3. Again

2.3K 85 0
                                    

Am nächsten Morgen wiederholte ich die Prozedur. Wie immer stand ich ein paar Minuten einfach nur da und starrte auf das große Gebäude gegenüber meines schäbigen Arbeitsplatzes. Da stach mir der Mann von gestern ins Auge. Er stand neben der Tür und schien in meine Richtung zu blicken. Unwohl wandte ich mich ab. Es bestätigte meine Vermutung, dass er in dem Café gestern eigentlich nichts zu suchen hatte. 

Früher als sonst stellte ich mich an die Straße und wartete auf einen netten Autofahrer. 

Traurig stand ich wieder hinter dem Tresen und dachte über mein Leben nach, während ich einer gestresst aussehenden Mutter mit Kleinkind einen Kaffee reichte. Als das Kind mit seinen kleinen Fingern nach dem Becher griff und seine Mutter trotz ihrer Erschöpfung lächelnd den Kaffee aus der Reichweite ihres Kindes brachte, kamen mir fast die Tränen. Ich blinzelte und wandte schnell den Kopf ab, damit niemand sah, wie ich um Fassung rang. 

Ich hatte immer ein enges Verhältnis zu meiner Mutter, umso mehr hatte es mich aus der Bahn geworfen, als sie plötzlich tot war. Ohne Vorwarnung war ich auf mich allein gestellt. Und da ich nach meinem verhauenen Abitur schon erwachsen war, musste ich mich allein durchschlagen. Das Schulgeld hätte ich allein auftreiben müssen, da von meinem Vater nie im Leben Unterstützung gekommen wäre. Und da keiner ein 18 jähriges Mädchen ohne Schulabschluss oder sonstigem einstellt, hatte ich die Wahl zwischen obdachlos sein und hier arbeiten. das Leben hat mir nicht einmal die Zeit gelassen, mich von meiner Mutter zu verabschieden, mich an ihr Fehlen zu gewöhnen, um sie zu trauern. Von heute auf morgen war ich auf mich allein gestellt und musste mich allem allein stellen. 

Da blieb keine Zeit, um mich irgendwelchen Problemen zu stellen. Nachdem ich mich wieder im Griff hatte, wandte ich mich wieder um und bekam fast einen Herzinfarkt. Vor mir stand der Mann von gestern. Fast hätte ich gefragt, was er denn schon wieder hier wollte, doch ich bemühte mich, den Mund zu halten. Nicht mit den Kunden zu reden war hier die oberste Divise. Ich hatte keine Ahnung, wer diese Regel aufgestellt hatte, aber sie stand sogar in meinem Arbeitsvertrag. Also blickte ich ihn nur an. 

Plötzlich schob er mir wieder einen kleinen weißen Zettel über den Tresen und drehte sich dann um. Ich verdreht die Augen und lies den Zettel erneut in den Mülleimer fliegen. "Sie denken doch nicht ernsthaft, dass ich irgendeinen perversen Fremdling anrufen werde, der mir, ohne ein Wort zu sagen seine Nummer entgegenschiebt und sich dann aus dem Staub macht!", rief ich ihm hinterher, doch er ignorierte mich und verließ das Café. 

Ich drehte mich um und blickte direkt in die Augen meines Chefs. Mir wurde klar, dass ich gerade einen Fehler gemacht hatte. "Du kannst für heute gehen, Lenore", sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Schnell nickte ich und ging nach hinten. Er war eigentlich ein guter Chef, solange man sich an den Vertrag hielt. 

Noch im Gehen band ich mir die Schürze ab, zog mir den Haargummi aus den Haaren und schnappte mir schließlich meine Jacke. Früher als sonst verließ ich meine Arbeitsstelle. Ich hoffte, dass ich morgen wieder arbeiten kommen dürfte, doch das würde ich vermutlich erst morgen erfahren. 

GODDESS I                                                         Das Angebot ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt