte und blickte gen Flur. „Da kommen sie." Alec und Vane betraten das Büro und nahmen Kurs auf den Besprechungsraum. Die Anspannung war jedem einzelnen Teammitleid ins Gesicht geschrieben. Vane ergriff sofort das Wort: „Hallo zusammen, mein Name ist Vane Papadopoulous. Ich bin Alecs alte Kollegin aus der Einheit in San Diego. Er hat mich gestern um Hilfe gebeten und mein Team ist relativ schnell auf Henrys Profil im Dark Web gestoßen. Wir vermuten, dass Henry dem Menschenhändlerring „Devour" zum Opfer gefallen ist. Unsere Einheit ermittelt seit Monaten, wir konnten bisher jedoch nur wenige Erfolge feiern. Der Grund für meinen Besuch ist die Tatsache, dass der Ring bis jetzt noch nie so weit östlich agiert hat. Unsere Analysten waren noch nicht im Stande, Henrys Eintrag zurückzuverfolgen, doch wir arbeiten daran." Vane wandte sich nun an Hotch: „Mein Team sichert ihnen jegliche Unterstützung zu, die sie benötigen." Hotch nickte Vane dankend zu. So viel Kompetenz hatte Hotch ihr gar nicht zugetraut. Er erwischte sich dabei, wie er sie unauffällig musterte, als sie sich zu Alec wandte. Sie war sportlich gebaut, hatte schulterlanges, dunkelblondes Haar. Ihre Haut war hell, aber nicht blass. Irgendwas hatte Vane an sich, das ihm gefiel. Doch er kam augenblicklich wieder zur Besinnung, als er sich der Ernsthaftigkeit der Situation bewusst wurde.

JJ ergriff das Wort: „Und was genau bedeutet das jetzt für Henry? Wie hoch stehen die Chancen, dass wir ihn bald finden?" Will erhob sich von seinem Stuhl und legte seinen Arm und sie. Sein Blick versetzte Alec einen Stich, er sah so unglaublich traurig aus. Alec sah Vane an. Sie tauschten betrübte Blicke, bis Alec schließlich das Wort ergriff: „Bis jetzt konnte keines der bekannten Opfer gefunden werden. Dieser Ring ist äußerst komplex und hinterlässt keine Spuren. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass der Hauptkundenstamm in den USA sitzt. Wir müssen bei den Ermittlungen also nicht über die Grenzen hinausdenken." Alec blickte JJ mitleidig an. Vane ergänzte: „Wichtig ist die Hoffnung nicht aufzugeben. Unser Team besteht aus Experten mit jahrelanger Erfahrung. Dieser Fall wird unsere Priorität Nummer 1 sein. Diesbezüglich würde ich sie gerne einmal unter vier Augen sprechen, Agent Hotchner", sagte Vane an Hotch gewandt. Dieser nickte und führte sie in sein Büro.

„Ich will die Leistungen und Fähigkeiten Ihres Teams hiermit nicht infrage stellen, Agent Hotchner. Aber der Chief meiner Einheit hat sich mit Ihrem Boss in Verbindung gesetzt. Erfahrungsgemäß ist es besser, wenn unsere Einheit diesen Fall übernimmt. Ihr Team wird an anderer Front gebraucht. Mal ganz davon abgesehen, dass dieser Fall ziemlich persönlich ist. Die obere Etage ist sich darin auch einig", ratterte Vane in einem Wortschwall herunter. Der Unit Chief machte Sie mit seinem Auftreten nervös. Zwar arbeiteten sie in verschiedenen Einheiten, doch war sie ihm theoretisch trotzdem unterstellt. Mit überschwänglichen Nettigkeiten kamen sie hier jedoch nicht weiter.

Hotch blickte Vane verwundert an. Wieder wunderte er sich über ihre klare, präzise objektive Art, die dennoch irgendwie einfühlsam war. Hotch hatte bereits Anweisungen bekommen, den Fall an Vanes Einheit abzutreten. Nach langer Diskussion. Doch Vane hatte genau wie sein Boss recht: Ihre Hilfe wurde an anderer Stelle benötigt. Und wer war besser für die Rettung Henrys geeignet, als die Einheit, die gerade darauf spezialisiert war? „Ich hatte so etwas bereits befürchtet, sehe es aber ein. Ich hätte da jedoch eine Bedingung. Agent Severin wird als Schnittstelle fungieren. Ich würde gerne einen Fuß in der Türe haben, auch wenn es nur ein Spalt ist." Hotch hoffte inständig, dass ihm Agent Papadopoulous entgegenkam. Sie schien jedoch keine Sekunde zu zögern: „Zufälligerweise war dies auch meine Bedingung, Agent Hotchner." Vane lächelte frech. „Zusätzlich würde ich gerne eines ihrer Büros in Anspruch nehmen, damit Agent Severin und ich in Ruhe arbeiten können. Mein Team wird uns von San Diego aus unterstützen. Vielleicht wird ab und an ein Agent zur Hilfe kommen. Und da dies noch nicht genug ist, würde ich Agent Garcia von Zeit zu Zeit in Anspruch nehmen. Sie könnte eine große Hilfe sein." Vane blickte Hotch bittend an. „Alles, was Sie benötigen, Agent Papadopoulous." Dieser Frau konnte man einfach nichts abschlagen, dachte Hotch beeindruckt. „Achja, ich habe bemerkt, dass sich alle im Team duzen. Sie sind zwar älter als ich und noch dazu irgendwie mein Boss, aber ich bin Vane." Mit diesen Worten verließ Vane das Büro.

Criminal Minds: Heavy HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt