20. Kapitel

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Vorsichtig setzte ich den Geigenbogen auf die Saiten und sah auf die Noten vor mir. Kaum gab das Instrument einen Ton von sich wurde die Tür aufgerissen.
,,Okay, vielleicht geht es mir damit nicht gut..! Ich bin wohl doch nicht so krass wie ich mich gebe! Das war dann doch ein bisschen viel für mich!" winselte Juju während sie mit ihren zittrigen Händen umher fuchtelte. Ich legte die Geige und den Stab auf den Boden und ließ sie mich umarmen.,,Was ist passiert?" fragte ich sie besorgt und legte meine Arme auch um sie.
,,Mich haben vier Männer verfolgt und sie haben mir Sachen zugerufen. Ich hab so getan als wenn mich das nicht gestört hätte aber ich hab richtig Angst gehabt." erklärte sie. Ich drückte sie näher an mich. Was eine Menschheit... Zeig mir eine Frau die noch nie sexuell belästigt wurde. Das gibt es nicht. Klar, mir könnte das genau so gut passieren, wenn ich so darüber nachdenke aber ich bin mir sehr sicher, dass Frauen in ihrem Kopf damit viel anders umgehen.
,,Alles gut. Hier bist du sicher, Süße." murmelte ich und streichelte ihren Rücken.,,Ich weiß." schluchzte Juju. Ich hatte sie noch nie so erlebt. Eigentlich gab sie auf sowas immer wenig. Eigentlich... Vielleicht wollte sie jetzt Aufmerksamkeit von mir? Vielleicht ist das gar nicht passiert? Ich löste mich von ihr und sah sie an.,,Was ist?" murmelte sie verwundert.,,Du gibst auf sowas immer 'n Fick. Warum ist das auf einmal so schlimm für dich?" fragte ich Juju vorwurfsvoll.,,Dein Ernst? Raphael, dir ist schon klar was mir passiert ist und was passieren hätte können und du denkst wirklich ich nutze so etwas aus für deine Aufmerksamkeit die ich so oder so bekomme?" ,,Das ist andere Art Aufmerksamkeit." korrigierte ich sie.
,,Alter, merkst du nicht, dass bei dir was kaputt ist? Das ist nicht böse gemeint. Ich will dir echt nur helfen aber du rallst es einfach nicht und das nervt, dass ich dich dauernd zurecht biegen muss. Irgendwann habe ich auch keine Lust mehr." diskutierte sie wieder.,,Was willst du jetzt von mir?" seufzte ich genervt.
,,Ruf bei 'nem Psychiater an und sieh zu, dass sie dich einweisen." Ohne etwas zu sagen nahm ich meine Geige, den Bogen und Notenständer samt Zettel.
Damit ging ich raus und stellte mir alles im Wohnzimmer zurecht.
Ein bisschen ist ja bestimmt noch hängen geblieben. Es war ein einfaches Lied was ich damals in der Musikschule hatte. Für den Anfang würde das reichen um wieder rein zu kommen. Profi würde ich so schnell nicht werden.
Ein weiteres Mal setzte ich den Bogen auf die Saiten als die Geige an meinem Hals lag und meine Hand am Geigenhals. Langsam versuchte ich die erste Note zu spielen. Das brauchte definitiv weitere Versuche.
Ich wollte hierdurch einen freien Kopf bekommen und nicht weiter über sie nachdenken... Vielleicht war ihr das wirklich passiert und da es so war, ist sie zu mir gekommen. Ich habe sie mit meiner Skepsis aufgeregt und das hat sie genutzt um mir ihre Meinung zu geigen. Langsam wusste ich nicht mehr wo oben und unten war...
,,Papa..." Ich hörte sofort auf zu spielen als Lynn mit ihrem Bärchen auf mich zu kam.
,,Was ist los mein Schatz?" fragte ich sie und setzte mich auf den Boden.
,,Juju..." ,,Wir haben uns nur ganz kurz unterhalten. Es ist alles gut." Ich zögerte kurz.,,Sag mal... Tu aimes Juju ?" Sie nickte grinsend. Wenn sie sie mochte, könnte sie gut bei ihr aufgehoben sein...
Nachdenklich musterte ich sie. Lynn sah ihrer Mutter jeden Tag ähnlicher... Ich versuchte nicht zu weinen.,,Ich liebe dich, mein Schatz." weinte ich dann doch und drückte sie an mich. Sie ließ ihren Teddy liegen und legte ihre kleinen Arme um meinen Hals. Langsam strich ich über ihren kleinen Rücken und gab ihr einen Kuss auf ihre Wange.,,Ich mach dir Abendessen und dann machst du dich bettfertig, ja Engelchen?" sagte ich leise und löste mich von ihr. Lynn nahm sich nickend ihren Teddy und folgte mir in die Küche wo ich ihr Essen fertig machte und mit zum Tisch nahm.
Ich fütterte sie dort damit ich nachher nicht aufwischen musste. Eigentlich konnte sie schon etwas alleine essen. Danach räumte ich das Geschirr weg und brachte sie und mich mit sauberen Sachen ins Bad. Dort ließ ich die Badewanne etwas volllaufen und setzte sie schonmal rein um sie zu waschen.
Sie planschte etwas umher während ich sie mir dem Lappen abschrubte.

Nachdem ich ihr etwas französisches vorgelesen hatte, ließ ich sie nun allein und ging mich selbst waschen. Fertig damit ging ich ins Wohnzimmer wo mein Handy lag. Ich suchte mir die Nummer von einem Psychologen in meiner Nähe heraus und rief ihn einfach an ohne überhaupt nachgedacht zu haben was ich um halb acht zu ihm sage.
Es wunderte mich schon, dass er ran ging aber auch um diese Uhrzeit nahm der sich Zeit um mir zuzuhören.
,,Haben sie sonst diesen Freitag Zeit? 14:30 Uhr habe ich noch Zeit für sie." Ich könnte mir das eh alles einplanen wie ich wollte...
,,Ja klar. Danke." Das war sein Job.
,,Wir sehen uns dann, Raphael." Ich durfte nun auflegen. Ey, der war echt nett. Ich ließ mein Handy nun hier liegen und ging ins Schlafzimmer zu Juju. Sie schlief bereits als ich langsam die Tür hinter mir schloss.
Vorsichtig rutschte ich hinter sie, legte meine Arme um sie und gab ihr einen Kuss auf ihre Schulter.
Juju trug mein T- Shirt...Ich drückte sie am Bauch lächelnd an mich und ließ meine Hand etwas höher fahren, aber nicht zu hoch. Sie nahm meine Hand und streichelte mich dort mit ihrem Daumen.
Das erste Mal, dass wir so liebevoll miteinander umgingen. Natürlich gab es auch andere ähnliche Momente aber ich hatte mich nie wirklich so entschuldigt. Ich war nicht stolz drauf...
,,Ich hab einen Psychologen- Termin am Freitag." murmelte ich.
,,Das freut mich. Wirklich. Ich bin froh, dass du das gemacht hast." flüsterte sie müde.,,Ich auch. Wenn es wirklich so weit kommt, kannst du die Zeit auf Lynn aufpassen?" fragte ich sie und küsste nochmal ihre Schulter.,,Dann muss ich nach Wien. Lynn muss nachher auch in den Kindergarten, Schatz." Die schönste Musik in meinen Ohren, die ich seit langem gehört hatte...
,,Sie ist letztens erst zwei geworden. Mit drei / drei einhalb muss ich sie dort hin schicken." murmelte ich und schmuste mich an sie.,, Ich bin stolz auf dich, dass du das endlich geschafft hast. Ich denke das mit deiner Familie lässt sich auf jeden Fall retten und ein Vögelchen hat mir geflüstert, dass Bonez nicht sauer auf dich ist, solange du von selbst auf ihn zu gehst und mit ihm was machst.
Ich bin mir da sehr sicher, dass du das jetzt alles schaffen wirst. Und wenn du weiter mit Geige machst, kannst du deine Mutter bestimmt nochmal stolzer auf dich machen als sie nach der Versöhnung es schon sein wird. " da könnte sie echt recht haben... Ich würde mich echt freuen wenn es jetzt nach oben gehen würde.

Der Termin beim Psychologen lief auch ganz gut aber er wollte noch ein paar mehr Sitzungen machen bevor er mich irgendwo hin verschrieb, was im Endeffekt auch passierte.
In dieser ganzen Zeit hatte ich mir meine ganzen Freundschaften mehr als ansatzweise wieder aufgebaut. Auf Juju vertraute ich von vorn bis hinten, dass sie sich gut um Lynn kümmerte. Sie würde ich einfach später in den Kindergarten schicken. Ich sah sie eigentlich jeden Tag genau wie Juju.
Selbst ich merkte, dass ich viel glücklicher war. Meine ganze Lebenseinstellung war ein bisschen positiver. Vorher hätte ich mit leerem Blick an die Wand sehen können aber jetzt hatte ich besseres zu tun.
Ab und zu hätte ich mir zu Hause noch einen Schluck Alkohol nehmen müssen, weil mein Körper sonst zu schlapp war. Aber hier hatten die mich echt wieder hinbekommen.
Dabei war es nicht mal eine Entzugsklinik.
Hier war die beste Zeit seit langem. Der Anfang war schwer aber ich würde von so vielen Leuten besucht... Meine Familie war mir am wichtigsten und das mit Juju hatte auf jeden Fall Zukunft.

Was eine Zeit...

Was ein Leben...

These high walls - RAF Camora FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt