Kapitel 22

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Kapitel 22:
Es stellte sich heraus, dass Steff mit ihrer Vermutung goldrichtig lag. Sie sah Yvonne noch immer regelmäßig, allerdings beschränkten sich ihre Treffen fast ausschließlich auf die gemeinsamen Tanztrainings. Yvonne distanzierte sich zunehmend. Es war schon fast ein wenig lustig, wie vollgepackt Yvonnes Tage plötzlich zu sein schienen. Noch vor wenigen Tagen, hatte sie es kaum abwarten können die Abende mit Steff zu verbringen, gemeinsam mit ihr zu kochen, einen Film zu schauen oder... sich anders miteinander zu beschäftigen. Doch plötzlich gab es jeden Abend eine spontane Tanzstunde, die Yvonne auf keinen Fall absagen konnte, ein Treffen mit alten Freunden in einer Bar am anderen Ende der Stadt, Leute, deren Namen Steff noch nie zuvor gehört hatte. Steff sah Yvonne nur noch während des Trainings und auch dann wirklich sie abwesend, völlig versunken in ihren eigenen Gedanken, in ihrer eigenen Welt. Steff hatte mehrmals versucht Yvonne zur Rede zu stellen und auf ihr merkwürdiges Verhalten anzusprechen, doch die Tänzerin hatte jedes Mal abgeblockt. So hatte Steff schließlich resigniert. Auch wenn sich jede Faser ihres Körpers dagegen sträubte, auch wenn sie sich selber damit wehtat, sie konnte Yvonne nicht zu ihrem Glück zwingen. Es mochte zwar hart klingen, aber aus dieser Situation musste sich Yvonne selbst hinaushelfen, insbesondere weil nur sie, wirklich zu wissen schien, was in ihrem Kopf vor sich ging. So gab Steff ihr das Einzige, was sie ihr in diesem Moment geben konnte: Freiraum. Sie nahm die wortlose Stille zwischen ihnen, die mit jeder Sekunde drückender wirkte, einfach so hin, schluckte jede Frage, jeden Ausdruck des Unverständnisses einfach herunter und lebte von einen Tag in den nächsten. Das Ganze ging tatsächlich für eine erstaunlich lange Zeit gut, bis Steff schließlich der Geduldsfaden riss und sie nur noch rot sah. Es war Freitagabend. Kurz vor der Show. Natürlich. Wie sollte es auch anders sein. Steff trat gerade aus ihrer Garderobe in den Flur hinaus und zupfte sich noch einmal ihr Oberteil zurecht. Zumindest das Outfit war dieses Mal voll und ganz nach ihrem Geschmack und spiegelte ihre momentane Stimmung wider. Sie trug eine enganliegende schwarze Hose und eine schwarze Weste, die einzig und allein von einem breiten Ledergürtel zusammengehalten wurde und so unheimlich tiefe Einblicke in das Dekolleté der Sängerin gab. Als Steff den ersten Blick in den Spiegel geworfen hatte, hatte sie bei der Freizügigkeit ihres Outfits zunächst schlucken müssen und gebetet, dass das Kleidungsstück an seinem Platz bleiben würde. Aber ihre Stylisten hatte ihr die Angst mit ein paar beruhigenden Worten genommen und sie hatte aus irgendeinem Grund sofort Yvonnes Stimme im Kopf, wie sie in ihren knappen Tanzkostümen immer nur lachend abwinkte. „Ich habe keine Ahnung wie es hält, aber es hält und das ist ja schließlich die Hauptsache." Und wer weiß – vielleicht waren die Tiefen Einblicke für Yvonne tatsächlich ein ernsthafter Anreiz, ihr Verhalten der letzten Tage nochmal zu überdenken. Steff lief inzwischen mit schnellen Schritten durch die Flure in Richtung des Studios, als plötzlich ein unverkennbarer Laut durch die Gänge schallte, den sie in den vergangenen Tagen viel zu selten gehörte, und unheimlich vermisst hatte. Ein Lachen. Schriller, als sie es gewohnt war, fast schon ein wenig künstlich und überzogen, aber dennoch unverwechselbar. Yvonne. Neugierde und Verwirrung breiteten sich in Steff aus. Was war es, dass Yvonne nach Tagen des Trübsal Blasens wieder so Lachen ließ? Doch schon jetzt machte sich eine kleine Stimme in ihr bemerkbar, die ihr mitteilte, dass es ja ganz offensichtlich nichts mit ihr zu tun haben könnte. Als sie schließlich um die letzte Ecke bog, fiel ihr erster Blick, wie sollte es auch anders sein, auf Yvonne, die gemeinsam mit einigen der Profitänzern und Kandidaten an einer Seite des Raumes stand und sich lachend mit ihnen unterhielt. Das war soweit nichts ungewöhnliches, Yvonne und auch Steff verstanden sich gut mit allen die noch in der Show dabei waren und die Stimmung zwischen ihnen war immer ausgelassen. Ungewöhnlich war allerdings, dass Yvonnes Blick nicht auf die Tänzer in der Runde, sondern einzig und alleine auf Nico gerichtet war, dem sie locker einen Arm um die Hüfte geschlungen hatte. Er schien gerade irgendeine Geschichte zu erzählen, und während die Anderen nur leise schmunzelten, stieß Yvonne ein weiteres schrilles Lachen aus und fuhr mit ihrer Hand wie zufällig über den Arm des Sängers. In Steffs Hals formte sich ein (Stefanie) Kloß. Was genau spielte Yvonne hier? Genau in diesem Moment trafen sich die Blicke der Beiden und für den Bruchteil einer Sekunde dachte Steff, ihr Outfit würde die gewünschte Wirkung erfüllen. Yvonne senkte den Blick, ließ ihre Augen ganz langsam über Steffs Körper wandern und blieb dabei für einige Augenblicke an der freigelegten Haut ihres Dekolletés hängen. Doch dann konnte Steff selbst auf die Entfernung des Raumes sehen, wie Yvonne schluckte, sich dazu zu zwingen schien, ihren Blick von Steff loszureißen und sich zu allem Überfluss noch ein Stückchen näher an Nico presste. Das war zu viel für Steff. Sie setzte ihr breitestes, falschestes Lächeln auf und lief auf die Gruppe zu. Während die Anderen sie freundlich grüßten, lag ihr ganzer Fokus auf Yvonne. „Yvonne. Ich wusste gar nicht, dass du schon hier bist." Ihre Stimme klang zuckersüß, fast schon gefährlich ruhig und sie war sich sicher, dass Yvonne den versteckten, scharfen Unterton ganz genau hören konnte. Doch die Tänzerin blickte sie nur ausdruckslos an. „Ja, Nico wollte mich unbedingt von zu Hause abholen. Ist er nicht ein Schatz?" Steff hob verwundert die Augenbrauen. Nico hatte sie also abgeholt? Interessant. Der Sänger selbst allerdings schien von Yvonnes Aussage ebenfalls etwas verwirrt zu sein. „Du hast gesagt, dein Auto ist kaputt und du kommst anders nicht ins Studio?" Steff stutzte. Yvonne hatte kein Auto. Und auch Yvonne schien von Nicos Einwurf nicht sonderlich begeistert zu sein. „Wie dem auch sei, ich weiß deine Hilfe auf jeden Fall sehr zu schätzen." Sie vergewisserte sich, dass alle Anwesenden in ihre Richtung blickten und drückte Nico dann einen schnellen Kuss auf die Wange. Steffs Magen zog sich zusammen. Was zu viel war ist zu viel. Allerdings begann sie langsam zu verstehen, was hier vor sich ging. Sie griff nach Yvonnes Arm. „Können wir kurz reden?" Ihr Blick landete auf Nico, der mit Yvonnes plötzlichem Interesse völlig überfordert zu sein schien und mit knallrotem Gesicht auf den Boden starrte. „Allein." Ihre Worte ließen keinen Raum für Widerworte und Yvonne schien zu merken, dass sie den Bogen deutlich überspannt hatte. Sie löste sich aus Nicos Arm, konnte es sich aber dennoch nicht verkneifen, ihm nochmal zuzuzwinkern. „Wir sehen uns gleich." Nico nickte nur stumm und ihm war anzusehen, dass er sich gerade am liebsten im Erdboden verbuddeln wollte. Das war genug. Steff zog Yvonne hinter sich her in eine etwas abgelegenere Ecke des großen Raumes, versteckt hinter einigen Gerüsten der Bühnenbauer. „Sag mal was genau spielst du hier eigentlich für ein Spiel?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Zischen, doch Yvonne verstand trotzdem jedes Wort. „Ich spiele überhaupt kein Spiel. Ich sorge dafür, dass wir Beide nicht in Zukunft die Titelbilder sämtlicher Klatschmagazine zieren." Sie klang kalt, fast schon berechnend. „Indem du was genau machst? Dich dem armen Nico an den Hals schmeißt und hoffst, dass es möglichst viele Kameras aufnehmen? Das sie euch beiden eine Affäre andichten und uns darüber vergessen? Yvonne, das ist wirklich das Letzte. Lass Nico da raus. Er kann dafür wirklich am wenigsten." Für einen kurzen Moment schien Yvonne ernsthaft über Steffs Worte nachzudenken, doch viel zu schnell rastete ihr Gesicht zurück in seinen ausdruckslosen Grundzustand. „Nico ist ein erwachsener Mann, kein schulpflichtiges Kind, was deine Hilfe braucht. Hör auf, dass jetzt alles wieder auf dich zu beziehen. Das hat rein gar nichts damit zu tun, und das weißt du ganz genau. Ich mache das, um uns Beide zu schützen." Steff konnte ihren Ohren nicht trauen. „Uns zu schützen? Yvonne hörst du eigentlich was du hier gerade von dir gibst? Hast du mal darüber nachgedacht, dass ich vielleicht gar nicht von dir beschützt werden will? Ich bin keine hilflose Prinzessin, die darauf wartet, von ihrem Ritter auf dem weißen Pferd gerettet zu werden. Auch wenn ich mir sicher bin, dass du zu dem Ritter gerade definitiv nicht nein sagen würdest." Steff redete sich weiter und weiter in Rage. „Yvonne, verdammt, mach doch mal die Augen auf. Siehst du denn nicht was du hier gerade abziehst?" Yvonne schüttelte den Kopf, die Wangen vor Wut gerötet. „Ich frage mich gerade eher was du hier gerade abziehst. Vielleicht solltest du lieber mal daran arbeiten, dass du deine Eifersuchtsprobleme mal ein wenig in den Griff bekommst." Steffs Gedanken überschlugen sich. Eifersuchtsprobleme? Das hatte doch hier gerade absolut gar nichts mit ihrer Eifersucht zu tun, sondern mit Yvonnes blanker Angst, in der Öffentlichkeit als nicht heterosexuell wahrgenommen zu werden. Sie war gerade kurz davor, Yvonne genau das an den Kopf zu knallen, wurde allerdings plötzlich von einer unheimlichen Welle der Resignation überschwemmt. Warum noch kämpfen? So hatte das Alles doch keinen sich mehr und Yvonne schien sich ihrer Sache sehr sicher zu sein. Ihre Stimme änderte sich, das wütende Beben wurde ausgetauscht durch eine endgültige Ruhe. Sie sprach langsam, hoffte die Schwere ihrer Worte dadurch noch mehr unterstreichen zu können.  „Wenn du dich so sehr für mich schämst, dann sag es mir doch einfach ins Gesicht und wir lassen das Ganze." Yvonne zuckte bei ihren Worten zusammen. Dies schien die erste Aussage gewesen zu sein, die sie wirklich zu treffen schien, und ihr vor Augen führte, was sie hier gerade alles zerstörte. Ein erschrockener Ausdruck glitt über ihr Gesicht und in ihrem Blick lag plötzlich etwas, das verdächtig nach Bedauern aussah. Sie hob einen Arm, doch als sie versuchte ihn Steff auf die Schulter zu legen, wich die Sängerin mit zwei kleinen Schritten zurück und schüttelte den Kopf. „Steff ich..." Doch noch bevor Yvonne ihren Satz fortsetzen konnte, spürte Steff, wie sie von hinten angetippt wurde. Sie fuhr herum, dankbar für die Unterbrechung, und blickte in das Gesicht eines der Regieassistenten, der sie mit etwas gehetztem Blick anschaute. „Steff? Yvonne? Alles wartet nur auf euch. Die Sendung fängt gleich an. Los jetzt, ihr könnt euren Kaffeeklatsch später fortsetzen!" Steff wollte gerade etwas erwidern, doch da hatte er sich schon auf dem Absatz umgekehrt und war in Richtung der Bühne davongestürmt. Ohne ein weiteres Wort an Yvonne drehte sich um und folgte ihm. Hinter sich konnte sie hören, wie Yvonne tief durchatmete und versuchte sich zu sammeln, ihr dann jedoch mit zögernden Schritten folgte. Es war nicht so, als hätte sie eine Wahl gehabt. Die Beiden hetzten auf die Bühne und die Show begann gerade noch rechtzeitig. Allerdings war die Stimmung zwischen ihnen so angespannt, dass es auch den anderen Kandidaten nicht verborgen blieb. Steff merkte, wie sie ihr und Yvonne immer wieder verstohlene Blicke zuwarfen und Nico setzte sich mit Ekat bewusst ans andere Ende der Lounge, möglichst weit weg von Yvonne. Die Tänzerin selbst schien das nicht mal zu bemerken. Ihre plötzliche Zuneigung für den jungen Sänger schien genau so schnell verschwunden zu sein, wie sie gekommen war. Stattdessen saß sie angespannt neben Steff, spielte nervös mit ihren Fingern und versuchte immer wieder Blickkontakt zu Steff herzustellen. Sie merkte, dass ihre Worte Yvonne getroffen hatten und trotzdem schien ihre Wut noch nicht verflogen. Doch auch in Steff brodelte es noch heftig. Sie zwang sich, ihren eigenen Blick konstant nach vorne auf die Bühne zu richten und ignorierte Yvonne neben sich komplett. Passenderweise tanzten die Beiden heute einen Paso Doblen, einen Tanz der ursprünglich eine Interpretation des spanischen Stierkampfes war und vor allem von einem lebte: Spannung – und davon hatten Steff und Yvonne an diesem Abend wahrlich genug. Viel zu schnell wurden die beiden aufgerufen und begaben sich, in noch immer angespanntem Schweigen, auf die Tanzfläche. Die harten Klänge der Musik begannen zu spielen und Steff hab ihr Bestes, sich voll und ganz auf den Tanz zu konzentrieren. Dies viel ihr zum Glück fast ein wenig zu leicht, denn es war schon fast ein wenig ironisch, wie sehr das Thema ihres Tanzes zu ihrer momentanen Situation passte. Sie, in der Rolle des Stierkämpfers, immer auf dem Vormarsch, im Versuch seine Partnerin mit allen Mitteln von sich zu überzeugen. Yvonne, in der Rolle der etwas zurückhaltenden Frau, die die Anwandlungen des Stierkämpfers um jeden Preis zurückwies, genauso wie Yvonne versucht hatte, ihre Gefühle für Steff wieder und wieder zurückzuweisen. Zu allem Überfluss hatten die Beiden sich im Vorfeld dazu entschieden, dem Tanz einen neuen Twist zu geben und nachdem sie die erste der beiden Standposen eingenommen hatten, begannen sich ihre Rollen langsam zu wandeln. Steffs Rolle des Stierkämpfers wurde zögerlicher, ihre Schritte nicht mehr ganz so schnell und energetisch, so als ließe sie der Frau eine Wahl, als ließe sie ihr den Raum, ihre Verbindung miteinander zu überdenken. Dies führte zunächst dazu, dass die Frau sich von ihr abwand. Yvonne bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung von Steff, tanzte ihr eigenes Solo. Steff in Form des Stierkämpfers schien dies mit einer gewissen Resignation hinzunehmen, sich ebenfalls abzuwenden und gerade als sie sich endlich vollständig mit der Situation abgefunden hatte, nicht mehr bereit dazu war zu kämpfen, wandelte sich das Bild erneut. Die Frau schien plötzlich zu begreifen, was sie an dem Stierkämpfer hatte. Jetzt war sie in der Rolle der Kämpferin, versuchte das, was sie zuvor zerstört hatte, mit allen Mitteln zu retten. Yvonne versuchte sich Steff wieder anzunähern, wurde von ihr jedoch durch gezielte Drehungen und Rückwärtsbewegungen wieder und wieder zurückgewiesen. Die Frau hatte ihre Chance vertan. Doch war das wirklich endgültig? Die Musik erreichte ihren Höhepunkt, eine weitere Vorwärtsbewegung von Yvonne, dann war es Zeit für die Endpose. Eigentlich hatten die Beiden sich dazu entschlossen, ihrem fiktiven Stierkämpfer und seiner unentschlossenen Frau ein Happy End zu geben, so wie auch sie und Yvonne auf dem besten Weg gewesen waren, ihr Happy End zu leben. Eigentlich. Denn als Yvonne sich in Position begab, um Steff in ihre Arme zu schließen, tat Steff etwas, was sie unter normalen Umständen niemals getan hätte. Sie improvisierte. In einer Live Show. Mit Millionen Zuschauern vor den Fernsehgeräten. Statt sich wie geplant dramatisch in Yvonnes Arme zu werfen, blickte Steff geradewegs in die Kamera, schüttelte mit einer energischen Bewegung den Kopf und ließ in Resignation, die nicht nur gespielt war, die Schultern fallen. Dann drehte sie sich von Yvonne weg, die noch immer erwartungsvoll die Arme ausgebreitet hatte, und lief mit langsamen Schritten von ihr weg, während die letzten Töne der Musik verklungen. Die Bildschirme im Studio switchten zu dem Gesicht von Yvonne, deren anfängliche Verwirrung mit jeder Sekunde die verstrich von mehr und mehr Emotionen überschwemmt wurde. Erkenntnis. Enttäuschung. Trauer. Gefolgt von einem Schwall neuer Wut, die in ihren Augen aufblitzte. Für die Zuschauer sah das Ganze wohl nach einer unfassbaren schauspielerischen Leistung von Yvonne aus. Sie hatten von dem improvisierten Ende nicht den blassesten Schimmer. Doch Steff wusste, dass ihre Botschaft angekommen war. Dass jede einzelne Emotion ernst gemeint war – dass jede einzelne Emotion einzig und allein auf ihre Karte ging und sie jetzt die Konsequenzen zu verantworten hatte.

Let's Dance (Your Way into my Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt