Kapitel 11:
Yvonne folgte Steff mit etwas zittrigen Knien. Ihre Gedanken waren noch immer bei dem gerade abgedrehten Interview. Sie hätte mit den Fragen des Reporters rechnen sollen, doch trotzdem hatte sie sich völlig vor den Kopf gestoßen gefühlt. Bei der Frage über ihre Beziehung zu Steff hatten sich ihre Gedanken überschlagen, und sie hatte das Ganze nur mit Mühe und Not einigermaßen elegant über die Bühne gebracht. Doch als sie dann noch direkt auf ihren Leistungsabfall und die Tatsache, dass sie mit einer Frau tanzte angesprochen wurde, hatte sie nur noch darauf gewartet, dass sich im Boden vor ihr ein Loch auftun würde in dem sie verschwinden konnte. Sehr zu ihrem Bedauern war das nicht passiert und so hatte sie wirklich zu kämpfen gehabt, nicht die Fassung zu verlieren und in nervöses Stottern auszubrechen. Letztendlich konnte sie sich selber nicht so genau erklären, wie sie zumindest nach außen hin Herrin der Lage geblieben war, und das Interview mehr oder weniger professionell zu Ende gebracht hatte. Noch viel mehr als von ihrer eigenen Souveränität war sie allerdings von Steff überrascht gewesen. Es war ihr unheimlich schwergefallen, ihr bei ihrem Wiedersehen die kalte Schulter zu zeigen. Die Tage ohne sie hatten ihr viel zu sehr vor Augen geführt, wie sehr ihr die Gesellschaft der quirligen Sängerin fehlte. Mehrmals hatte sie ihr Handy in der Hand gehabt und war kurz davor gewesen, Steffs Nummer zu wählen. Sie wollte nichts mehr, als die für sie so neue Vertrautheit zwischen ihnen zurück, dieses Gefühl der Unbeschwertheit was zwischen ihnen in der Luft lag, wenn sie fast schon schwerelos durch das Tanzstudio schwebten. Doch letztendlich hatte sie ihr Handy, unter dem missfallenden Blick von Viola, die sich wie so oft auf ihrem Schoß geräkelt hatte, immer wieder sinken lassen und versucht sich abzulenken. Sie hatte einfach nicht gewusst, was sie Steff sagen sollte, wie sie ihr eigenes Verhalten erklären sollte. Die Zeit seit ihrem Ausscheiden war genug gewesen, um ihr bewusst werden zu lassen, dass sie überreagiert hatte, und Steff mit ihren Worten vermutlich viel mehr verletzt hatte, als sie es sich vorstellen konnte. Dennoch hatte sie Angst gehabt, dass sie mit einem Anruf, dem lahmen Versuch einer Entschuldigung, Alles nur noch schlimmer machen würde. So hatte sie das getan, was sie am besten konnte, ihre Gefühle heruntergeschluckt, ihre Emotionen verdrängt und Steff so gut es eben ging aus ihrem Kopf verbannt. Der Anruf des Senders hatte ihrem Plan einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Yvonne hatte tatsächlich mit sich gehadert, dem Wiedereinstieg überhaupt zuzustimmen. Ein Teil von ihr hatte sich bereits damit abgefunden, Steff aus ihrem Leben gehen zu lassen. Letztendlich hatte dann aber doch ihr Ehrgeiz gesiegt – und vielleicht hatte auch die noch immer viel zu präsente Erinnerung an Steffs helles Lachen und ihre fesselnden grün-braunen Augen ihre Entscheidung ein wenig beeinflusst. Nicht das sie das jemals zugeben würde. So hatte sie sich schließlich an diesem Nachmittag auf den Weg ins Studio gemacht, hatte zum ersten Mal seit Tagen wieder in eben diese, ihr inzwischen allzu vertrauten Augen geblickt – und so getan als gehören sie zu einer völlig Fremden Person. Die angespannte Stille zwischen ihnen hatte sie unfassbar traurig gemacht, und doch hatte sie keinen Versuch unternommen sie irgendwie zu unterbrechen. Wie auch? Sie hatte jede Chance auf Versöhnung mit ihrem Verhalten kaputt gemacht. Dann hatte der Reporter damit begonnen, seine Fragen zu stellen. Fragen, die Steff jede Menge Gelegenheiten gegeben hatten, Yvonne mit ihren Antworten in die Pfanne zu hauen und ihrer Karriere mächtig zu schaden. Yvonne hätte es ihr nicht mal wirklich übelnehmen können, denn schließlich hätte Steff einfach nur die Wahrheit gesagt. Sie hätte es in gewisser Weise sogar verdient gehabt. Doch Steff hatte nichts dergleichen gemacht. Stattdessen hatte sie sich munter eine Lüge nach der anderen aus den Fingern gezogen. Sie hatte ihre Auseinandersetzung mit keinem Wort erwähnt, mehr noch, sie hatte ihr Ausscheiden aus der Show komplett auf ihre Kappe genommen. Yvonne hatte sie behandelt wie einen Fußabtreter, nein schlimmer noch, wie einen Boxsack an dem sie ihre, über lange Zeit gesammelten, unterschwelligen Emotionen auslassen konnte – und trotzdem setzte Steff sich vor die Kamera und erzählte der ganzen Welt, dass Yvonne das Beste war, was ihr in der Show passieren konnte. Die Tänzerin war von dem Schwall an Emotionen, der sie bei Steffs Antworten überflutet hatte, völlig überfordert gewesen. Ungläubigkeit, Erleichterung, Dankbarkeit. Jede Menge Dankbarkeit. Gefolgt von einem Gefühl unbeschreiblicher Wärme, das sich wie eine Decke über ihren Körper zu legen schien. Als Steff schließlich nach ihrer Hand gegriffen hatte und ihr dieses absolut ehrliche Lächeln zugeworfen hatte, hatte sich in Yvonne irgendwas in Bewegung gesetzt. Sie wusste, dass es so nicht länger weitergehen konnte, wusste, dass sie nicht wollte, dass es noch länger so weiter ging, dass sie das nicht noch länger konnte. Sie musste mit Steff reden, versuchen, sich zu erklären. Vielleicht würde das die Situation zwischen ihnen nur noch mehr verschlimmern – aber dann hatte sie zumindest die Karten offen auf den Tisch gelegt. Das war sie Steff schuldig. Inzwischen hatte sie die Sängerin durch die dunklen Gänge des Studios bis zu ihrer Garderobe geführt, die glücklicherweise unverschlossen war. Steff betrat den Raum und Yvonne folgte ihr, nicht länger in der Lage das nervöse Zittern ihrer Hände zu verbergen. Als Steff sich schließlich zu ihr umdrehte, konnte Yvonne ihr Gesicht beim besten Willen nicht lesen. Das unangenehme Ziehen in ihrem Magen verstärkte sich und sie verschränkte unsicher die Hände hinter dem Rücken. Nach einem kurzen Moment des Schweigens, war es schließlich doch Steff, die den ersten Schritt machte und auffordernd eine Augenbraue hob. „Also?" Yvonne atmete tief ein und begann dann mit leiser Stimme zu sprechen. „Ich... Ich glaube ich muss mich bei dir entschuldigen." Steff wirkte wenig überzeugt. „Du glaubst?" Yvonne zwang sich, sich zusammenzureißen. Ihre Stimme wurde etwas fester. „Man Steff, ich habe mich benommen wie die letzte Idiotin. Was ich zu dir gesagt habe war einfach komplett unüberlegt und dumm. Ich weiß nicht was mich dazu geritten hat." Noch immer war Steffs Blick hart und unnachgiebig. „Doch Yvonne. Ich glaube, dass weißt du ganz genau. Du hast nur unfassbare Angst davor dir das selber einzugestehen." Ohne es zu wissen hatte Steff den Nagel auf den Kopf getroffen. Yvonne senkte ihren Blick. „Du verstehst das nicht... ich..." Sie wurde leiser, ihre Stimme kaum mehr als der Hauch eines Flüsterns. „Es geht einfach nicht. Es ist nicht richtig. Ich habe damit schon so viel kaputt gemacht. Ich habe damals gesehen wie das endet." Ihr waren unweigerlich die Tränen in die Augen geschossen, und als sie den Blick zögerlich wieder hob, lag auf Steffs Gesicht ein Ausdruck purer Verwirrung. „Wovon redest du?" Yvonne schwieg, zu überfordert damit ihre Gefühle in Worte zu packen. Schließlich kam Steff einige kleine Schritte auf sie zu, legte ihr kurz entschlossen die Hand auf den Arm und drückte ihn ermutigend. „Yvonne, rede mit mir. Was ist damals passiert?" Yvonne schloss die Augen. Sie schämte sich zu sehr, um Steff in die Augen zu schauen. „Ich war damals 15. Ich hatte nicht viele Freunde, war einfach viel zu introvertiert und hatte Probleme mich anderen gegenüber zu öffnen. Aber das war okay. Ich brauchte nicht viele Freunde, ich hatte Fabian, den besten Freund den ich mir wünschen konnte. Er war immer für mich da, hat mir immer zugehört, hat bei meinem ersten richtigen Liebeskummer mit einer riesigen Packung Schokoladeneis vor meiner Tür gestanden." Bei den Erinnerungen schlich sich unweigerlich ein trauriges Lächeln auf ihre Lippen. „Wir haben beide einfach nicht dazu gepasst. Er war schon immer viel zu erwachsen für sein Alter, und hat sich einfach nicht für die gleichen Dinge wie die anderen Jungs interessiert. Während die Anderen sich trafen um zu trinken und darüber zu debattieren, welches Mädchen den besten Hintern hat, hat er sich lieber mit einem guten Buch in seinem Bett verkrochen. Sowas kommt halt nicht gut an. Es kamen schnell Gerüchte auf. Schließlich wurden die Stimmen immer lauter, dass Fabian auf Männer steht. Ich habe zuerst nicht viel darauf gegeben, aber dann habe ich gemerkt, dass er auch mir gegenüber immer verschlossener und ruhiger wurde. Als er dann schließlich eines Tages mitten im Unterricht aus dem Klassenraum gestürmt ist, nachdem unser Lehrer einen Zettel abgefangen hatte, auf dem ihn einige der Jungs in Frauenklamotten und sehr intimen Situationen gemalt haben, bin ich ihm nach. Da hat er mir gestanden, dass an den Gerüchten tatsächlich etwas dran war. Ich wusste nicht wie ich mit der Information umgehen sollte." Steff hatte bis hierhin schweigend zugehört. Noch immer spürte Yvonne ihre warme Hand auf ihrem Arm. Es hatte etwas beruhigendes und bewegte sie dazu, fortzufahren, auch wenn es ihr unfassbar schwerfiel. „Ich wünschte ich hätte irgendeine Erklärung für das, was ich als nächstes getan habe. Ich denke, ich wollte einfach auch mal dazugehören. Es war nicht so, dass ich ein Problem mit der Tatsache hatte, dass er schwul war... Trotzdem bin ich noch am gleichen Tag zu der Gruppe Jungs gegangen, und habe ihnen alles erzählt, was ich von Fabian erfahren hatte. Sie haben mich für meine Aktion gefeiert, mich aufgenommen, als hätte ich schon mein ganzes Leben zu ihrer Gruppe gehört. Es war das erste Mal, dass ich ein Teil von irgendwas war, und irgendwie hat mich das alles Andere vergessen lassen. Ich war über Nacht eine von ihnen geworden, hatte plötzlich jede Menge coole Freunde. Dafür habe ich jeden von Fabians Anrufen ignoriert, ihn nicht mal mehr angeschaut und als er schließlich vor meiner Tür stand, habe ich meine Eltern angefleht, ihm zu sagen, ich sei nicht zu Hause. Wieder und wieder. Ich stand jetzt an vorderster Front, wenn es darum ging ihm das Leben zur Hölle zu machen – und wusste nicht mal genau warum eigentlich. Ich bin bald mit einem der Jungs zusammengekommen, habe mich weiter und weiter von Fabian entfernt. Ich konnte sehen, wie er mit jedem Tag schlechter aussah, immer anteilnahmsloser wirkte – und es war mir einfach egal." Für einen kurzen Moment brach ihre Stimme, doch sie schaffte es, sich wieder zu fangen. „Dann... eines Morgens... ist sein Platz in der Schule leer geblieben. Tag für Tag aufs Neue. Einige Wochen später habe ich dann einen Briefumschlag in meinem Briefkasten gefunden. Von Fabian. Trotz allem was ich ihm angetan hatte, hatte er sich dazu aufgerafft mir zu schrieben, mich nicht im Dunkeln lassen wollen." Sie schenkte Steff ein müdes Lächeln. „Du erinnerst mich sehr an ihn." Dann schüttelte sie leicht den Kopf und verlor sich wieder in ihren Erinnerungen. „Er hat mir geschrieben, dass ihm die ganze Situation mehr und mehr zugesetzt hat und er schließlich einfach nicht mehr weiterwusste. Er hat seinen ganzen Mut zusammengenommen und sich seinen Eltern anvertraut, ist ihnen gegenüber völlig zusammengebrochen, weil er einfach keinen Ausweg mehr gesehen hat. Seine Eltern haben zum Glück verständnisvoll reagiert, aber sich gemeinsam mit ihm dazu entschlossen, ihn sofort von der Schule zu nehmen und ihm nahegelegt, alle seine alten Kontakte abzubrechen. Insbesondere zu mir. Er hat seinen Brief damit beendet, dass er sich für unsere Freundschaft bedankt hat. Das musst du dir mal vorstellen. Seitdem habe ich nie wieder etwas von ihm gehört. Ich weiß nicht was er heute macht, wie es ihm geht, ob er glücklich ist. Sein Brief hat mich damals wachgerüttelt, mir die Augen geöffnet, was ich da getan hatte. Ich bin zurück in mein Schneckenhaus. Habe mich von allen abgewandt und bis zum Abi irgendwie mein Ding durchgezogen." Yvonne wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. „Ich habe lange Zeit Fabians Sexualität die Schuld an allem gegeben. Habe mir eingeredet, dass alles wäre nie passiert, wenn er Hetero gewesen wäre. Ich habe erst langsam realisiert, dass ich das Problem bin. Aber diese Erkenntnis hat das nicht unbedingt besser gemacht. Seitdem ist alles was nicht Heterosexuell ist für mich zu so einer Art rotem Tuch geworden. Allein der Gedanke daran löst so viele schlechte Erinnerungen aus, dass ich mich auf der Stelle unwohl fühle, will mich der Situation am liebsten so schnell wie möglich entziehen. Ich weiß selber wie dumm das Alles für dich hier gerade klingen muss. Aber das ist die einzige Erklärung für mein Verhalten, die ich dir geben kann." Sie traute sich nicht, Steff anzuschauen, hielt ihren Blick krampfhaft gesenkt. Doch als sie merkte, wie Steff ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, brach es aus ihr heraus. „Ich kann nicht selber das fühlen, wofür ich Andere so sehr verurteilt habe..." Erst langsam wurde ihr der Inhalt ihrer Worte bewusst und sofort korrigierte sie sich stotternd. „Also... Versteh mich jetzt nicht falsch. Ich habe keine Gefühle für dich oder so." Nein, definitiv nicht. Auch wenn eine immer lauter werdende Stimme in ihr Genau das Gegenteil zu schreien schien. „Aber zu sehen, wie du so offen mit deiner Sexualität umgehen kannst, wie du dir das perfekte Umfeld geschaffen hast und dich nicht darum scherrst was andere über dich denken... Vielleicht bin ich auch einfach ein bisschen neidisch. Ich..." Yvonne spürte wie Steffs Finger sich sanft auch ihre Lippen legte. Steffs Finger wanderte von ihren Lippen zu ihrem Kinn und drückte es sanft nach oben, zwang Yvonne ihr in die Augen zu schauen, in denen ebenfalls einige Tränen glitzerten. „Shhh..." In Steffs Blick schien zum ersten Mal so etwas wie Verständnis aufzublitzen. Trotzdem zögerte sie einen Moment bevor sie weitersprach. „Es ist okay Yvonne, wirklich. Was du zu mir gesagt hast, nach dem Kuss, das hat mich wirklich verletzt und ich werde es nicht von einem Tag auf den anderen vergessen können. Aber, dass du den Mut gefunden hast, dich mir hier anzuvertrauen, mich an einem so schmerzhaften Teil deines Lebens teilhaben zu lassen... Ich habe gerade gar keine Worte dafür, wieviel mir das bedeutet. Lass uns nochmal von Null anfangen, das vergessen, was bisher zwischen uns vorgefallen ist." Yvonne blinzelte, während ihr Kopf noch dabei war Steffs Worte zu verarbeiten. „Es ist schon fast gruselig wie ähnlich du Fabian bist. Ihr seid Beide viel zu gut für diese Welt. Ihr hättet euch sicher gut verstanden." Ihre Stimme wurde plötzlich sehr entschlossen. „Ich verspreche dir, dass ich das Ganze nicht noch einmal in den Sand setze. Dieses Mal werde ich es besser machen." Dann brachen die Tränen wieder hemmungslos aus ihr hervor und flossen in Strömen ihre Wangen hinunter. Für einen Moment tätschelte Steff nur etwas zögerlich ihre Schultern, dann verstärkte sich ihr Griff um Yvonnes Arme. „Ist ja gut. Komm her." Sie zog Yvonne näher an sich und schloss sie in eine sanfte Umarmung. Ohne das geringste Zögern legt auch Yvonne ihre Arme um Steff und vergrub ihren Kopf schluchzend Steffs Schulter. Als sie merkte wie Steffs Hand von ihrem Rücken ihren Körper heraufwanderte, und sie schließlich damit begann, sanft über ihre Haare zu streicheln, seufzte Yvonne leise auf. Sie fühlte sich geborgen. So als würde sie endlich irgendwo ankommen. Die Tatsache, dass es ausgerechnet Steff war, die sie so fühlen ließ, verwirrte sie noch mehr als alles andere, aber zum Ersten Mal überkam sie nicht das Gefühl von blanker Panik bei dem Gedanken, dem ganzen Näher auf den Grund zu gehen.
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Let's Dance (Your Way into my Heart)
RomanceCatterkloß AU - Yvonne ist Profitänzerin bei Let's Dance und Steff wird in der neuen Staffel ihre Tanzpartnerin.