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Zitternd werfe ich einen Blick auf die Uhrzeit, die mir mein Handy anzeigt. Fast zehn Minuten sind vergangen, seitdem ich vor meinem Wohngebäude stehe und warte. Es ist dunkel, nur die Straßenlampen spenden Licht und es ist kalt. Eiskalt.

Ich drücke die Reisetasche an mich und trete von einem Bein auf das andere. Es wäre besser gewesen, wenn ich oben gewartet hätte. Oder zumindest vor der Glastür hier unten. Denn langsam fängt auch mein Kopf an, von der Kälte, wehzutun. Ich hoffe, dass ich nicht wieder krank werde.

Wie gerufen entdecke ich endlich das dunkelblaue Auto, das immer langsamer wird und vor mir stehen bleibt. Erleichtert öffne ich die Autotür und lasse mich auf den Beifahrersitz fallen. Kaum bin ich angeschnallt, fährt Diego los und ich kann entspannen.

Im Auto ist es angenehm warm und ich spüre, dass die Sitzheizung an ist. Ein fruchtiger Duft umhüllt mich. Aus dem Radio ist leises Gerede zu hören. Bei Diego mitzufahren, hat etwas Magisches an sich. Es fühlt sich jedes Mal so an, als würde man in den Wolken sitzen. Nur leider kommt das immer seltener vor.

Ich sehe zu ihm. Seine Augen liegen konzentriert auf der Straße. Nie lässt er sich ablenken oder aus der Ruhe bringen, wenn er am Lenkrad sitzt. Eine hellbraune, leicht gelockte Haarsträhne hängt in seine Stirn. Seine Gesichtszüge zeigen keine Emotionen. Das tun sie selten und nur in Josies Nähe. Aber auch das kommt kaum vor, seitdem er sich von uns so abgekapselt hat.

Diego ist und bleibt Teil unserer Freundesgruppe, das weiß er. Aber er ist ein Sturkopf und ich kann es ihm nicht übelnehmen. Nie hat er sich gut mit seinen Eltern verstanden, aber je älter er wurde, desto schlimmer wurde es bei ihm und Josie Zuhause. Kurz bevor er achtzehn wurde, ist er abgehaut. Jedoch nicht, ohne seiner älteren Schwester vorher eine Kette zu schenken. Das ist jetzt zwei Jahre her und Jo hat die Kette nie abgelegt.

Mein Blick gleitet hinunter zu seinem Hals. Am Kragen seines weißen Shirts sticht etwas bunt hervor und ich muss Lächeln. Im Gegenzug hat Jo ihm damals nämlich ihre selbstgemachte Kette mit kleinen, bunten Perlen gegeben. Nie war er sich zu cool dafür sie zu tragen.

Ich sehe zurück durch die Windschutzscheibe.
"Danke fürs Fahren."

Von ihm ist nur ein leises Brummen zu hören.

Seufzend hole ich mein Handy hervor. Flüchtig überlese ich die paar Nachrichten meiner Freunde, die sich alle Sorgen machen, weil ich mich nicht melde. Und den ganzen Tag lang über nicht gemeldet habe.

Ohne zu antworten, entschuldige ich mich mit einer Nachricht bei Cora, weil ich heute nicht arbeiten war. Ich gebe ihr Bescheid, dass ich die nächsten Tage auch nicht kommen kann. Gerade bin ich froh, dass sie die Mutter meiner Freunde ist, sonst wäre ich den Job wahrscheinlich schon los.

Ich schalte das Gerät ab und stopfe es in die Tasche, die ich zwischen unseren Sitzen auf die Rückbank befördere. Anschließend öffne ich das Handschuhfach und stibitze mir ein Bonbon. Das Papier zerknülle ich und ich frage mich, ob ich meine Entscheidung bereue. Wirklich Lust auf meine Eltern habe ich nicht, aber bei ihnen habe ich wenigstens meine Ruhe. Tagsüber müssen sie Arbeiten und in meiner Wohnung besteht immer die Gefahr, dass die anderen mir einen Besuch abstatten wollen. Das möchte ich verhindern. All das, was passiert ist, ist mir total unangenehm. Auch vor ihnen.

Tief atme ich durch. Meine Augen brennen und Tränen sammeln sich darin. Ich ziehe die Ärmel des Hoodies über meine Hände und presse diese zwischen meine Oberschenkel.

"Hat er dir was angetan?", fragt Diego mit kratziger, aber fester Stimme. Es ist ungewohnt, normalerweise ist seine Stimme immer sehr weich.

"Rauchst du?", möchte ich irritiert von ihm wissen. Er schüttelt den Kopf, geht aber nicht näher darauf ein. Also lasse ich ihn in Ruhe damit.

anagapesis - larry stylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt